Neutralitätsgesetz

Pauschales Kopftuchverbot: Berlin scheitert mit Beschwerde

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Joachim Fahrun
Eine junge Frau mit Kopftuch geht an einem Behördenschild mit dem Bundesadler vorbei.

Eine junge Frau mit Kopftuch geht an einem Behördenschild mit dem Bundesadler vorbei.

Foto: dpa

Das Kopftuchverbot in Berlin ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu halten. Darum geht es, das passiert nun.

Berlin muss seine Regeln für religiöse Symbole in Schulen und anderen öffentlichen Bereichen ändern. Das pauschale Verbot etwa des Kopftuches für muslimische Lehrerinnen ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu halten.

Der Senat werde sich zeitnah mit der verfassungskonformen Ausgestaltung des Gesetzes befassen, teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung am Donnerstag mit. Man respektiere die Entscheidung.

Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) sagte, ein pauschales Kopftuchverbot für Pädagoginnen werde es in Berlin in Zukunft nicht mehr geben. „Auch die anderen im Neutralitätsgesetz geregelten Bereiche werden überprüft werden müssen.“

Kopftuchverbot: Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht hat es abgelehnt, über eine Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin zu entscheiden. Die Bildungsverwaltung hatte gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes Einspruch erhoben. Die obersten Arbeitsrichter hatten einer muslimischen Frau 2020 eine Entschädigung von 5159 Euro zugesprochen, weil sie als Trägerin eines Kopftuches keine Chance hatte, an einer öffentlichen allgemeinbildenden Schule in Berlin als Lehrerin zu arbeiten.

Was ist der Hintergrund?

Das Neutralitätsgesetz regelt ein Verbot sichtbarer religiöser weltanschaulicher Symbole an öffentlichen Schulen, „die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren“. Sie dürfen auch keine auffallenden „religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“. Das Gleiche gilt auch für die Polizei und in der Justiz. Diese pauschale Regelung ist so nicht zu halten. Es muss nun nachgewiesen werden, dass durch das Tragen eines Kopftuchs etwa der Schulfrieden bedroht werde.

Warum geht es vor allem ums Kopftuch?

Vor allem religiöse muslimische Frauen sehen sich diskriminiert, empfinden die Regel als Berufsverbot. In mehreren Klageverfahren hatten abgewiesene Bewerberinnen vom Land Berlin eine Entschädigung erstritten, weil sie anstatt einer Grundschule etwa an einer Berufsschule angestellt wurden, wo das Kopftuchverbot nicht gilt. „Es gab kein faires Bewerbungsverfahren“, sagte die Anwältin Zeynep Cetin, die mehrere Frauen vertritt. Einige seien nach Brandenburg ausgewichen, wo das Tragen des Kopftuchs erlaubt ist. Auch NRW und Hessen haben unter einer CDU-geführten Regierung ihre Regeln angepasst.

Was ist eigentlich das Problem?

Befürworter des Neutralitätsgesetzes befürchten, dass muslimische Mädchen eher das Kopftuch tragen wollen oder von ihren Familien oder Mitschülern dazu gedrängt werden, wenn Lehrerinnen ein solches tragen. Gegner argumentieren genau anders herum: Für muslimische Mädchen könnten Lehrerinnen mit Kopftuch Vorbilder für den Bildungsaufstieg sein.

Werden Lehrkräfte mit Kopftuch jetzt eingestellt?

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte wegen der unterschiedlichen Positionen in ihrer Mitgliedschaft nie eine klare Position. Jetzt drängt sie auf eine schnelle Änderung oder Abschaffung des Neutralitätsgesetz. „Wir begrüßen, dass es jetzt Rechtssicherheit gibt“, sagte der GEW-Landesvorsitzende Tom Erdmann am Donnerstag. Es müsse aber schnell Klarheit geschaffen werden, weil das Bewerbungsverfahren für das Schuljahr 2023/23 laufe. Anwältin Cetin ist sicher: „Jetzt muss eingestellt werden.“ Auch Gegnerinnen des Kopftuches an Schulen wie die CDU-Bildungsexpertin Katharina Günther-Wünsch gehen davon aus, dass die bisherige Praxis zeitnah geändert wird. Es werde sich aber zunächst nur um einige Einzelfälle handeln, hieß es.

Wie läuft die politische Debatte jetzt?

Auch bei SPD, Grünen und Linken, die sich nun eine Abschaffung des Kopftuchverbots aussprechen, waren vor allem feministisch inspirierte Politikerinnen und Politiker oder auch die CDU gegen religiöse Symbole an Schulen. Die rot-grün-rote Koalition spielte auf Zeit. Erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sollte das Thema gelöst werden. „Wir sind verabredet, das Gesetz im Rahmen der Rechtssprechung anzupassen“, sagte SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte, das Neutralitätsgesetz müsse geändert werden. „Entscheidend ist, was Menschen im Kopf haben und nicht auf dem Kopf.“ Die CDU-Rechtspolitikerin Cornelia Seibeld erklärte dagegen, es könne weiterhin „nicht geduldet werden, wenn religiöse Symbole wie das islamische Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden. Das würde den Frieden und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährden“. Die CDU verlangt, im neuen Gesetz den Begriff „Schulfrieden“ genauer definieren und eine Handhabe zu schaffen, um Frauen mit Kopftuch doch aus den Schulen fernzuhalten.

Wie reagieren Schulleitungen?

Im Alltag schlagen sich Schulen schon länger mit den praktischen Folgen des Gesetzes herum. Manche Lehrerinnen kämen mit Kopftuch in die Schule, zögen sich dann in der Toilette um, wird berichtet. In Schulhorten sind zudem bei freien Trägern angestellte Erzieherinnen mit Kopftuch im Einsatz. Viele Schulleiter sehen die Sache deshalb eher pragmatisch. Sie sei zwar „großer Fan der Neutralität für alle“, sagte etwa Constanze Rosengart, Leiterin der Carl-Schurz-Grundschule in Spandau. Aber man müsse auch jeden Fall individuell betrachten. Wer in Berlin eine Schule leite, müsse man offen sein.