Berlin. Der Ausbau des Radverkehrsnetzes in Berlin kommt weiterhin nur zäh voran. Wie eine Auswertung des Vereins Changing Cities ergeben hat, wurden seit 2018, als der erste Teil des Mobilitätsgesetzes beschlossen wurde, 113 Kilometer an Radwegen fertiggestellt. Bis zum Jahr 2030, wenn das Radverkehrsnetz in der Hauptstadt komplett sein soll, müssen allein im sogenannten Vorrangnetz, für das besondere Standards gelten, rund 800 Kilometer entstehen. Im Ergänzungsnetz sind es etwa 1500 Kilometer.
Dazu kommen weitere Wege an Hauptstraßen – Changing Cities setzt hier gut 300 Kilometer als Ziel an, die Senatsverkehrsverwaltung spricht sogar von 550 Kilometern – sowie Radschnellwege. Rechnet man diese mit ein, so sind laut Changing Cities erst gut vier Prozent der vorgesehenen Strecken geschaffen worden.
Noch schlechter fällt die Bilanz aus, wenn betrachtet wird, ob die eigentlich vorgegebenen baulichen Standards eingehalten werden. Dazu zählen im Vorrangnetz die Regel-Breite von mindestens 2,50 Metern, außerdem eine Führung als eigenständiger Sonderweg und eine griffige, ebene Oberfläche, etwa aus Asphalt. Den Angaben von Changing Cities zufolge werden diese Maßgaben nur auf rund einem Viertel der bislang errichteten Strecken eingehalten; insgesamt sind das demnach 27 Kilometer.
Nur ein geringer Teil der Radwege erfüllt alle Standards
Legt man auch noch weitere Standards zugrunde, die nicht die direkten Eigenschaften des Radwegs betreffen, wie eine Priorisierung an ausgewählten Ampeln, dann bleiben laut Changing Cities nur 17 Kilometer übrig, die allen Vorgaben entsprechen. „Es muss einen Fokus darauf geben, dass bei Maßnahmen, die jetzt geschehen, die Standards eingehalten werden“, sagt Jens Steckel von Changing Cities. „Ausnahmen gibt es schon an viel zu vielen Stellen.“ Diese Ausnahmen würden jedoch die Sicherheit für Radfahrende minimieren – beispielsweise wenn in Fahrradstraßen die Fahrgasse zu schmal angesetzt wird, sodass Konflikte mit Menschen entstehen können, die aus parkenden Autos aussteigen.
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Analysiert hat der Verein, der im Jahr 2016 bereits den Volksentscheid Fahrrad mitinitiiert hatte, auch, wie sich der Ausbau des Radverkehrsnetzes bislang auf den Kfz-Verkehr ausgewirkt hat. Angaben macht Changing Cities bislang allerdings nur zu Fahrstreifen, die für Radwege weggefallen sind. Zu Parkstreifen befinde man sich noch in der Auswertung, heißt es.
Mit Blick auf Fahrstreifen sind die Einschnitte für Autofahrer bisher überschaubar: Auf 8,4 Kilometer Länge sind laut Verein zwei Fahrstreifen weggefallen, auf 13,3 Kilometer sei es eine Fahrspur. Betroffen seien damit 0,4 Prozent des von Autos benutzbaren Straßennetzes, heißt es.
Ausbau der Radwege: Changing Cities sieht Bedarf von 270 Stellen
Die Flächenumverteilung in Berlin – also weg vom Auto- und hin zum Radverkehr – werde beim fortschreitenden Ausbau des Radnetzes mehr werden, sagt Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen. Bislang habe diese allerdings kaum stattgefunden, wenigstens wenn man die Umwandlung von Fahrstreifen betrachtet.
Gefordert wird vom Verein angesichts der Zahlen nun ein „Fokus des Senats auf den Ausbau des Radnetzes“. „Am Ende zählen nur die Kilometer, die auf die Straße kommen“, so Sørensen. Neben einer Beschleunigung setzt sich der Verein auch dafür ein, Planung und Umsetzung des Vorrangnetzes sowie der Radwege an Hauptstraßen an zentraler Stelle auf Senatsebene zu koordinieren statt in den Bezirken.
Großen Bedarf sieht Changing Cities auch bei den Mitarbeitern in der Verwaltung. „Wir haben berechnet, dass wir ungefähr 270 neue Stellen brauchen. Im Moment sind 80 Stellen eingeplant, das wird nicht reichen.“ Das betrifft demnach auch die Projekteinheit von Senat und Bezirken, die im vergangenen Jahr mit dem Ziel gegründet wurde, Radwege dort schneller umzusetzen, wo keine großen Umbauten nötig sind. Außer Spandau sind laut dem landeseigenen Unternehmen Infravelo nun alle Bezirke daran beteiligt. Die vorgesehenen Projekte umfassen demnach eine Länge von 32 Kilometern.
Changing-Cities-Vertreter Steckel spricht dagegen von rund 1000 Kilometern, auf denen Radwege ohne große bauliche Veränderungen entstehen könnten – dafür sei aber das Zehnfache des bisherigen Personals nötig. „Die Chance, mit einem großen Wurf voranzukommen, ist dadurch vertan“, sagt er.