Berlin. Zilles Werk ist die Erzählung von Berlin und den Menschen, die dort leben. Nein anders, gelebt haben. Denn Heinrich Zille, der bärtige Zeichner, den man im Volksmund den „Pinselheinrich“ nannte, starb 1929, kurz nach seinem 70. Geburtstag. Doch wie kein anderer hat er den Geist, die Marotten, das Elend und den Witz der Berliner und Berlinerinnen aufs Papier gebannt.
Mit Stift und Papier zog der Charakterkopf durch die Kieze, durch sein „Milljöh“. Als Künstler wurde er zur Legende, und seine Bilder hielten die Berliner Folklore fest: die Spelunken, Krämerläden, Tanzsäle, Bordelle, Wohnstuben und Straßenszenen. Ob Nachtschwärmer, Bordsteinschwalben oder immer wieder die Gören und Lausebengel, sie alle wurden von ihm verewigt.
Heute sind nach Heinrich Zille Kindergärten, Kleingartenkolonien, Kneipen, Grundschulen und Schnäpse benannt. Man könnte sagen, Berlin ist im doppelten Sinn von Zille gezeichnet.
Zille porträtierte das normale Leben jenseits des Prunks
So weht Zilles Geist zwar noch in der Stadt, aber nach und nach geraten der Mann und seine Bilder in Vergessenheit. Als nicht mehr zeitgemäß, bieder und nostalgisch könnte man Zilles Zeichnungen bezeichnen. Aber sind sie das wirklich? Er porträtierte das normale Leben jenseits des Prunks. Mit viel Respekt dokumentierte er die elenden Zustände in den grauen Hinterhöfen, in denen die Ärmsten der Armen unter teilweise unwürdigen Bedingungen vegetierten und dennoch oft ihren Humor behielten. Zugleich pflegte Zille Freundschaften mit einflussreichen Künstlern seiner Epoche, darunter dem Maler Max Liebermann oder der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz.
Zille ist immer noch aktuell. Das fanden zumindest vier Berliner Künstler: Henning Wagenbreth, der an der Universität der Künste unterrichtet und regelmäßig in Galerien und Museen in ganz Europa ausstellt. Ebenso der Pop-Art-Tausendsassa, Musiker und Partyveranstalter Jim Avignon. Oder Jakob Hinrichs, den man als Illustratoren von Klassikern wie Hans Falladas „Der Trinker“ kennt. Und auch Mawil, der mit „Kinderland“ Berliner Comic-Geschichte geschrieben hat. Dazu kommt als Münchenerin Barbara Yelin, deren Graphic Novels wie „Irmina“ oder „Aber ich lebe“ Themen wie den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust behandeln.
Diese fünf Künstler suchten sich jeweils ein Werk von Zille aus und interpretierten es neu. Auf eigene Art. So fanden sich fünf sehr verschiedene Ansätze und fünf gezeichnete Brücken zwischen der Gegenwart und Zilles Zeiten. Schaut man sich etwa das fröhliche Trio von Jim Avignon an, die melancholische Stimmung am Alexanderplatz von Barbara Yelin, die berühmte Badeszene am Wannsee, die Mawil neu gzeichnete, aber auch Wagenbreths düsteres Motiv mit dem Arzt, der die arme Familie besucht, der gerade das Kind verstorben ist, dann könnte man denken, dass gleich der alte Zille höchstselbst um die Ecke gestampft kommt. Und seinen Skizzenblock herausnimmt. Und zwar heute!
Das "Milljöh" neu gezeichnet als Siebdruck-Edition
Die fünf Arbeiten sind nun als limitierte Edition vom Berliner Stadtmagazin tip im Format von 30 mal 40 Zentimeter als handgefertigte Siebdruck-Edition herausgegeben worden. Signiert und nummeriert finden sie sich in einer dafür speziell angefertigten und auf 199 Exemplare limitierten Mappe. Den Text in dem beiliegenden Heft schrieb der wohl bekannteste Zille-Experte des Landes, Professor Matthias Flügge. Als Kunsthistoriker beschäftigt er sich seit Jahrzehnten mit dem Schaffen des Malers: Die Bilder Zilles erzählen davon, wie Berlin zu der Stadt wurde, die sie heute ist.
In dieser grafischen Hommage verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart, das alte und das neue, urbane und weltoffene Berlin. Es scheint, dass auch heute, bald 100 Jahre nach seinem Tod, Heinrich Zilles schonungslose und dabei liebevolle Zeichnungen des Berliner Lebens, uns etwas zu sagen haben.
Fünf Siebdrucke im Format 30 x 40 cm, limitierte Auflage: 199 Stück, signiert und nummeriert, Preis: 199 Euro. Erhältlich im Käthe-Kollwitz-Museum, Spandauer Damm 10, Charlottenburg (im Schloss Charlottenburg), Tel. 882 52 10 und unter der Homepage www.tip-berlin.de/zille