Berlin. Dass sich Parteispitzen in einen Landeswahlkampf einbringen, ist nichts Ungewöhnliches. Der Besuch des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz am Freitag – rund zwei Wochen vor der Wiederholungswahl in Berlin – wiederum hatte eine besondere Note: Vier Wochen nach den Silvester-Ausschreitungen in Neukölln kam der Politiker in den Bezirk, um mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Krawalle zu diskutieren. Pikant dabei ist, dass Merz in jüngster Vergangenheit immer wieder rechte Rhetorik vorgeworfen wurde. So bezeichnete er arabischstämmige Jugendliche im Rahmen der Silvester-Diskussion als „kleine Paschas“.
Nach Merz-Aussage verlassen Personen den Saal
Eine Äußerung, auf die Merz auch in seiner Rede im Neuköllner Gemeinschaftshaus einging, wo laut CDU 450 Personen saßen. Er habe in der Sendung „Markus Lanz“ mehrmals darauf hingewiesen, dass er damit die große Mehrheit der Zugewanderten nicht meine. „Das ist Manipulation durch Ausschnitte“, ärgerte sich der Parteichef und ließ keinen Zweifel, dass er nicht nachlassen werde, Probleme beim Namen zu nennen:„Über Rechte und Verpflichtungen müssen wir sprechen.“
Zunächst aber schlug Merz mit dem Holocaust-Gedenktag, der jährlich am 27. Januar begangen wird, einen großen Bogen zu seiner eigentlichen Botschaft. In einer emotionalen Ansprache verkündete er, stolz darauf zu sein, wie Deutschland sich vor dem Hintergrund der Nazi-Verbrechen entwickelt habe. „Wir leben in einem der freiheitlichsten und schönsten Länder der Welt, und das wurde durch politische Entscheidungen ermöglicht.“
Der durch ihn hergestellte Zusammenhang zwischen Holocaust-Gedenken und Nationalstolz sorgte bei einer Gruppe junger Zuschauerinnen und Zuschauer für Empörung. „Das ist rassistischer Scheiß“, rief ein Mann beim Verlassen des Saals. „Wenn Sie denken, dass das rassistischer Scheiß ist, dann haben wir an der Stelle erkannt, welches Problem wir mit einer kleinen Minderheit in diesem Land haben“, reagierte Merz.
Merz betont notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt - mit Zugewanderten
Angesichts der Geschichte Deutschlands und der derzeitigen Herausforderungen brauche es einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Das ist nicht nur mit Bio-Deutschen möglich“, so Merz. Auch Zuwanderung sei notwendig. Allerdings müsse differenziert werden: „Wer braucht uns und wen brauchen wir? Das sind nicht immer dieselben“, sagte Merz im Hinblick auf Geflüchtete und Fachkräfte.
Auf die Frage, wann nicht mehr zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden werde, entgegnete er: „Wir tun es jetzt und sofort.“ Die Silvester-Randalierer, die eine kleine Minderheit darstellten, zerstörten jedoch die Bemühung, diesen Zusammenhalt herzustellen. Gleichzeitig zog er eine klare Linie zwischen der CDU und der AfD. „Es wird keinen Millimeter Zusammenarbeit mit solchen Leuten geben“, sagte er, was im Publikum für tosenden Applaus sorgte.
Kritik von Franziska Giffey im Vorfeld
Während sich Merz im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt gegen Rechts abgrenzte, wurde ihm außerhalb davon das Gegenteil vorgeworfen. „Es ist perfide, dass die CDU am Holocaust-Gedenktag diese Veranstaltung in Neukölln organisiert“, sagte der Sprecher der Linken Neukölln, der gemeinsam mit einer kleinen Gruppe vor dem Gemeinschaftshaus demonstrierte. „Die CDU ist hier, um rassistische Hetze zu betreiben.“ Statt die Probleme im Bezirk zu besprechen, wie die Wohnungsnot, stelle die CDU die Silvester-Krawalle in den Mittelpunkt und reduziere die Silvester-Debatte auf die ethnische Herkunft.
Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey übte Freitagmittag harsche Kritik an Merz: „Sich sonst nie blicken lassen, null Probleme lösen und dann im Wahlkampf große Töne spucken, das ist kein Politikansatz für Berlin“, schrieb sie auf Twitter. „Die Masche ist bekannt: Erst spalten und hetzen, dann wieder relativieren. Mit diesem Muster macht die CDU Positionen der Rechten salonfähig.“
CDU stärkste Kraft in Berlin
Neben den Aussagen des Parteichefs Merz ist auch die Berliner CDU in der letzten Zeit in Verruf geraten. Nachdem die Partei im Innenausschuss nach den Vornamen der Silvester-Täter gefragt hatte, hagelte es Kritik von SPD, Grüne und Linke. Daraufhin erteilte die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch einer möglichen Koalition mit der CDU eine Absage.
Das scheint den Konservativen bei den Umfragen jedoch nicht geschadet zu haben: Derzeit liegt die Berliner CDU in Umfragen vor den Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke. Mit 23 Prozent verzeichnen die Konservativen ein Plus von fünf Prozentpunkten. Mit diesem Ergebnis kann die CDU rechnerisch eine Koalition mit den Grünen und der FDP sowie mit SPD und der FDP eingehen. Die gegenwärtige Regierungskonstellation rot-grün-rot hätte jedoch ebenfalls Chancen auf eine Regierungsmehrheit.