Senatsjugendverwaltung

Vermisste Kinder: Warum Geflüchtete aus Berlin verschwinden

| Lesedauer: 4 Minuten
Sophia Jordan
Nichts als ein Kuscheltier wurde da gelassen. In Deutschland ist die Vermisstenzahl von Kindern und Jugendlichen so hoch wie seit Jahren nicht mehr.

Nichts als ein Kuscheltier wurde da gelassen. In Deutschland ist die Vermisstenzahl von Kindern und Jugendlichen so hoch wie seit Jahren nicht mehr.

Foto: IMAGO / Karina Hessland

Sie kommen alleine her, registrieren sich und dann sind sie weg. Warum immer mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verschwinden.

Berlin. Die Kinder verlassen alleine ihr Land. Ein Großteil von ihnen kommt aus Afghanistan, Marokko, Algerien und Syrien und flüchtet vor dem Krieg. Ihre Eltern wünschen sich für sie eine bessere Zukunft und schicken sie fort. Dann gelangen sie nach Deutschland. Ein Land, das paradiesisch erscheint. Hier gibt es Bildung, ein umfassendes Krankensystem und ganz besonders wichtig: Hier herrscht Frieden. Trotzdem verschwinde fast jeder zehnte geflüchtete Minderjährige kurz nach der Registrierung in Berlin, sagt eine Sprecherin der Berliner Senatsjugendverwaltung dem RBB.

Berlin: Es verschwinden mehr Kinder

Derzeit werden in Berlin und Brandenburg laut RBB 73 geflüchtete Kinder und Jugendliche vermisst. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat vergangenen Freitag mitgeteilt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) nach 2.009 Kindern und Jugendlichen in Deutschland fahndet, ein Anstieg von zehn Prozent und damit die höchste Zahl seit drei Jahren. Normalerweise tauchen die meisten Jugendlichen wieder auf, aber gerade unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) stellen die Beamten oft vor Rätsel.

Einige werden in anderen Ländern gefunden, doch häufig gestaltet sich die Nachverfolgung schwierig und verläuft im Sand. Dabei befragen die Beamten ihr Umfeld, orten das Handy, setzen Drohnen, Spürhunde und Helikopter ein. Als letzte Möglichkeit veröffentlichen sie Fahndungsfotos. Diese sind im sogenannten "Berliner Fenster" der BVG zu sehen. Lesen Sie hier: Viele Ukraine-Geflüchtete wollen in Deutschland bleiben

Berlin: Warum Minderjährige aus Deutschland flüchten

Es beginnt bei der Registrierung. Manche Minderjährige, die Berlin nur als Zwischenstation betrachten, wollen hier nur kurz Kraft schöpfen und ihre nächsten Schritte planen. Bei der Erfassung geben sie deswegen einen falschen Namen an. Das Dubliner Übereinkommen sieht nämlich vor, dass geflüchtete Personen in dem EU-Land bleiben müssen, in dem sie zuerst gemeldet worden sind. Ein falscher Name schützt also, im Zielland zurück nach Deutschland geschickt zu werden.

Laut dem BKA verschwinden mit 95 Prozent geflüchtete Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren. 90 Prozent sind männlich. Viele ziehen weiter zu ihren Verwandten, manche treibt es nach Frankreich, Schweden oder Belgien. Denn in Deutschland werden seit 2017 vermehrt Asylanträge aus Afghanistan abgelehnt, die einen großen Teil der geflüchteten Minderjährigen ausmachen. Gerade das ist aber wichtig, damit Familien ihren Kindern schneller nachziehen können. Laut einer Umfrage des Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) sind mit jeweils 95 Prozent aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten und die Trennung von der Familie die größten Sorgen, die die Minderjährigen tagtäglich begleiten. Belgien geht diesbezüglich anders vor. Hier wird jedem UMF ein Vormund zugeteilt und die Behörden stellen direkt einen Asylantrag. Auch interessant: Wie Arbeit mit Flüchtlingen in Berlin eine Perspektive gibt

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Woran Berlin arbeiten muss

Helen Sundermeyer vom BumF erklärt dem RBB, warum viele Kinder und Jugendliche nicht in Berlin bleiben wollen. "Die jungen Menschen sind in einer fremden Umgebung und brauchen jemanden mit der richtigen Ausbildung, an den sie sich wenden können. Es gibt in Berlin aber viel zu wenige Betreuer. Die Unzufriedenheit ist groß", sagt sie. Gesteigert wird diese durch den sogenannten Königsteiner Schlüssel. Dieser bestimmt, wie viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss. Je nachdem werden dann die Minderjährigen aus ihrem Umfeld in Berlin gerissen und aufs Land gebracht. "Manche wollen vielleicht nicht irgendwo aufs Land, sondern dorthin, wo sie jemanden kennen", sagt Sundermeyer dazu. Lesen Sie hier: Blackout: Das sollten Familien mit Kindern zu Hause haben

Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, sieht das als deutschlandweites Problem, wie er in einer Pressemitteilung verkündete. Mit dem Krieg in der Ukraine sind die Geflüchtetenzahlen in Deutschland gestiegen, die Mittel in Kinder- und Jugendhilfesysteme in vielen Kommunen aber nicht. Laut ihm ind die Standards bei der Betreuung und Unterbringung teils außer Kraft gesetzt. "Auch das ist kinderrechtlich höchst problematisch", gibt Hofmann zu bedenken.