Volksentscheid

Enteignung in Berlin: Das sind die Vorschläge der Initiative

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Isabell Jürgens
Berliner stimmen für Enteignung großer Wohnungskonzerne

Berliner stimmen für Enteignung großer Wohnungskonzerne

Eine Mehrheit der Berliner hat am Sonntag für den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" gestimmt. Jetzt ist der neue Senat der Bundeshauptstadt am Zug.

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Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ präsentierte ein Konzept, wie enteignete Wohnungen künftig verwaltet werden sollen.

Berlin.  Wie soll es nach einer Enteignung großer Wohnungskonzerne in Berlin weitergehen? Jetzt liegen erste Vorschläge vor. Dabei sollen Mieter eine größere Rolle bei der Verwaltung der Wohnungen spielen.

Die vom Berliner Senat eingesetzte Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen will frühestens Ende April ihre endgültige Empfehlung abgeben, ob die Enteignung juristisch und wirtschaftlich machbar ist. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ist da bereits einen Schritt weiter. Sie hat am Montag ein Konzept präsentiert, wie eine Viertelmillion enteignete Wohnungen künftig in einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) verwaltet und bewirtschaftet werden soll. Name der neuen Anstalt: „Gemeingut Wohnen“.

„Wir zeigen, dass diskriminierungsfreie Wohnungsvergabe, demokratische Selbstbestimmung, soziale Wohnraumversorgung und Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebestand bei dauerhaft bezahlbarem Wohnraum möglich sind“, sagte Gisèle Beckouche, Sprecherin der Initiative.

Das Ziel einer leistbaren Miete bleibe zwar der Kernauftrag der AöR. Jedoch gehe der Vorschlag weit darüber hinaus. Denn die Bestände der großen Immobilienkonzerne wie Vonovia, Heimstaden oder Deutsche Wohnen sollen nicht einfach an die bereits bestehenden sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften übertragen werden.

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„Deutsche Wohnen & Co enteignen“: Mieter in Berlin sollen mitbestimmen

„Es ist auch wichtig, künftig gemeinschaftlich zu entscheiden, wie die Wohnungen am besten genutzt werden können“, begründete die Sprecherin die Notwendigkeit einer „demokratisch kontrollierten“ AöR. Laut der Initiative sollen Mieterinnen und Mieter sowohl ihren Wohnraum als auch die eigenen Kieze dadurch mitgestalten können. Dies sei bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen, die als GmbH oder Aktiengesellschaft organisiert sind nicht gegeben, denn deren Mieterräte und -beiräte hätten nur einen sehr begrenzten Einfluss.

In der AöR sollen sich die Mieter an der Basis in Siedlungsräten organisieren, darüber gibt es Gebietsräte, die Delegierte in einen Gesamtrat aller Mieterinnen entsenden, der wiederum aus seiner Mitte Vertreterinnen zum Verwaltungsrat delegiert, dem höchsten Entscheidungsgremium der „Gemeingut Wohnen“. Zudem gibt es für Häuser die Möglichkeit, Hausprojekte komplett selbst zu verwalten

Land Berlin soll der Anstalt keine Vorgaben machen können

Nach Angaben der Broschüre soll eine Anstalt errichtet werden, die das Recht zur Selbstverwaltung hat und somit keiner Fachaufsicht unterliegt. Das Land Berlin kann der AöR daher keine fachlichen Vorgaben zum Verwaltungshandeln machen. „Wir wollen also jetzt darüber sprechen, wie wir als Stadtgesellschaft eine Viertelmillion Wohnungen verwalten und wie wir gemeinsam unsere Stadt gestalten wollen. Wir wollen mitentscheiden“, betonte Beckouche.

In einer Broschüre, die die Initiative am Montag auf ihrer Homepage veröffentlichte, wird der Vorschlag ausführlich auf 66 Seiten dargelegt. „Wir verstehen die Broschüre einerseits als konkreten Beitrag zur Arbeit der vom Berliner Senat eingesetzten Enteignungskommission“, betonte die Sprecherin. Das Expertengremium tagt am kommenden Mittwoch zum Thema „Überführung von Wohnimmobilieneigentum in Gemeineigentum als eine Form der Gemeinwirtschaft“ in einer öffentlichen Anhörung.

Entschädigung soll sich aus Bewirtschaftung der Wohnungen finanzieren

Nach dem Konzept der Initiative soll die AöR sich aus den Mieten der Wohnungen finanzieren. Sie zahlt die Entschädigung für die vergesellschafteten Wohnungen, indem sie Schuldverschreibungen ausgibt und tilgt. Das Land Berlin haftet für die Verbindlichkeiten der AöR. Die Initiative hatte die Entschädigungssumme für die Vergesellschaftung 2021 auf 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro geschätzt, also deutlich niedriger als der Senat, der von rund 36 Milliarden ausging. Bei einem Volksentscheid am 26. September 2021 hatten rund 59 Prozent der Wähler für die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin gestimmt.

Auch zur „gerechten Wohnungsvergabe“ enthält die Broschüre Auskünfte. Über ein gewichtetes Losverfahren sollen Wohnungssuchende in der AöR ihren Bedarf anmelden und an einem Losverfahren teilnehmen können.

Bewerbung auf eine konkrete Wohnung nicht möglich

Eine Möglichkeit, sich für eine bestimmte Wohnung zu bewerben, soll es nicht geben. „Bewerber:innen nehmen an der Verlosung aller Wohnungen teil, die ihrem angemeldeten Bedarf entsprechen“, heißt es dazu in der Broschüre.

Der Bedarf werde definiert durch Angaben der Bewerber zur Anzahl der einziehenden Personen und benötigte Zimmerzahl, der gewünschten Lage der Wohnung, der maximal leistbaren Miethöhe sowie dem Vorliegen eines Wohnberechtigungsscheins und unter Angabe besonderer Bedarfe wie etwa Barrierefreiheit.

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