Berlin. Weil der Bund Bahn-Immobilien verscherbelte und Berlin Baurecht schuf, werden Hamburger Bahnhof und Rieckhallen teuer zurückgekauft.
Die Bedeutung des Vorgangs erschließt sich spätestens beim unendlich anmutenden Gang vom Haupteingang des Hamburger Bahnhofs an der Invalidenstraße zur Pressekonferenz fast ganz hinten in den fast 250 Meter langen Rieckhallen, vorbei an großen Galerieräumen ohne Fenster und mit weißen Wänden. Das Ensemble ist seit Jahren einer der wichtigsten Orte für zeitgenössische Kunst weit über Deutschland hinaus. Gleichwohl stand die Zukunft als Ausstellungsraum lange infrage.

Erst in den vergangenen Monaten haben es der Bund und das Land Berlin in einer gemeinsamen Anstrengung vermocht, in harten Verhandlungen mit dem österreichischen Immobilienkonzern CA Immo den Hamburger Bahnhof und Rieckhallen für die Kultur zu erhalten.
„Wir sichern mehr als nur ein Berliner Museum, sondern Teil der Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als der bedeutendsten Kultureinrichtung unseres Landes“, sagte eine gut gelaunte Kulturstaatsministerin Claudia Roth, als sie verkündete, was seit einem Morgenpost-Bericht aus der vergangenen Woche bereits im Grundsatz bekannt war.
Der Kaufpreis für das Hauptgebäude liegt bei 66 Millionen Euro
Der Bund kauft den Hamburger Bahnhof. Roth lüftete mit dem Kaufpreis von 66 Millionen Euro das letzte verbliebene Geheimnis. Berlin übernimmt die benachbarten Rieckhallen. Beide Gebäudeteile sollen gemeinsam bespielt werden. „Einer der bedeutendsten Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst in Deutschland und international kommt als Ensemble wieder in öffentliche Hand“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte die 66 Millionen Euro für den Bahnhof kürzlich freigegeben, nachdem die CA Immo mit ihren Forderungen heruntergegangen war. CA-Immo-Chefin Silvia Schmitten-Waigenbach sagte, ihr Unternehmen habe schon viele Gebäude in und um die Europacity am Hauptbahnhof gebaut. „Als Quartiersentwickler sind wir überzeugt, dass sich Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur verbinden lassen“, sagte die Managerin.
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Berlin kauft die Rieckhallen für 78 Millionen Euro, die im Nachtragshaushalt freigegeben worden sind. Zudem bekommt die CA Immo vom Land das letzte freie Grundstück zwischen Invalidenstraße und Humboldthafen, das 25 Millionen Euro wert ist. Ein Hochhaus sei dort nicht zulässig, hieß es. Man dürfe nur bis zur Höhe der benachbarten Gebäude bauen.
Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) sagte, das Vermögensgeschäft sei nicht das beste für das Land. Aber man habe nicht die Rieckhallen erworben, sondern ein Grundstück mit Baurecht. Denn Berlin hatte der CA Immo erlaubt, anstelle der früheren Bahnhofshallen ein Hochhaus zu errichten. Der Verzicht darauf hat für die Österreicher einen Preis, zumal ihnen das Land einen angemessenen Ersatz verweigert hatten.
Der Kultursenator zeigt sich emotional
Zwischenzeitlich war die Rede davon, dass der Konzern 60.000 Quadratmeter vom Land westlich des Hauptbahnhofs zwischen Invalidenstraße und Bahntrasse bekommen wollte, um dort seine Pläne umzusetzen. Dagegen gab es Widerstand, weil Berlin die zentrale Fläche für Polizei, Feuerwehr und eine Schule benötigt. Jetzt sind alle zufrieden. „Ende gut, alles gut“, sagte der Finanzsenator.
Kultursenator Klaus Lederer zeigte sich an diesem Tag emotional. Vier Jahre lang hatte der Linken-Politiker an dem Thema meist hinter den Kulissen gearbeitet und sich dabei wie auf einer „Mission impossible“ gefühlt. Lederer erinnerte daran, wie es überhaupt zu dieser Lage kommen konnte. Der Bund habe „vor nicht allzu langer Zeit Bahngrundstücke verscherbelt, ohne genau hinzugucken“, sagte der Senator. Tatsächlich war der Hamburger Bahnhof und das angrenzende Gelände 2007 im Zuge des Verkaufs des ehemaligen DDR-Eisenbahnvermögens an die CA Immo privatisiert worden. „Und Berlin hat Baurecht geschaffen für ein eigentlich wertloses Grundstück“, ergänzte Lederer seine Aufarbeitung der Vergangenheit. Nun sei er sehr erleichtert. Die Bedeutung dieses Ortes könne „gar nicht überbewertet“ werden: „Was hätten wir gemacht, wenn uns dieser Ort verloren gegangen wäre?“
Eine Dauerpräsentation zur Kunstszene Berlins
Die beiden Leiter des Hamburger Bahnhofs, Till Fellrath und Sam Bardaouil, wollten sich dergleichen bei ihrem Amtsantritt Anfang des Jahres gar nicht erst ausmalen. Sie präsentierten am Dienstag ihr Ausstellungsprogramm für das Jahr 2023 – verkündeten jedoch zunächst die Umbenennung ihres Hauses. Trug der Hamburger Bahnhof bislang die Nebenbezeichnung „Museum für Gegenwart“, so soll er fortan als „Nationalgalerie der Gegenwart“ firmieren. Damit werde die Zugehörigkeit zur Nationalgalerie mitsamt ihren derzeit sechs Standorten in der Stadt besser hervorgehoben und außerdem der Charakter als sammelndes Museum betont, sagten Fellrath und Bardaouil.
Zu den Plänen für das kommende Jahr zählt eine neue Sammlungspräsentation im sanierten Westflügel, die ab April 2023 zu sehen sein wird. Darin soll ein „geschichtsübergreifendes Panorama der vielfältigen Kunstszene Berlins“ präsentiert werden. Fellrath und Bardaouil setzen damit ihr Vorhaben um, die Hauptstadt als kreatives Labor in ihrem Haus besser zu spiegeln. Auch das Haus mit seiner Geschichte soll Teil der Präsentation werden: Anhand von Objekten und Archivalien soll die Entwicklung des Hamburger Bahnhofs seit 1848 in einem für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglichen Bereich reflektiert werden. Hierzu zählt neben einer Archivausstellung auch ein von der in Berlin lebenden Künstlerin Henrike Naumann gestalteter Raum, der das bereits existente Arrangement von Gregor Schneider ergänzt. Hinzu kommt ein Raum für diskursive Formate.
Jährlich ein Ankauf für die „Unendliche Ausstellung“
Zu den Eigenheiten des Hamburger Bahnhofs gehört die „Unendliche Ausstellung“, für die regelmäßig Künstlerinnen und Künstler um ortsspezifische Arbeiten inner- und außerhalb des Gebäudes gebeten werden – am prominentesten vielleicht die kürzlich energiesparhalber abgeschaltete Lichtinstallation Dan Flavins am Haupteingang. Die „Unendliche Ausstellung“ soll künftig jährlich um einen weiteren Ankauf erweitert werden, die erste Auftragsarbeit wird im Juni 2023 vorgestellt. Zum umfangreichen Programm der Wechselausstellungen zählen unter anderem eine Präsentation des Minimal-Art-Künstlers Fred Sandback (ab 31. März) und eine eigentlich für das National Art Museum of Ukraine geplante Schau der in Berlin und Kiew lebenden Künstlerin Nadia Kaabi-Linke (ab 8. September). Aufregend dürfte die Arbeit der in London lebenden Künstlerin Eva Fàbregas werden, die mit ihren riesigen Textilskulpturen zuletzt auf der Biennale von Lyon für Aufsehen sorgte (ab 6. Juli).