Wohnungssuche

Eine Wohnung – verzweifelt gesucht

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Seit Monaten sucht Onur Simsek, Assistenzarzt für Kardiologie, nach einer Wohnung in Berlin. Nun will er es über einen Makler versuchen. Als letzten Ausweg zieht er sogar in Erwägung seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren.

Seit Monaten sucht Onur Simsek, Assistenzarzt für Kardiologie, nach einer Wohnung in Berlin. Nun will er es über einen Makler versuchen. Als letzten Ausweg zieht er sogar in Erwägung seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren.

Foto: Jörg Krauthöfer / FUNKE Foto Services

Zeitungsannoncen, Genossenschaften, Immoscout: Viele Berliner suchen verzweifelt eine Wohnung. Wie der Assistenzarzt Onur Simsek.

Berlin. Die Einwohnerzahl wächst, der Bau neuer Wohnungen geht nur schleppend voran – die Wohnungssuche für viele Berliner auf absehbare Zeit eine echte Herausforderung bleiben. Insbesondere junge Menschen und Familien haben es schwer, eine passende Bleibe in der Stadt zu finden.

Wer sich in Berlin auf Wohnungssuche begibt, braucht vor allem eins: viel Geduld, denn die Konkurrenz um das rare Gut Wohnen ist groß. Das belegen auch Zahlen, die das Immobilienportal ImmoScout24 kürzlich vorgelegt hat. Demnach meldeten sich im dritten Quartal dieses Jahres 76 Bewerber auf eine Berliner Neubauwohnung zur Miete. Im zweiten Quartal waren es noch 65. Auf eine Bestandswohnung kommen gar durchschnittlich 226 Bewerber – im zweiten Jahresquartal waren es 217. Nachholeffekte aus den vergangenen Corona-Jahren und von Zuzüglern, die im Herbst ein Studium in Berlin aufnehmen wollen, könnten eine mögliche Erklärungen dafür sein, dass die bereits sehr hohe Nachfrage nach Mietwohnungen in Berlin mit einem Zuwachs von rund 31 Prozent noch einmal kräftig gestiegen ist.

Zugleich hinkt der Bau neuer Wohnungen dem tatsächlichen Bedarf nun schon seit Jahren hinterher, mindestens 137.000 Wohnungen fehlen. In der Hauptstadt sind in diesem Jahr allerdings nur 16.500 Wohnungen gebaut worden. Das waren zwar mehr als in den beiden Vorjahren, aber immer noch viel weniger, als das Ziel von jährlich 20.000 Wohnungen, das sich der rot-grün-rote Senat gesetzt hat.

Auch interessant: Mieten und Nebenkosten ziehen in Berlin massiv an

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) verwiesen bei der Präsentation der Zahlen Mitte dieser Woche auf die „massiven Folgen“ des Kriegs in der Ukraine und benannten auch Zinserhöhungen, Baukostensteigerungen um mehr als 20 Prozent oder verzögerte Lieferungen als Probleme, die das Bauen im Moment erschweren würden. „Trotzdem müssen und wollen wir an unseren Zielen festhalten“, sagte Giffey. Dass das Versprechen von 20.000 Wohnungen künftig noch schwerer einzulösen sein wird, lässt sich an der Zahl der Baugenehmigungen ablesen. Dieses Jahr sind es 17.485, knapp sieben Prozent weniger als noch 2021.

Wahrlich keine guten Aussichten für Wohnungssuchende in Berlin. Das erlebt auch der Berliner Arzt Onur Simsek:

Arzt ohne Wohnung – Leben bei den Eltern

„Meine aktuelle Wohnsituation ist wie vor dem Studium – bei meinen Eltern,“ erzählt Onur Simsek, Assistenzarzt für Kardiologie. Nach Abschluss seines Medizinstudiums in Heidelberg zog er zurück in seine Heimatstadt Berlin. Nur übergangsweise wollte er in seinem alten Kinderzimmer unterkommen, bei seinen Eltern in der Wohnung in Charlottenburg, bis er eine eigene Wohnung gefunden hätte. Dort wohnt er noch immer. Seit April ist der Berliner auf der Suche nach einer Bleibe. „Um ehrlich zu sein, ich habe mir es viel einfacher vorgestellt“, erzählt der 35-Jährige.

Dennoch, ihm waren die Schwierigkeiten des Berliner Wohnungsmarktes bewusst: „Ich wollte es anders machen als alle anderen. Ich dachte, es gibt so viele Mitbewerber, da musst du einen anderen Weg einschlagen,“ erzählt Simsek. Als erstes kontaktierte er Baugenossenschaften. „Da kannst du dich nicht einmal auf Wartelisten setzten lassen“, so der Berliner. „Man darf nur vorgeschlagen werden, wenn man erstgradiger Verwandter von jemanden ist. Das ist strikt reguliert.“

Sucht Zweizimmerwohnung im S-Bahn-Ring

Er wendete sich Wohnungsverwaltungen, schrieb Deutsche Wohnen und Vonovia direkt an. Bekam keine Rückmeldungen. Seine nächste Idee war eine Zeitungsannonce, um ältere Vermieter zu erreichen – ebenfalls ohne Erfolg. „Um unter den anderen Bewerbern hervorzustechen, musst du angeben. Ich kam mir schnell unwohl vor, wenn ich die Karte meines Berufs ausspielte und schrieb ‚Arzt, adäquate Bonität‘. So bin ich nicht.“

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Irgendwann probierte er es doch über Immoscout, schickte seinen vorgefertigten Text raus. „Aber du bekommst keine Antwort. Die einzige Besichtigung, bei der ich war, war eine öffentliche Besichtigung.“ 1250 Euro warm ist die Schmerzensgrenze des Assistenzarztes. Er suche eine Zweizimmerwohnung innerhalb des S-Bahn-Rings, sodass auf einen langen Arbeitstag nicht noch eine lange Heimfahrt folge. „Charlottenburg kenne ich gut; Wilmersdorf, da bin ich aufgewachsen. Es wäre schon cool, da wieder zu wohnen“, so Simsek. Aber es sei kein Muss, er sei flexibel.

„Der Markt lebt von der Frustration der Menschen“

„Wenn der Preis stimmt, bin ich gewillt, Abzüge bei der Wohnung zu machen. Aber natürlich würde ich mich über eine Altbauwohnung mit Balkon freuen, da würde ich auch eine vierstellige Kaltmiete zahlen.“ Aber: „Es gibt gewisse Grenzen, wo ich sage, das ist zwar der Markt, aber das ist absurd!“, so Simsek. Er erzählt von einer Freundin, die im Immobiliensektor arbeitet und ihm eine Wohnung in Kreuzberg im Gräfekiez angeboten hat. Zwei Zimmer, 70 Quadratmeter, 1.400 Euro kalt. „Das ist gemessen am Markt wahrscheinlich sogar ein fairer Preis. Aber für mich ist das zu viel. Dann geh ich nur noch für die Wohnung arbeiten.“ Doch mittlerweile würde er vielleicht sogar über ein ähnliches Angebot nachdenken. „Meine Ansprüche sinken stetig. Ich glaube auch davon lebt der Markt. Von der Frustration der Menschen.“

In den Anzeigen fände er auch immer wieder größere Wohnungen, die in seinem Budget lägen. „Drei Zimmer, 100 Quadratmeter und für mich im Rahmen des Bezahlbaren“, erzählt Simsek. „Aber das ist eine Wohnung für eine Familie. Für mich allein ist das zu viel! Es macht keinen Sinn, wenn ein Zimmer leer steht, nicht für mich und auch nicht für die Stadt.“

Letzt Möglichkeit: Makler

Die Wohnungssuche ist nur schwer mit Simseks Beruf und langen Arbeitszeiten vereinbar. „Wenn ich nach Hause komme, bin ich müde.“ Neben dem Abendessen schreibt er dennoch ein paar Bewerbungen, erzählt der 35-Jährige. „Schon beim Abschicken weiß ich: Das wird nichts. Aber probieren tue ich’s halt trotzdem.“ Nun zieht er in Erwägung einen Makler zu engagieren. „Was bleibt mir anderes übrig?“, fragt sich der Kardiologe. „Wenn ich dann ein faires Gespräch bekomme, bin ich auch gewillt eine Provision zu zahlen.“

Doch Simsek ist nicht alleine mit der Situation, weiß von ähnlichen Fällen in seinem Kollegium zu berichten. „Ein Facharzt aus unserem Krankenhaus wohnt schon seit längerer Zeit im Hotel“, berichtet der Charlottenburger. Ein anderer Arbeitskollege, der von Nordrhein-Westfalen nach Berlin gezogen ist, wohnt übergangsweise in Kaulsdorf, so Simsek. „Der Kollege zieht in Erwägung, Berlin wegen des Wohnungsmarktes wieder zu verlassen. Und mittlerweile ist das auch für mich eine Überlegung“, sagt der Berliner.