Berlin. Die letzte aktuelle Stunde vor der Berlin-Wahl 2023 legt die Differenzen zwischen CDU und möglichen künftigen Bündnispartnern offen.
Mit harten Attacken auf CDU-Fraktionschef Kai Wegner haben die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken am Donnerstag in der letzten Abgeordnetenhaussitzung vor den Wahlen am Sonntag die Reihen geschlossen und einen gemeinsamen Gegner definiert.
SPD-Fraktionschef Raed Saleh bedachte den Vorsitzenden der in den Umfragen vorne liegenden CDU mit Spott. Er trug Daten über die positive Wirtschaftsentwicklung der Stadt vor, das Wachstum, das über dem Bundesdurchschnitt lag, die 25 Milliarden Euro, die Wagniskapitalgeber in Berliner Start Ups gesteckt haben, die wachsende Anzahl von Betrieben, die steigenden Arbeitseinkommen. „Große Entwicklungen, die es nach der Kampagne der CDU gar nicht gibt“, rief Saleh: „Sie waren Zuschauer“, sagte der Sozialdemokrat, der wie Wegner aus Spandau kommt: „Wir arbeiten – und Sie? In 80 Phrasen um die Welt“, warf er dem Christdemokraten vor.
„Sie wollen den Familien ins Portemonnaie greifen“, warf Saleh dem CDU-Chef vor der Berlin-Wahl 2023 vor
„Ich trage nur Fakten vor, das müssen Sie aushalten“, sagte Saleh in das empörte Murren aus der CDU-Fraktion. Die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken klatschten ausdauernd. „Ist doch peinlich“, rief einer aus den Reihen der CDU.
Saleh hob auch die Entlastung der Familien durch gebührenfreie Kitas, Horte, durch Gratis-Schulessen und Schülerticket hervor. „Die Gebührenfreiheit ist ein grundsätzliches Gegenkonzept zur Herdprämie der CDU“, sagte Saleh, und ein „echter Standortvorteil unserer Stadt“. Weil die von der CDU designierte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch öffentlich über eine Wiedereinführung von Gebühren nachdachte, ritt Saleh eine weitere Attacke auf Wegner: „Sie wollen Familien schamlos ins Portemonnaie greifen“, sagte der SPD-Mann: „Ihr Dementi, Herr Wegner, ist vollkommen unglaubwürdig.“
„Wer die Verkehrswende rückabwickeln will, schadet der Wirtschaft“, so die Grünen
Auch die Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel arbeitete sich an der CDU ab. „Wissen Sie Herr Wegner, das letzte Mal, als die CDU regiert hat, hatten wir den größten Finanzskandal des Landes. Dafür zahlen wir heute noch“, sagte Gebel mit Blick auf den Bankenskandal der Jahrtausendwende. Sie warf der Union vor, mit einem „Rollback“ in der Verkehrspolitik und einem zögerlichen Klimaschutz den Wirtschaftsstandort zu gefährden.
„Wer modern wirtschaften will, wird grün wirtschaften müssen“, sagte die Grüne: „Wer die Verkehrswende rückabwickeln will, handelt nicht nur klimafeindlich, sondern auch wirtschaftsfeindlich.“ Bezahlbare Wohnungen und grüne lebenswerte Kieze „seien harte Faktoren, um Menschen nach Berlin zu ziehen“ Überhöhte Mieten schwächten den Wirtschaftsstandort Berlin.
„Sie bekommen nicht mal hin, dass die U-Bahn fährt“, konterte Wegner die Angriffe vor der Berlin-Wahl 2023
Kai Wegner begann seine Rede im Stile eines Bürgermeisters mit Kondolenz-Worten für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien. Dann griff er seinen SPD-Kollegen an: „Herr Saleh, die Verzweiflung muss schon ganz schön groß sein“, sagte Wegner. „Man könnte denken, alles sei gut in Berlin, wir befinden uns quasi im Wirtschaftswunderland. Aber Berlin ist das Bundesland mit der zweithöchsten Arbeitslosigkeit hinter Bremen.“
Der Senat habe es in einem Jahr geschafft, die „die unbeliebteste Landesregierung in ganz Deutschland“ zu sein. „Sie bekommen es noch nicht mal hin, dass die U-Bahn fährt, dass die Leute Termine in den Bürgerämtern bekommen und eine demokratische Wahl zu organisieren.“ Wegner nahm sich auch die Grünen vor. „Sie schließen den Händlern die Straße vor der Nase“, sagte Wegner mit Blick auf die Friedrichstraße: „Wer eine Millionenmetropole will, darf kein Öko-Dorf schaffen.“
„Alle Phrasen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Berlin schlecht regiert wird“
Alle Phrasen der Koalition könnten „nicht drüber hinwegtäuschen, dass Berlin schlecht regiert wird“, sagte Wegner. „Berlin feiern, Senat feuern“, sei das Motto: „Die Zukunft gestalten wir nicht mit einer Koalition der Vergangenheit.“ Nur seine Christdemokraten klatschten, auch in den Reihen der FDP und der AfD applaudierte niemand.
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wandte sich ebenfalls persönlich an den Rivalen, der sie am Sonntag aus dem Roten Rathaus verdrängen könnte, dafür aber Grüne oder SPD als Bündnispartner benötigt. Auch sie verwies auf die positiven Wirtschaftsdaten: „Die Zahlen sind eindeutig, Herr Wegner“, sagte Giffey: „Aber wenn man alles schlecht redet, kann man nicht das Potenzial der Stadt entdecken.
Giffey vor der Berlin-Wahl 2023: „Wer alles schlecht redet, kann man nicht das Potenzial der Stadt entdecken“
Berlin gehöre bereits zu den innovativsten Regionen Europas und könne auch zur wirtschaftsstärksten Metropolregion Europas werden. Nur mit einer starken Wirtschaft könne man sich das Soziale leisten, das unabdingbar sei in Berlin, sagte die Sozialdemokratin. Sie verwies auf die in Berlin anders als in anderen Bundesländern bereits laufenden Hilfszahlungen in der Energiekrise.
„Wenn man kritisieren will, sagt man immer, zu spät, zu wenig und nicht für immer“, sagte Giffey an Wegners Adresse. „Es passt nicht in ihr Bild, das unser Online-Hilfssystem für 330.000 Haushalte mit Öl und Pellets schon läuft.“ Sie kritisierte auch den Wahlkampf-Stil: „Was teilweise die Debatten der vergangenen Wochen prägte , war Spaltung“, sagte Giffey. Eine „Philosophie, sage mir deinen Vornamen und ich sage dir wer du bist“, könne kein Konzept für die Zukunft sein.