Stadtentwicklung

Spektakuläre Ideen: A104 könnte zur Fahrrad-Hochbahn werden

| Lesedauer: 5 Minuten
Isabell Jürgens
Die Betonpfeiler der alten A 104 tragen nur noch eine Piste für Radfahrer – und Rankgitter, die den Gehweg darunter beschatten. In-Between nennt sich dieser Entwurf von Abu Sayeed Mohammed Ziad, Pubali Kumar (Hochschule Anhalt) und Mahlaqa Fahami (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg),

Die Betonpfeiler der alten A 104 tragen nur noch eine Piste für Radfahrer – und Rankgitter, die den Gehweg darunter beschatten. In-Between nennt sich dieser Entwurf von Abu Sayeed Mohammed Ziad, Pubali Kumar (Hochschule Anhalt) und Mahlaqa Fahami (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg),

Foto: Abu Sayeed Mohammed Ziad, Pubali Kumar (Hochschule Anhalt) Mahlaqa Fahami (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg)

Ein Wettbewerb zur Nachnutzung der ehemaligen Berliner Autobahn A104 zeigt visionäre Pläne, was mit der Trasse passieren könnte.

Berlin.  Seit 17 Jahren ist die A104 im Südwesten Berlins keine Autobahn mehr. Seit einigen Monaten liegt für den Teilabschnitt zwischen Mecklenburgischer Straße und Schildhornstraße zudem eine Machbarkeitsstudie der Senatsverkehrsverwaltung zum Rückbau der Trasse vor. Höchste Zeit also, sich Gedanken darüber zu machen, was denn anstelle der A104 mit dem wertvollen Stadtraum geschehen könnte. Gleich mehrere Antworten darauf geben jetzt die Preisträgerinnen und Preisträger des Schinkel-Wettbewerbes.

Ausgelobt hatte den Wettbewerb unter dem Titel „Stadt statt A104“ der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV). Der größte und bekannteste Nachwuchswettbewerb für Städtebau, Architektur und Ingenieurbaukunst, soll, so der Anspruch, Forschungs-, Diskussions- und Entwicklungsprozesse anstoßen, wie der Umbau der autogerechten Stadt zur lebenswerten Stadt erfolgreich gelingen kann.

Autobahn A104 in Berlin: Ideen für die Zeit nach Stilllegung der Trasse gesucht

„Wir haben in verschiedenen Fachsparten die Frage gestellt, welche städtebaulichen, verkehrlichen, architektonischen, künstlerischen und landschaftsgestaltenden Chancen sich aus der Stilllegung der A 104 ergeben“, umreißen Gesche Gerber und Ernst Wolf Abée, Vorsitzende des AIV-Schinkel-Ausschusses, die Aufgabenstellung.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten eine eigene Idee für die Transformation der gesamten Trasse der ehemaligen A104 zwischen der A100 und der A103 finden und daraus ihre Entwürfe entwickeln. Die Aufgabenstellungen wurden jeweils in den Fachsparten Architektur, Bauingenieurwesen, Stadtplanung, Landschaftsarchitektur, Verkehrsplanung und Freie Kunst bearbeitet.

Preisgelder in Höhe von 27.000 Euro vergeben

Insgesamt wurden in diesem Jahr Preisgelder in Höhe von 27.000 Euro vergeben. „Wir haben uns sehr gefreut, dass in diesem Jahr mehrere internationale Beiträge unter den prämierten Arbeiten sind“, so die Vorsitzenden. So wurde etwa der Schinkelpreis Architektur an eine „beeindruckende Arbeit“ von vier Studierenden der University of Edinburgh vergeben, wie die Jury schreibt. Zusätzlich wurden die vier Nachwuchsplaner mit einem Reisestipendium ausgezeichnet.

„Mit detailreicher Phantasie wird die Transformation der Autobahntrasse in differenzierte urbane Mikrotope beschrieben“, urteilte die Jury. Zwei weitere Preise gingen zudem an Studierende und Absolventen der TU Krakau und der University of Edinburgh. Das hohe Interesse, auf das der Wettbewerb mit seiner Aufgabenstellung auch bei Studierenden anderer Länder gestoßen sei, zeige, dass das Thema international bewege: „Daran sehen wir, dass die gestellten Aufgaben exemplarisch für die zukünftigen Herausforderungen bei der Entwicklung urbaner Agglomerationen in vielen Ländern sind“, so Gesche Gerber.

Neben den traditionsreichen Schinkelpreisen wurden viele weitere Auszeichnungen vergeben. Eingegangen waren mehr als 100 Beiträge junger Planer, von denen 13 Arbeiten ausgezeichnet wurden. Besonders lebhaft habe die Jury die Arbeit „AufKläranlage“ diskutiert, heißt es in einer Wettbewrbsmitteilung.

Autobahntunnel unter der Schlangenbader Straße wurde zur Kläranlage

Die AufKläranlage skizziert einen Lösungsansatz für die 150 Millionen Liter Abwasser, das jährlich in der Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße anfällt. Die vorhandenen Autobahntunnel und Parkebenen im Inneren des Gebäudekomplexes werden dabei zu einer Abwasser-Kläranlage umgewidmet. Auf dem Betontrog der Autobahnstrecke nach Süden bis zur Schildhornstraße soll ein artenreich bepflanztes Biotop zur Filterung des Grauwassers und zur Verdunstung und unmittelbaren Rückführung in das lokale Wassermanagement entstehen.

Die drei Verfasserinnen ergänzen die städtebauliche Situation durch einen „Blauen Campus“ für Studierende aus der nahe gelegenen Freien Universität Berlin (FU) mit einer Mensa und einer Bibliothek, durch ein Informationszentrum und einen „Wasserboulevard“.

Für den AIV ist die Beschäftigung mit der Nachnutzung des ehemaligen Autobahntunnels eine echte Herzensangelegenheit. Seit Jahren ruft der Verein die politischen Gremien auf, über den zukünftigen Umgang mit den überdimensionierten Verkehrsbauwerken der A104 nachzudenken – nicht zuletzt, weil in absehbarer Zeit erhebliche, kostenintensive Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind.

Und die sind größtenteils vom Land Berlin zu tragen. Denn im Bereich der letzten 1400 Meter langen Teilstrecke zwischen den Anschlussstellen Mecklenburgische Straße und Schildhornstraße einschließlich der Überbauung Schlangenbader Straße wurde die ehemalige A104 zur Straße 1. Ordnung mit Autobahncharakter nach dem Berliner Straßengesetz abgestuft und liegt daher in der Verantwortung des Landes Berlin. Der AIV hat jedoch ein Nachdenken über den gesamten, drei Kilometer langen Autobahntunnel zwischen Konstanzer Straße und Neue Filandastraße angeregt.

2021 hat der AIV erste Test-Entwürfe vorgestellt, um die städtebaulichen Chancen der durch den Abriss der A104 wiederzugewinnenden Stadtquartiere in Steglitz und Wilmersdorf zu verdeutlichen. Allein auf der Fläche der ehemaligen Autobahntrasse – als öffentliches Straßenland im Landesbesitz – könnten so 3000 Wohnungen entstehen. Auf angrenzenden Flächen, zumeist im Privatbesitz, wäre Platz für weitere 3500 Wohnungen, so das Ergebnis. Zudem würde Raum für attraktive Stadtplätze und Grünflächen entstehen.

Ausstellung: Die eingereichten Arbeiten des Schinkel-Wettbewerbs können in der Aula (R201) der Universität der Künste (UdK) Berlin, Hardenbergstraße 33, 10623 Berlin noch bis zum 26. März täglich von 9 bis 20 Uhr besichtigt werden.