Artemis

Berlin muss Bordell-Betreibern 100.000 Euro zahlen

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Philipp Siebert
Einsatzkräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zoll durchsuchen am 13.04.2016 das Groß-Bordell "Artemis" in Berlin (Archivbild).

Einsatzkräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zoll durchsuchen am 13.04.2016 das Groß-Bordell "Artemis" in Berlin (Archivbild).

Foto: Paul Zinken / dpa

Eine Razzia im Berliner Großbordell „Artemis“ wurde für das Land Berlin zum Fehlschlag. Jetzt auch vor Gericht.

Berlin. Statt der ursprünglich in Rede stehenden 25.000 Euro muss das Land Berlin den Betreibern des Großbordells „Artemis“ nun 100.000 Euro Entschädigung zahlen. Das hat das Berliner Kammergericht am Dienstag entschieden. Die Brüder Kenan und Hakki Simsek hatten geklagt, weil sie nach einer Razzia in ihrem Etablissement im April 2016 von der Staatsanwaltschaft in die Nähe der organisierten Kriminalität gerückt wurden.

Die Klatsche, die das Haus der Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) nun einfuhr, scheint ein Stück weit selbst verursacht. Denn am 11. November schien eine gütliche Einigung zwischen beiden Seiten nach dreistündiger Verhandlung noch zum Greifen nah. Die Anwälte der Bordellbesitzer Kenan und Hakki Simsek wollten 25.000 Euro, eine Vertreterin der Verwaltung bot 20.000 Euro an. Für die Differenz von 5000 Euro war zeitweise ein gemeinnütziger Zweck im Gespräch.

Die Abgesandte aus dem Haus von Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hatte in der Sache allerdings offensichtlich keine Entscheidungsbefugnis. Nachdem sie telefonisch mit einem Abteilungsleiter Rücksprache hielt, teilte sie mit, dass mehr als 10.000 Euro „nicht in Betracht kommen“.

Gericht warf Justizverwaltung „Missachtung“ vor

Das pauschale „Nein“ durch eine Person, die nicht an den Verhandlungen beteiligt war, sorgte beim Gericht für großen Unmut. Auch dass das Land in solchen Verfahren „nie ordnungsgemäß vertreten“ gewesen sei, stieß der Vorsitzenden Richterin Cornelia Holldorf auf, und sie wertete das Verhalten der Justizverwaltung als „Missachtung des höchsten Berliner Zivilgerichts“.

Im April 2016 waren 900 Beamte der Berliner Polizei und des Zolls in dem Großbordell unweit des Autobahndreiecks Funkturm angerückt. Der Verdacht laute auf Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, hieß es damals. Der Betreiber, der Geschäftsführer und vier dort arbeitende Frauen wurden festgenommen und saßen die vier folgenden Monate in Untersuchungshaft.

Auf einer Pressekonferenz sprach der zuständige Staatsanwalt am Tag nach der Razzia von Gewalt und Menschenhandel und davon, dass die Frauen im Artemis wie „Sklaven auf Baumwollfeldern“ gehalten würden. Der Betrieb des Bordells basiere auf organisierter Kriminalität. Beweise dafür fanden die Ermittler jedoch offensichtlich – keine.

Zu den 100.000 Euro kommen knapp 11.000 Euro Zinsen

Tatsächlich brach der Vorwurf, die Prostituierten würden als Scheinselbstständige behandelt und der Staat so um Sozialabgaben in Millionenhöhe geprellt, zusammen. Ende 2018 lehnte das Berliner Landgericht die Anklage gegen die Simseks ab, Anfang 2019 wurde das Verfahren endgültig eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft rückte von ihrer Einschätzung allerdings nicht ab, was das Kammergericht als „amtspflichtwidrig“ und die Aussagen überdies als „vorverurteilend, überzogen und reißerisch“ wertete. Die Entschädigung von 100.000 Euro plus Zinsen in Höhe von knapp 11.000 Euro sei für die Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Bordellbetreiber „angemessen und ausreichend“.

„Die Vertreter des Landes Berlin haben die rechtliche Situation in diesem Verfahren von Beginn an eklatant falsch eingeschätzt“, sagte der Anwalt der Kläger, Ben M. Irle. Das Land Berlin habe die Chance verpasst, im Rahmen eines Vergleichs „die offensichtlichen und schweren Fehler der Staatsanwaltschaft einzugestehen“. Seine Mandanten erklärten, sie wollten das ihnen zugesprochene Geld spenden zur Behandlung von an Krebs erkrankten Kindern in Berlin. „Uns ging es nie um Geld, sondern immer um unser Recht.“

Sobald das schriftliche Urteil vorliege, werde man prüfen, ob Rechtsmittel dagegen beim Bundesgerichtshof eingelegt werden, sagte ein Sprecher der Justizverwaltung. Solange halte man das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts aus dem April 2020, „das eine Amtspflichtverletzung verneint und die Klage abgewiesen hat, für zutreffend“.

Verwaltung will prüfen, ob Staatsanwalt selbst für Schaden aufkommen muss

Sollte das Land tatsächlich zahlen müssen, würde man Rückgriffsansprüche gemäß Paragraf 48 Beamtenstatusgesetz „sorgfältig prüfen“, so der Justizsprecher weiter. Das könnte bedeuten, dass der Staatsanwalt selbst für den Schaden aufkommen muss.

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( mit dpa )