Sozialpolitik

Berlins SPD will ein Pflegewohngeld einführen

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Joachim Fahrun
Pflegeeinrichtungen schlagen ihre Investitionskosten auf den Pflegesatz drauf, den die Bewohner zahlen müssen. Davon will die SPD Pflegebedürftige entlasten

Pflegeeinrichtungen schlagen ihre Investitionskosten auf den Pflegesatz drauf, den die Bewohner zahlen müssen. Davon will die SPD Pflegebedürftige entlasten

Foto: Ute Grabowsky / Photothek via Getty Images

Ärmere Pflegebedürftige sollen einen Zuschuss zu den Heimkosten bekommen. Fraktionsklausur widmet sich vor allem der Sozialpolitik.

Berlin/Nauen.  Mit neuen sozialpolitischen Initiativen möchte die Berliner SPD im Wahlkampf punkten und zugleich Vorlagen für eine Regierungspolitik nach den Wahlen am 12. Februar liefern. Die Abgeordnetenhaus-Fraktion beschloss am Sonnabend auf ihrer Klausurtagung auf dem Landgut Stober bei Nauen (Kreis Havelland), neue Zuschüsse für Pflegebedürftige einzuführen, die unter steigenden Kosten leiden. „Wir müssen mit einem Pflegewohngeld für weitere Entlastung der Menschen sorgen“, sagte der Landes- und Fraktionsvorsitzende Raed Saleh.

Diese Sozialleistung gibt es bereits in anderen deutschen Bundesländern, unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Mit dem Pflegewohngeld werden bewohnerbezogen die Pflegeheime gefördert. Damit übernimmt das Land für einkommensschwächere Pflegebedürftige einen Teil der Investitionskosten. Diese fließen neben den von der Pflegeversicherung getragenen eigentlichen Kosten für die Pflege in den von den Bewohnern zu tragenden monatlichen Zahlbetrag ein.

Andere Bundesländer haben schon ein Pflegewohngeld, wie es die SPD nun plant

Nordrhein-Westfalen hat die Einkommensgrenze für das Pflegewohngeld auf 10.000 Euro für Alleinstehende und 15.000 Euro für Paare angesetzt. In Schleswig-Holstein können beispielsweise bis zu 15,35 Euro täglich gewährt werden, im Nord-Land bekommen mehr als 8000 Menschen Pflegewohngeld.

SPD-Klausur: Franziska Giffey strahlt Optimismus aus

Seit Jahren machen sich die Sozialdemokraten im Berliner Abgeordnetenhaus im Januar auf zu einer Klausurtagung. Man lernt sich noch besser kennen, schließt die Reihen und bereitet die inhaltliche Arbeit des Jahres vor. Kaum einen Monat vor der Wahl ist der Blick in die weitere Zukunft über den 12. Februar hinaus allerdings schwieriger als sonst. Unter den Abgeordneten geht die Sorge um, dass sie einem neuen Landesparlament nicht mehr angehören könnten. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey kann nicht sicher sein, nach den Wahlen noch im Roten Rathaus wirken zu können.

Aber trotz aller Kritik unter anderem wegen der Silvesterkrawalle strahlt die SPD-Spitzenkandidatin Optimismus aus. „Lassen wir uns nicht beirren von Klickzahlen und Umfragen“, mahnte sie ihre Fraktionskollegen: „Wir haben eine gute Chance“, sagte Giffey. Es werde weitergehen nach dem 12. Februar. „Wir müssen sehr zügig wieder ins Regieren kommen.“

Saleh wirbt mit erzielter Entlastung für Berliner Familien

Überhaupt sind Sacharbeit und das Soziale die wichtigsten Argumente der SPD im Rennen ums Rote Rathaus gegen Grüne und CDU. „Andere haben ihre Zeit in Hinterzimmern mit grün-schwarzen Gardinen verbracht“, sagte der Landes- und Fraktionschef Raed Saleh: „Wir haben gearbeitet, um die konkrete Lebenswirklichkeit der Berliner zu verbessern.“

Er verwies auf die vielen Beschlüsse der SPD etwa für Gratis-Tickets, Gratis-Schulessen, Gebührenfreiheit für Kitas und Horte und Berlin-Zulage im Öffentlichen Dienst. Damit werde eine Berliner Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern um 750 Euro monatlich entlastet. Inzwischen seien die Grünen von der CDU abgerückt, Landeschef Kai Wegner stehe nun alleine da: „Der einsame Kai“, spottete Saleh über den ebenfalls aus Spandau stammenden CDU-Chef.

Giffey kritisierte die CDU scharf, weil diese nach den Vornamen der Silvesterrandalierer gefragt hatte. Sie könne nicht akzeptieren, dass der Name darüber entscheidet, „ob ich jemanden als guten oder als schlechten Menschen einstufe. Das kann doch nicht wahr sein.“ Man müsse wegkommen von der Diskussion, „wer eigentlich ein richtiger Berliner ist und wer nicht“ und allen mit einem anderen Vornamen zu sagen, „latent gehört ihr nicht dazu“, empörte sich Giffey: „Berlin kann auf niemanden verzichten“.

SPD nimmt pflegebedürtige Menschen in Berlin in den Blick

Insgesamt macht sich die SPD für die bis zu 136.000 pflegebedürftigen Menschen in der Stadt stark. Deren Zahl werde bis 2030 auf 170.000 steigen. Die SPD habe anders als die anderen Parteien die ganze Stadt im Blick, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Das beziehe sich auf die Innenstadt und die Außenbezirke, in der Verkehrspolitik auf Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer, aber auch auf Jung und Alt. Dieser Blick beziehe sich auch auf vermeintliche Innovationen. „Nicht jeder E-Scooter auf einem Bürgersteig hat seine Daseinsberechtigung“, sagte Giffey. Wenn etwa Start-ups neue Konzepte machten, könne es „nicht sein, dass Sehbehinderte Probleme bekommen“, so die Spitzenkandidatin der SPD. Die Nutzung des Straßenlandes durch E-Scooter will die SPD daher begrenzen.

SPD nimmt Berlins 700.000 Menschen über 65 in den Blick: Freier Eintritt in Museen

Auch mit anderen Beschlüssen wendet sich die Fraktion an ältere Berliner, die eine wichtige Wählergruppe darstellen. 700.000 Menschen in der Stadt sind über 65 Jahre alt, das sind 19 Prozent der Bevölkerung. Um ihnen die Teilnahme am kulturellen Leben zu erleichtern, sollen Seniorinnen und Senioren an jedem dritten Mittwoch des Monats freien Eintritt in den Landesmuseen erhalten. Älteren Menschen soll auch das Einkaufen erleichtert werden.

Die SPD setzt sich für ein gemeinsames Konzept mit der Einzelhandelsbranche ein, um den Aufenthalt in den Läden für Ältere und in der Mobilität eingeschränkte Menschen attraktiver zu machen. Da geht es um besser lesbare Schilder, Ruhezonen in den Geschäften, Kunden-Toiletten ohne lange Wege, barrierefreie Zugänge oder langsame Kassen, wo Kunden ohne Zeitstress auch mal ein Schwatzchen mit der Kassiererin führen können.

Kinderärztlicher Notdienst soll die Berliner Kinderkliniken entlasten

Bei der Klausur stand die emotionale Frage der Kindermedizin im Mittelpunkt der Diskussion um die am Abend verabschiedete Resolution. Die SPD unterstützt Pläne der Charité, eine neue Kinderklinik auf dem Campus Virchow in Wedding zu errichten. Angelika Eggert, die Direktorin der dortigen Pädiatrie, warb für den Neubau. Das solle in einer öffentlichen-privaten Partnerschaft passieren, sagte die Professorin, auch wenn die SPD solche Modelle sonst ablehne.

Ein Privater solle das Gebäude hochziehen und dann an die Charité vermieten. Das könnte man in fünf Jahren schaffen, unter rein öffentlicher Regie werde es wohl doppelt so lange dauern. Die Not sei groß. Während der starken Infektionswelle Ende letzten Jahres habe Berlin 1000 kleine Patienten nach Brandenburg verlegen müssen. „Eine Zumutung für Kinder und Eltern“, sagte die Medizinerin.

Charité-Professorin beklagt Fachkräftemangel

Eggert schilderte die Probleme mit der Infrastruktur. So gebe es viel zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten für Eltern, die ihre schwer kranken Kinder oft wochen- oder monatelang begleiten müssten. Krebskranke Jugendliche hätten keine eigenen Zimmer, sondern müssten mit Kindern oder alten Leuten zusammen liegen. Giffey sagte der Charité-Professorin Unterstützung bei der Suche nach Partnern, die ein solches Großprojekt mit einem Volumen von bis zu einer halben Milliarde Euro realisieren könnten. Eine solche Summe aus dem Landeshaushalt aufzubringen, sei nicht realistisch, sagte Giffey. Eventuell könne auch der Bund einen Teil der Summe für ein nationales Kinderkrankenhaus beisteuern.

Die Charité-Professorin beklagte ihr Haupt-Problem, den Fachkräftemangel. Die eigenständige Ausbildung für Kinderkrankenpfleger abzuschaffen, sei ein Fehler gewesen, sagte Eggert. Viele Menschen wollten eben nur mit Kindern arbeiten, diese gingen derzeit in andere Berufe verloren. Für die Anwerbung von Fachkräften aus anderen Ländern sei es zudem dringend nötig, diesen Menschen zu ermöglichen, ihre Familien mit nach Deutschland zu bringen. „Sonst gehen die nämlich bald wieder nach Hause“, sagte Eggert. Der Abgeordnete Lars Düsterhöft warf der Grünen Gesundheitssenatorin Ulrike Gote vor, sich nicht ausreichend um die Bekämpfung des Fachkräftemangels zu kümmern.

Kinderärztlicher Bereitschaftsdienst soll Kliniken entlasten

Zudem soll nach Münchener Vorbild ein kinderärztlicher Bereitschaftsdienst aufgebaut werden, um die überlasteten Kinderkliniken zu entlasten. Der Notdienst wird in München nicht von den Eltern direkt informiert, sondern nach Anrufen auf der Notrufnummer 112 von der Rettungsleitstelle alarmiert.

In der bayerischen Landeshauptstadt teilen sich 25 Ärztinnen und Ärzte die Dienstzeiten. Insgesamt will die SPD den ärztlichen Bereitschaftsdienst für alle Patienten besser finanzieren. Die SPD reagiert damit auf die Ankündigung der Kassenärztlichen Vereinigung, künftig unter der Woche nur noch einen Mediziner anstatt bisher zwei in der Leitstelle zur Beratung der Anrufer einzusetzen.

FDP-Spitzenkandidat Czaja drängt auf strengere Disziplin bei den Ausgaben

Während die SPD im Havelland weitere Sozialleistungen in Aussicht stellte, hat sich Berlins FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja für mehr Haushaltsdisziplin ausgesprochen. Natürlich müsse auch Berlin auf die Krisen kurzfristig mit Entlastungsmaßnahmen reagieren, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende im ersten Spitzenkandidaten-Interview der Berliner Morgenpost. Es sei auch Aufgabe jeder Regierung, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu ermöglichen. „Es ist aber auch dringend notwendig, mittel- und langfristig an der Haushaltsdisziplin festzuhalten, in Infrastruktur und Zukunftsprojekte zu investieren“, mahnte der Freidemokrat: „Wir müssen raus aus dem Krisenmodus und in die Perspektiven der Stadt investieren.“ Da sei die Verwaltungsmodernisierung eine zentrale Aufgabe.