Berlin. Oskar Schuster ist Komponist. Seine sanfte, melancholische Musik veröffentlicht er online. Auf die Bühne zieht es ihn nicht.

Oskar Schusters Körperhaltung verändert sich merklich, als er in die Tasten des Dulcitone drückt. Helle Töne erklingen, erfüllen sein Heimstudio in dem Berliner Stadtteil Moabit. Nun strahlt er Selbstsicherheit aus. „Beim Dulcitone schlagen die Hämmer, anders als bei dem Klavier, auf Stimmgabeln“, erklärt er, dreht sich um, spielt die Celesta. „Bei der Celesta wiederum auf ein Glockenspiel.“

Schusters Musik ist Instrumentalmusik, kommt ganz ohne Gesang aus. Seine Stücke laden ein, sich fallen zulassen, zu versinken. Mal bringen sie eine beinahe traurige Leichtigkeit mit, mal vermitteln sie eine tiefgründige Freude. „Ich habe eine melancholische Grundstimmung. Das kommt in meiner Musik immer wieder durch“, so der Komponist. „Es ist dieses eine Gefühl, das ich mit jedem Stück etwas perfekter auszudrücken versuche.“ Dafür experimentiert er mit verschiedenen und immer neuen Instrumenten, hat fortwährend neue Ideen. Während der Pandemiephase hat sich Schuster zum Beispiel das Trompetenspielen beigebracht, welches Einzug in sein jüngstes Album fand.

Dagegen, seine Musik einem Genre zuzuordnen, wehrt sich der Künstler. Wenn würde er sie als Post-Classical oder Neo-Classical bezeichnen, aber auch das sei nicht wirklich treffend. Einflüsse und Inspiration kommen zum Beispiel aus der klassischen, romantischen Klaviermusik – Robert Schuhmann, vom französischen Chanson, von Künstlern wie Yann Tiersen, der die Filmmusik zu dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ komponiert hat oder von Bands wie Beirut, so Schuster. „Seine Musik ist wie das Öffnen einer Spieluhr, mit kleinen Figuren, die tanzen – und mit ihnen wirbeln deine traurigen und glücklichen Momente, deine Träume und Wünsche herum“, beschreibt es Schusters Frau, Angie.

Lebenstraum Komponist

Aufgewachsen ist der 39-Jährige in einem Dorf bei Rosenheim in Bayern. „Das Hochzeitsgeschenk meines Vaters an meine Mutter war ein Klavier“, erzählt er. Schon als kleines Kind hätte er darauf herumgeklimpert, ab seinem sechsten Lebensjahr Unterricht genommen. „In meiner Jugend hatte ich einen Freund, der komponiert hat, ein anderer Freund war begeisterter Pianist“, erinnert sich Schuster. „Als ich ihn zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: So will ich auch spielen können!“ Er begann selbst zu komponieren und sich noch intensiver der Musik zu widmen; brachte sich Gitarre und Bassgitarre bei und spielte in verschiedenen Bands. „Von da an war es mein Lebenstraum, Komponist zu werden“, so Schuster, streicht sich mit beiden Händen die Haarsträhnen links und rechts aus dem Gesicht.

In München studierte er mehrere Jahre Musikwissenschaften und Informatik. „Eigentlich wollte ich auf die Musikhochschule, aber ich hatte zu viel Respekt vor der Aufnahmeprüfung.“ Er habe nie das Bedürfnis verspürt auf der Bühne zu stehen, scheute sich davor. „Das war immer ein Grund, warum ich dachte, ich sollte nicht Musiker werden“, erklärt Schuster. Doch erneut ließ er sich durch die Leidenschaft seines Schulfreunds anstecken, brach das Studium ab, zog nach Berlin, um eine Band zu gründen. Der Freund zog zurück, Schuster blieb in Berlin, bewarb sich doch an der Musikhochschule für Komposition. Als er mit der Begründung abgelehnt wurde, dass seine Musik nicht in das Schema der Hochschule passe, beschloss er selbst ein Album aufzunehmen und online zustellen, erzählt Schuster. „Es hat mich traurig gemacht, im ersten Moment, aber auch trotzig.“

Seine Musik veröffentlicht er online

Seitdem arbeitet Schuster professionell als Komponist. „Ich bin jemand, der am besten allein arbeiten kann“, sagt er von sich. Eine regelmäßige Zusammenarbeit besteht nur mit Angie, die selbst Grafik-Künstlerin ist. Mit ihr hat er aufwendige Musikvideos zu einigen seiner Lieder geschaffen, Animationen aus handgezeichneten Bildern oder Kollagen. Seine Kunst veröffentlicht er online, auf Youtube und Spotify. Er sei in der privilegierten Position von seiner Kunst leben zu können, keine Auftragsarbeiten annehmen zu müssen.

Schuster gibt keine Auftritte. „Es ist der Druck. In dieser Situation musst du funktionieren. Ich bin Perfektionist und möchte keinen Fehler machen. Das bedeutet unglaublichen Stress für mich.“ Schuster ist eine zarte Persönlichkeit, seine Kunst braucht Raum und Ruhe. Deadlines seien nichts für ihn, an manchen seiner Stücke hätte er jahrelang gefeilt. „Ich habe bei jedem Stück die Angst, dass es nicht gut ist. Deswegen zeige ich es vor der Veröffentlichung lieber niemanden – maximal meiner Frau.“ Eine Sorge, die vollkommen unbegründet ist. Das wird klar, sobald irgendeines von Schusters circa 120 veröffentlichten Stücken erklingt.

Konstant im kreativen Prozess

Einen strukturierten Arbeitsalltag hat der Komponist nicht. Vor allem in den Abend- und Nachtstunden entstünde seine Musik. Tagsüber wäre er zu sehr abgelenkt. Es gäbe Phasen, in denen er wochenlang komponiere und dann wieder Phasen, in denen er nur am Computer produziere oder Demos aufnehme. „Für mich wirkt es so, als wäre Oskar konstant im kreativen Prozess, am Suchen. Es gibt Momente, in denen ich ihn anspreche, er aber nicht auf ‚diesem Planeten‘ zu sein scheint. In seinen Gedanken arbeitet er dann an einer neuen Melodie“, so Angie.

Anfangs sei seine Musik noch minimalistischer gewesen. „Auch weil ich Angst hatte. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen. Mittlerweile traue ich mich mehr. Traue mich, mit meinen Kompositionen auch Grenzen zu überschreiten.“ Schuster hat aufgehört, sich in seiner Kunst selbst einzuschränken, sondern macht das, was ihm gefällt – auch wenn es als zu viel oder zu kitschig empfunden werden könnte.

Musik aus dem Unterbewussten

Den fertigen Stücken gibt der Komponist außergewöhnlich klingende Titel. „Ich suche oft Wörter aus Sprachen, die ich nicht spreche, die einen mysteriösen Klang haben. Ich will klischeehafte Titel vermeiden, wie es bei Klaviermusik häufig der Fall ist“, erklärt Schuster. „Oft sind es abstruse Wörter, oder einfach Wörter mit schönem Klang.“ Die Titel vage und unkonkret zu lassen, macht für ihn Sinn. Seine Musik käme aus dem Unterbewussten. „Musik ist etwas Mysteriöses, Magisches für mich. Etwas, das ich gar nicht benennen kann. Aber auch genau das macht es aus“, erklärt er, sein Blick schweift aus dem Fenster.

„Ich glaube Musik ist für ihn das Portal zu einer magischen Welt voll Träume, Aufrichtigkeit, ohne Krieg und Gewalt“, so Angie. Durch seine Kompositionen nimmt uns Schuster mit in diese schöne, wohlig klingende Welt, voller heller, aber auch melancholischer Melodien.

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