Berlin-Wahl 2023

Die Abrechnung der SPD mit Grünen und Linken

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Mit einem „gangbaren Lösungsweg“ haben SPD, Grüne und Linke ein Hindernis für eine Fortsetzung der bestehenden Koalition abgeräumt.

Mit einem „gangbaren Lösungsweg“ haben SPD, Grüne und Linke ein Hindernis für eine Fortsetzung der bestehenden Koalition abgeräumt.

Foto: Jörg Carstensen / dpa

Das Sondierungspapier der Sozialdemokraten fällt vernichtende Urteile über die Verhandlungen mit den jetzigen Koalitionspartnern.

Berlin.  Nach den Sondierungsgesprächen hat die SPD-Parteispitze ein verheerendes Bild der Verhandlungen mit den bestehenden Koalitionspartnern Grüne und Linke gezeichnet. So will die Parteiführung offenbar den Sozialdemokraten den überraschenden Wechsel an die Seite der CDU schmackhaft machen.

Noch bis in die Sondierungsverhandlungen hinein hatte die SPD um Franziska Giffey stets betont, dass die Präferenz auf der Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses liegt. Das Abrechnungspapier wirft dagegen Fragen auf, wie es überhaupt zu einer sechs Jahre währenden Zusammenarbeit kommen konnte. An der SPD, so legen die Autorinnen und Autoren des Schreibens nahe, habe es jedenfalls nicht gelegen.

SPD wirft Grünen Unzuverlässigkeit vor

So hätten die Grünen „in nahezu allen politischen Teilbereichen (…) erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen“, heißt es. „Selbst bezüglich des bestehenden Koalitionsvertrages sah sich die Sondierungsgruppe mit ständigen Relativierungen konfrontiert.“

Insbesondere seien Zielzahlen oder die Verbindlichkeit von bestehenden Absprachen in Abrede gestellt worden. „Das betrifft beispielsweise den Wohnungsbau und die Wohnungsbauförderung, den Schulneubau und die Schulsanierung, die Lehrkräftebildung, die Fortführung sowohl des 9-Euro-Sozialtickets als auch des 29-Euro-Tickets, Verbesserungen bei der Besoldung und Vergütung der Landesbeschäftigten und die Wiedereingliederung von Töchtern in die Landesunternehmen“ – also bei nahezu allen zentralen Themen der vergangenen Jahre.

Die Linken stehen laut SPD vor einer Zerreißprobe

Der Linken bescheinigt die Sondierungsgruppe der SPD immerhin eine „verbindliche Herangehensweise und Verabredungsfähigkeit“ in den Gesprächen. „Dennoch steht die Partei vor einer Zerreißprobe, deren Ausgang aktuell ungewiss erscheint.“ Zentrale Protagonisten würden aktiv an einer Spaltung der Partei arbeiten, analysiert die SPD im Hinblick auf den innerparteilichen Streit der Linken mit der umstrittenen ehemaligen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.

„Auf Landesebene bestehen erhebliche Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit verabredeter Positionen in der Breite der Partei.“ In den Sondierungen habe sich die Überzeugung herausgearbeitet, dass die Aufweichung von Beschlüssen und die Verzögerung von Prozessen, zum Beispiel bei der Wohnungsbauförderung oder bei Bebauungsplänen, sich nicht nur verstetigen, sondern verstärken würden.

Die Kehrtwende der SPD erfolgte am Mittwoch

Diese vernichtende Bewertung der beiden bisherigen Koalitionspartner durch die SPD-Führung überrascht, denn nach den drei Sondierungsgesprächen mit Grünen und Linken hatten Giffey und Ko-Parteichef Raed Saleh stets von großen Fortschritten gesprochen, die erzielt worden seien. Sogar für den Umgang mit dem umstrittenen Enteignungsvolksentscheid sei eine Einigung erzielt worden, die für alle drei Parteien einen gangbaren Weg darstelle, hieß es noch am Montag.

Am Mittwoch kam dann die plötzliche Kehrtwende. „Im Ergebnis konnten mit der CDU in allen Bereichen große Schnittmengen festgestellt werden“, heißt es in dem Papier. Kein Wort mehr verliert die SPD-Führung über die erbitterte Kritik an der CDU im Wahlkampf, die die Stadt spalte und Außenbezirke gegen Innenstadt ausspiele.

Ton in der aktuellen Landesregierung verschärft sich

Nach der Entscheidung der SPD, als kleinerer Koalitionspartner ein Bündnis mit der CDU eingehen zu wollen, verschärfte sich am Donnerstag der Ton in der aktuellen Landesregierung. „Das Verhalten der SPD ist ein Paradebeispiel dafür, wie unanständige Politik funktioniert“, sagte die Fraktionschefin der Grünen, Silke Gebel, am Donnerstag der Berliner Morgenpost. „Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. Das war offenbar so.“ CDU und SPD müssten sich auf eine harte Opposition einstellen. „Wir können regieren – und wir können Opposition. Wir werden den Finger in die Wunde legen.“

Der Linke-Spitzenkandidat bei der Wiederholungswahl, Kultursenator Klaus Lederer, kritisierte die Entscheidung der SPD ebenfalls. „Ich finde es einigermaßen überraschend, dass die SPD und Franziska Giffey sich jetzt entschieden haben, Kai Wegner und der CDU ins Rote Rathaus zu verhelfen, anstatt progressive Mehrheiten für die Fortsetzung einer progressiven Stadtpolitik in Berlin zu nutzen“, sagte Lederer. „Die Verantwortung dafür trägt allein die SPD“ – auch wenn sie versuche, Grünen oder Linken mit Blick auf die Sondierungen Vorwürfe zu machen.