Wissenschaft

Aus San Diego ins Herz der Berliner Wissenschaft

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Joachim Fahrun
Nach 30 Jahren in Amerika ist Maike Sander seit 2022 Wissenschaftliche Vorständin am Max Delbrück Centrum für molekulare Medizin in Berlin-Buch. Sie ist Spezialistin in der Diabetes-Forschung

Nach 30 Jahren in Amerika ist Maike Sander seit 2022 Wissenschaftliche Vorständin am Max Delbrück Centrum für molekulare Medizin in Berlin-Buch. Sie ist Spezialistin in der Diabetes-Forschung

Foto: Peter Himsel / MDC Berlin Buch

Das MDC in Buch ist das Zentrum für molekulare Medizin in Deutschland. Die neue Chefin Maike Sander schätzt die guten Bedingungen für Forscher

Berlin.  Bisweilen sucht sie noch die deutschen Wörter. 30 Jahre Kalifornien haben die Muttersprache von Maike Sander ein wenig einrosten lassen. Sie sagt „bei uns“ wenn sie über die USA spricht. Aber die Anpassung an ihren neuen Job ist für die Medizinerin in vollem Gange. Seit gut einem Monat leitet Sander als Wissenschaftliche Vorständin das Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und nimmt damit eine Schlüsselstellung in der Berliner Wissenschaftslandschaft ein. Am Mittwoch begeht das MDC seinen 30. Geburtstag.

Mit mehr als 1800 Mitarbeitenden aus 70 Ländern wird am MDC, das zur Helmholtz-Gesellschaft gehört, intensiv nach den genetischen und zellularen Grundlagen von Krankheiten gesucht. Gemeinsam mit den Partnern der Charité und dem unter dem Dach der Universitätsklinik angesiedelten Berlin Institute of Health hat man sich die schnellere Translation der wissenschaftlichen Entdeckungen ans Krankenbett auf die Fahnen geschrieben.

Die biomedizinische Forschung in Deutschland hat gegenüber den USA aufgeholt

Nach ruckeligem Start funktioniert die Zusammenarbeit. „Die Kommunikation und Kooperation der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die verschiedenen Institutionen hinweg ist in Berlin ganz toll. Da sind schon viele Silos abgerissen“, lobt die Neu-Berlinerin.

Dieses Netzwerk war es, die Maike Sander bewogen hat, ihre Professur an der University of California in San Diego aufzugeben und zurück nach Deutschland zu wechseln, In das Land, dass sie 1994 nach dem Medizinstudium in Heidelberg verlassen hatte. „Vor 30 Jahre waren die USA in der biomedizinischen Forschung um Lichtjahre besser. Aber Deutschland hat aufgeholt. Auch in Amerika gucken die Leute jetzt rüber und sagen: Da entsteht etwas“, sagt Maike Sander.

Sie selbst erforscht Therapien gegen Diabetes. Die Volkskrankheit gilt als aussichtsreiches Feld für den Einsatz von Zelltherapien, weil der Stoffwechsel allein durch insulinproduzierende Beta-Zellen gestört wird. Und so suchen Maike Sanders und ihre Kollegen schon lange nach Möglichkeiten, wie sie sich regenerieren lassen. Aber so schnell wie erhofft lief es nicht, erst jetzt sind erste Präparate in klinischen Studien.

Am MDC kann Maike Sander es schaffen, Forschung grundsätzlich voranzutreiben

Letztlich überwog aber ein breiteres Interesse der 55-Jährigen. Irgendwann sei sie „an den Punkt gekommen, an dem ich überlegt habe: Wie kann man Forschung grundsätzlich vorantreiben? Das MDC war für mich die natürliche Weiterentwicklung bei den Überlegungen, wie Forschung besser funktionieren kann.“, sagt die Wissenschaftlerin, die Berlin aus Gastaufenthalten als Fellow der Einstein-Stiftung kennt: „Das MDC ist spannend, weil es nicht nur auf eine Krankheit ausgerichtet ist. Es gibt hier viele Schnittstellen zwischen den verschiedenen Bereichen.“ Dazu gehören auch Datenwissenschaftler, ohne deren Hilfe die massenhaft anfallenden Informationen gar nicht zu bewältigen seien.

Bei aller Begeisterung über die offene, hierarchiearme Arbeitsweise, die sie als junge Forscherin in den USA so begeisterte, erkennt Sander inzwischen auch die Vorteile des deutschen Wissenschaftssystems. Eine Langzeitfinanzierung, wie es sie in Deutschland etwa für Helmholtz-Zentren gebe, sei „ein großer Vorteil“, findet sie. „Man muss Forschungsteams auch mal ein bisschen machen lassen. In den USA gab es Mittel meist nur für drei bis fünf Jahre. Das ist nicht immer ideal für Grundlagenforschung.“

„Das Schwimmen im Meer vor der Arbeit, das vermisse ich“

In Berlin möchte Sander das beste aus beiden Welten verbinden. Dazu gehören erleichterte Wechsel zwischen Forschung und Industrie, die Ideen skalieren und in die Anwendung bringen können. „Die Durchlässigkeit zwischen Akademie und Firmen ist in Amerika vielerorts gelebte Realität. In Berlin könnte man da einiges dynamisieren“, sagt Sander.

Angesichts der annähernd unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Medizin erkennt sie das Risiko, sich zu verzetteln. „Am MDC werden wir einen strategischen Planungsprozess aufsetzen. Weil heute so viele Technologien verfügbar sind, muss man auch entscheiden, was man nicht tut. Wir brauchen einen Fokussierungsprozess“, sagt die Vorständin. Sie geht davon aus, nicht der letzte Wissenschaftsimport aus den USA zu sein. Viele machten sich dort Sorgen über den politischen Aufstieg von Wissenschafts-Verächtern und Kreationisten. „Deutschland hat noch nicht erkannt, wie groß der Leidensdruck der im akademischen Bereich Tätigen in den USA ist“, sagt Sander, die gleichwohl dem Leben in Südkalifornien ein wenig nachtrauert: „Das Schwimmen im Meer vor der Arbeit, das vermisse ich.“