Berlin. Professor Stephan Bröchler hatte nur 90 Tage Zeit, um mit einem kleinen Team die Berlin-Wahl 2023 zu organisieren. Eine Mammutaufgabe.
Auf seinen Schultern lastet eine gewaltige Verantwortung, an ihn werden aber auch große Hoffnungen geknüpft. Landeswahlleiter Stephan Bröchler ist der Mann des Tages. Seit 1. Oktober 2022 ist er im Amt und hat sofort eine Herkulesaufgabe übernommen. Er musste an der Spitze eines recht überschaubaren Teams innerhalb von nur 90 Tagen die Wiederholungswahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) organisieren. Normalerweise wird für die krisenfeste Vorbereitung einer Wahl ein Jahr veranschlagt.
Aber Bröchler bereut nicht, die Aufgabe übernommen zu haben. Er hält dem öffentlichen Druck stand und denkt weit über diesen Wahltag hinaus. Er will etwas bewegen, eine grundlegende Strukturreform der Wahlorganisation in Berlin auf den Weg bringen. Der Mann ist überzeugter Demokrat, Wahlen bezeichnet er gerne als „Fest der Demokratie“. Bei der fehlerhaften Wahl 2021 sei viel Vertrauen in die Demokratie verloren gegangen. „Das wollen wir nun zurückgewinnen“, sagt er.
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Der 60 Jahre alte Politik- und Verwaltungswissenschaftler stammt ursprünglich aus Düsseldorf und lebt seit 2019 in Berlin. Seit 2008 übernahm er mehrere Vertretungsprofessuren, unter anderem in Gießen, Darmstadt, Würzburg und an der Humboldt-Universität. Seit Oktober 2020 ist Bröchler Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR).
Experten-Kommission untersuchte die Wahlpannen und kritisierte den Senat
Im November 2021 setzte der Senat eine Expertenkommission ein, die die Pannen und Probleme beim Super-Wahltag wenige Wochen zuvor analysieren sollte. Bröchler gehörte der Kommission an, die dem Senat schwere Versäumnisse vorwarf und umfassende Reformen forderte.
Er überzeugte dort – auch die Landesregierung, die ihm den Posten des Landeswahlleiters anbot. Er nahm an. Das ist kein Hauptberuf, sondern ein Ehrenamt. Aber unter diesen Umständen natürlich nichts, was man nebenbei erledigen könnte. Er muss sich um Grundsatzfragen ebenso kümmern wie etwa um die Blickdichte des Papiers für die Stimmzettel.

Von einem freien Wochenende kann er nur träumen
Der Professor konnte in den vergangenen Wochen von einem Acht-Stunden-Arbeitstag oder einem freien Wochenende nur träumen. „Im Hauptamt lehre und forsche ich weiterhin als Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der HWR“, stellt er klar. Immerhin: Im nächsten Semester erhält er eine Stundenreduktion in der Lehre.
Er versäumt bei Pressekonferenzen nie, sich für die Unterstützung des HWR-Präsidenten Andreas Zaby zu bedanken. Er betont auch stets, dass er die Herkulesaufgabe, in so kurzer Zeit eine Wahl zu organisieren, nicht allein schultert. Bröchler ist ein Teamspieler, der um die Wichtigkeit von guter Zusammenarbeit und Motivation weiß.
Offene Art der Kommunikation
Was schnell auffällt, wenn man ihn kennenlernt, ist seine sehr offene Art der Kommunikation. Der Landeswahlleiter benennt die Klippen seines neuen Jobs deutlich – und verbreitet trotzdem Zuversicht. Ein Beispiel dafür ist sein Umgang mit Fehlern. In den vergangenen Wochen hat es einige Pannen gegeben: So sind etwa wenige Wahlscheine ohne Dienstsiegel verschickt worden, in Neukölln stand ein FDP-Politiker auf dem Stimmzettel, der nicht mehr kandidiert.
Stephan Bröchler hat nicht versucht, diese Fehler zu vertuschen oder zu bemänteln. Sein Vorgehen: Zunächst wird die Ursache identifiziert, dann der Fehler zügig erkannt und behoben und gleichzeitig transparent kommuniziert.
Bröchler ärgert sich über Fehler – und stellt sich vor sein Team
Das Resultat: Beobachter haben den Eindruck, dass jeder Fehler öffentlich wurde, und dass es sich um Einzelfälle handelt. Bröchler macht schon deutlich, dass er sich über jeden Fehler ärgert. Gleichzeitig stellt er sich vor seine Mitarbeiter, die in diesen Wochen ebenfalls eine große Last trügen und oft am Limit arbeiteten. Und er macht der Öffentlichkeit klar, dass es nirgendwo reibungslose Wahlen gibt. „Mein Ziel sind reibungsarme Wahlen“, sagt er stets.
Zu seinem transparenten Umgang mit den Herausforderungen des Amtes gehört auch, dass er sich Wahlbeobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gewünscht hätte. Viele Berliner und Berlinerinnen hätten es peinlich gefunden, wenn die Wahlbeobachter die Berliner Wahlorganisation unter die Lupe genommen hätten. Stephan Bröchler nicht, er hätte der Welt gerne gezeigt, dass Berlin sehr wohl Wahlen kann. Nun hat die OSZE verkündet, sie sehe keinen Bedarf, nach Berlin zu kommen. Punktsieg für den neuen Landeswahlleiter – und ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig Transparenz ist.
Er trägt zwar die Verantwortung, ist aber ein „König ohne Land“
Eine Wahl ordentlich zu organisieren, das klingt zunächst nach einer banalen Aufgabe. Doch was Bröchlers Aufgabe neben dem arg knappen Zeitfenster so schwierig macht: Er ist ein „König ohne Land“. Er ist nun zwar für die Wahl verantwortlich, die Umsetzung obliegt aber nach wie vor den Bezirken. Die musste er ins Boot holen, denn weisungsbefugt ist er nicht.
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Es scheint gelungen zu sein, die Führungsspitze der Landeswahlleitung steht jedenfalls mit den Bezirken in engem Austausch, und Bröchler lobt diese als „Kraftwerke der Wahlorganisation“. Das in Berlin oft übliche Verantwortungspingpong ist ihm fremd. Im Gegenteil. Er will klare Verwaltungszuständigkeiten und wesentlich mehr Verantwortung für den Landeswahlleiter – ein Landeswahlamt, Durchgriffs- und Kontrollrechte gegenüber den Bezirken, auch dort ständige Wahlämter.
Bröchler: „Ich habe mit Strukturreformen noch gar nicht angefangen“
„Ich habe noch viel vor“, sagt er wenige Tage vor der Wahl, „mit den Strukturreformen haben wir ja noch gar nicht angefangen.“ Er appelliert er an die Politik, diesen Weg zu ebnen. Bislang stehen alle an seiner Seite. Noch so eine Pannenwahl will niemand erleben.

Die Frage ist, wie viel Unterstützung er langfristig bekommt, wenn jetzt alles glatt läuft und die Notwendigkeit von Reformen verblassen könnte. Immerhin, Innensenatorin Iris Spranger (SPD) steht hinter ihm. Auch bei ihr bedankt er sich stets, sie habe immerhin seinen Mitarbeiterstab von vier auf 13 aufgestockt – wenn auch zunächst befristet.
Noch ist er im „Reparaturmodus“
Bis Strukturreformen greifen, bleiben Stephan Bröchler und sein Team im „Reparaturmodus“, wie er es nennt. Etliche praktische Verbesserungen haben sie bei dieser Wahl schon umgesetzt (siehe Text unten). Er selbst wird am Sonntag zunächst mit seiner Frau in Pankow ins Wahllokal gehen, dann fährt er in die Innenverwaltung an der Klosterstraße, wo die Landeswahlleitung ihren Sitz hat. Anschließend schaut er sich in einigen Wahllokalen um, abends verfolgt er die Ermittlung der Wahlergebnisse im Amt für Statistik. Dort laufen die Auszählungsstände zusammen.
Und wie geht es ihm so bei alledem? „Wie kurz vor Beginn einer Vorlesung“, gewährte er in seiner sympathischen Art kürzlich Journalisten Einblicke in seinen Gemütszustand – konzentriert und strukturiert, aber auch ein wenig nervös. Das müsse auch so sein, sagt er, „es wäre doch furchtbar, wenn ich mich jetzt zurücklehnen würde“. Aber er schlafe ausgezeichnet, sagt er noch. Wenigstens das.
Die Wahlprogramme der Parteien im Überblick:
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