Wahlwiederholung

Berlin-Wahl: SPD ist trotz historischer Pleite noch im Spiel

| Lesedauer: 7 Minuten
Joachim Fahrun
Berliner CDU jubelt: Christdemokraten sind stärkste Kraft

Berliner CDU jubelt: Christdemokraten sind stärkste Kraft

Aus der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist die CDU von Spitzenkandidat Kai Wegner als klare Siegerin hervorgegangen. Die Christdemokraten kommen einer Prognose des Instituts Infratest dimap für die ARD zufolge auf 27,5 Prozent.

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Für Franziska Giffey ist das schlechte SPD-Ergebnis bei der Berlin-Wahl 2023 eine persönliche Niederlage. Doch noch kann sie hoffen.

Berlin. Franziska Giffey kämpfte mit den Tränen. Ihr Traum, doch noch ein ordentliches Ergebnis für die SPD zu holen, war schon mit der ersten Prognose der Berlin-Wahl 2023 geplatzt. Bei der SPD-Wahlparty im Festsaal Kreuzberg schüttelten die Anhänger ungläubig die Köpfe, stöhnten auf, als sie die Werte der CDU hörten.

„Das Ergebnis zeigt, dass die Berlinerinnen und Berliner nicht zufrieden sind mit dem, wie es jetzt ist“, sagte eine deutlich angeschlagene Regierende Bürgermeisterin. „Wir haben nur ein Jahr Zeit gehabt“, sagte Giffey, „das ist einfach zu kurz, um die Weichen zu stellen.“

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Berlin-Wahl 2023: Rotes Rathaus droht nach 22 Jahren SPD verloren zu gehen

Es sind hilflose Erklärungsversuche für ein historisches Debakel. „Ein bitterer Abend“, kommentierte Giffey. Viele Parteifreunde verließen früh den Festsaal. Manche trösteten sich mit Schnaps. Zahlreiche Sozialdemokraten haben nach nur wenigen Monaten im Abgeordnetenhaus ihre Mandate verloren. Karrieren sind beendet. Ob die von Franziska Giffey weiter geht, ist an diesem Abend keineswegs garantiert. Dass die SPD sie kurzfristig aus dem Amt jagt, ist eher nicht zu erwarten. Man muss handlungsfähig bleiben, um mögliche Bündnisse auszuloten.

Die SPD hat es diesmal nicht geschafft, sich wie so oft bei Berliner Wahlen im Endspurt aus dem Loch zu arbeiten. Der Aufholprozess, den manche Umfragen den Sozialdemokraten attestiert hatten, war eine Chimäre. Das Rote Rathaus droht nach 22 Jahren mit den Regierenden Bürgermeisterin Klaus Wowereit, Michael Müller und einem Jahr Franziska Giffey verloren zu gehen.

Jetzt landete die SPD deutlich abgeschlagen hinter der CDU, gleichauf mit den Grünen. Die Christdemokraten sind erstmals seit 1999 an den Sozialdemokraten vorbeigezogen. Fast ein Erdrutsch ist es geworden, dem vor allem die FDP zum Opfer fiel. Der Ruf nach einem Politikwechsel schallte lauter durch die Stadt, als es die SPD wahrhaben wollte. Die ersten Analysen der Wahlforscher haben ergeben, dass vor allem enttäuschte SPD-Wähler zur CDU gewechselt sind.

Noch sind Franziska Giffey und die SPD nicht ganz aus dem Spiel. Die Sozialdemokratin hat zwar nicht den ersten Zugriff beim Versuch, eine Koalition zu bilden. Dieses Recht liegt beim Christdemokraten Kai Wegner. Aber wenn die SPD oder die Grünen die Chuzpe haben, es angesichts des riesigen Rückstandes durchzuziehen und unter welcher Führung auch immer gemeinsam mit den Linken weiterzumachen, hat sie sogar Chancen, weiter im Rathaus zu agieren.

Nach den Aussagen, die vor dem Wahltag gefallen sind, neigen die führenden Sozialdemokraten deutlich der Möglichkeit zu, eher eine Neuauflage des Bündnisses zu schmieden, als sich hinter der CDU als Juniorpartner einzureihen und das Rote Rathaus Kai Wegner von der CDU zu überlassen. Giffey nannte ein Bündnis unter SPD-Führung als ihre klare Präferenz.

Name Franziska Giffey
Geburtsdatum 03. Mai 1978
Sternzeichen Stier
Amt Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Landesvorsitzende der SPD Berlin
Partei SPD
Parteimitglied seit 2007
Familienstand Verheiratet, ein Kind
Wohnort Berlin

SPD-Generalsekretär Kühnert: „CDU hat im Wahlkampf Türen zugemacht“

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, ein Berliner, ließ wenig Neigung in Richtung Union erkennen. „Im Wahlkampf hat die CDU viele Türen zugemacht“, sagte Kühnert und verwies auf die Absage, die Wegner den Grünen als möglicher Koalitionspartner erteilte. In der SPD hatten sich zuletzt viele über die Attacken Wegners geärgert, der unter anderem das rot-grün-rote Antidiskriminierungsgesetz in Frage stellte. Jeder, der ins Rote Rathaus wolle, müsse eine stabile Mehrheit im Abgeordnetenhaus zusammen bekommen, sagte Giffey.

Die SPD muss nun zunächst klären ob sie bereit ist, dem Werben Wegners zu erliegen und mit der CDU eine Koalition einzugehen, die wohl nur eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätte. Oder ob sie ein Bündnis der Wahlverlierer eingeht, womöglich unter grüner Führung. Giffey hielt sich alles offen: Man wolle eine Fortschrittskoalition in Berlin, sagte sie. Sie kritisierte die CDU als „populistisch“, schloss aber eine Zusammenarbeit nicht aus. Man müsse auch demütig sein.

Für Giffey ist das schlechte SPD-Ergebnis auch eine persönliche Niederlage

Für Giffey ist der Wahlausgang auch eine persönliche Niederlage. Als Hoffnungsträgerin gestartet, muss sie nun das schlechteste Ergebnis der SPD in ihrer einstigen Hochburg Berlin verantworten. Es ist ihr nicht gelungen, als Persönlichkeit Wähler über die sozialdemokratische Kernklientel hinaus zu begeistern.

Zudem kam anders als im September 2021 keine Hilfe von außen. Damals pushte der Bundestrend um den späteren Kanzler Olaf Scholz die Sozialdemokraten ebenso, wie die missratene Kanzlerkandidatur von Armin Laschet die CDU hinabzog. Jetzt ist der Trend in ganz Deutschland eher ein Freund der Union, die SPD schwächelt in den bundesweiten Umfragen und liegt hinter ihrem Bundestags-Wahlergebnis zurück.

Es gelang Franziska Giffey nicht, sich von der SPD-Vergangenheit freizumachen

Die Unzufriedenheit mit dem Senat war so groß, dass das Kalkül der SPD nicht aufging. Man hatte gehofft, dass Giffey mit ihrer Erfahrung als ehemalige Bundesfamilienministerin und langjährige Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin in Neukölln punkten würde. Die kann es: Das sollte die Botschaft sein im Kontrast zu dem verwaltungsunerfahrenen Kai Wegner und einer Bettina Jarasch von den Grünen, die als Senatorin immer noch mit den Tücken ihres Riesen-Ressorts für Mobilität, Umwelt und Klimaschutz ringt.

Sie sei „gekommen um zu bleiben“, hatte Giffey selbstbewusst bei ihrem Amtsantritt verkündet. Ob das so kommt, ist nicht ausgemacht. Dass die SPD sie aber kurzfristig aus dem Amt jagt, ist eher nicht zu erwarten, man muss jetzt handlungsfähig bleiben, um die möglichen Bündnisse auszuloten.

In ihrer SPD war Giffey nie unumstritten, wie ihr Wahlergebnis als Landeschefin zeigte

Dass Giffey in ihrer Partei nicht unangefochten ist, hatte im Juni 2022 vor dem Gerichtsentscheidung zur Wahlwiederholung, die Wiederwahl Giffeys als Landesvorsitzende gezeigt. Die Delegierten hatten die Regierende mit weniger als 60 Prozent regelrecht abgestraft.

Die 44 Jahre alte gebürtige Brandenburgerin versuchte während des Wahlkampfes, sich von Versäumnissen der langjährigen SPD-Regierungszeit und vor allem von ihrem direkten Vorgänger Michael Müller abzugrenzen. Sie habe weder mit der verkorksten Wahl von 2021 unter der Regie des seinerzeitigen Innen- und jetzigen Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel persönlich etwas zu tun noch mit der bisher aufgeschobenen Verwaltungsreform, machte sie mehrfach deutlich. Das hat nicht verfangen. Die Meinungsforscher stellten fest, dass die Menschen vor allem die SPD für die trägen Behörden, die vergeigte Wahl und die schlechten Schulen verantwortlich machen.