Charlottenburg-Wilmersdorf

Wie der Baum zum Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz kommt

| Lesedauer: 5 Minuten
Norman Börner
Der Weihnachtsbaum wird auf einen Tieflader gehoben. Mitten in der Nacht geht es dann Richtung Gedächtniskirche. Dort wird er am Dienstag aufgestellt.

Der Weihnachtsbaum wird auf einen Tieflader gehoben. Mitten in der Nacht geht es dann Richtung Gedächtniskirche. Dort wird er am Dienstag aufgestellt.

Foto: Jörg Krauthöfer / FUNKE Foto Services

Säge, Kran und fort: Die Geschichte des Baumes vor der Gedächtniskirche klingt erst einmal banal. Aber ein Hauch von Märchen liegt in der Luft.

Berlin.  Es ist Anfang November. Aufgrund des milden Oktobers ist die Natur noch ungewöhnlich grün. Unweit der Autobahn 117 liegt der Berliner Ortsteil Bohnsdorf. Ein Passagierflugzeug donnert über die Vorstadtidylle. Die Siedlung liegt direkt in der Einflugschneise des Flughafens Schönefeld. In erstaunlich vielen Vorgärten hängen Flaggen. Mehrfach Union Berlin. „Spart Wasser, trinkt mehr Bier“ steht auf einer.

Hier irgendwo soll heute der Baum für den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche fallen. Und so ein Baum weckt große Erwartungen. Ohne Tanne keine Weihnachtsstimmung. Es gibt Märchen, Filme und auch Berliner Weihnachtsmarktbesucher, die ein Lied davon singen können, wie wichtig ein ansehnlicher Baum zum Fest der Feste ist. Aber märchenhafte Stimmung ist an diesem Montag noch denkbar fern. Oder nicht?

Ein magischer Ort zwischen Fliegenpilzstraße und Autobahn

Immerhin klingt der Straßenname, in der der Baum steht, nach einem mystischen Ort. Kleine Waldstraße. Umrahmt von Gassen, die nach Pilzen benannt sind. Champignonstraße. Fliegenpilzstraße. Hinter einem süßen Reihenhaus mit vollständig begrünter Fassade, wird die Spitze des haushohen Nadelholzes sichtbar.

In der Auffahrt stehen Margot Herre und Klaus Peters. Das Paar folgte Anfang des Jahres dem Aufruf des Berliner Schaustellerverbands und bewarb ihre Coloradotanne für den den Posten als Weihnachtsbaum. „Wir hatten hier schon viele Stürme. Und die Nachbarn meinten schon, der Baum steht schief“, sagt Herre.

Zwei Optionen: Entweder die Tanne wird zu Feuerholz oder sie steht zum Abschluss ihres langen Lebens noch einmal im Mittelpunkt. Hoffen wir, sie geht anders damit um, als die bemitleidenswerte Tanne im Märchen „Der Tannenbaum“ von Hans Christian Andersen. Diese fiebert einem Leben im Scheinwerferlicht förmlich entgegen, nur um zu merken, dass das Glück vor der Nase war. Aber die Anfang der 1990er Jahre gepflanzte Coloradotanne blickt wohl auf ein recht zufriedenes Leben zurück. In ihrem Schatten wuchsen Träume, Liebe und die Geschichte einer Familie. „Natürlich tut der Abschied auch weh“, sagt Klaus Peters.

Die Helfer des Weihnachtsmannes unter dem roten Kran

Vor einem weihnachtlich roten Kran stehen die Mitarbeiter eines Fuhrunternehmens – somit die Begleiter dieses letzten Weges. Im Märchen wären sie der humoristische Sidekick. Fünf gestandene Männer mit Berliner Schnauze. Ob so ein Tag besonders ist? „Klar, ick bin eigentlich Kosmetikerin, weeste“, antwortet ein freundlicher Mann mit Gesichtstattoo. Es folgt Gelächter – und dann doch noch eine ernste Antwort.

Denn die Jungs von Lex-Kran sind Profis. „Wir transportieren eigentlich alles“, sagt Mitarbeiter Robert Schär. Auch Bäume beispielsweise nach Sturmschäden. Die besondere Herausforderung an diesem Einsatz sei es, den Baum sicher aus dem Wohngebiet mit den engen Gassen zu manövrieren. Das passiert mitten in der Nacht. Um drei Uhr bricht der Lkw mit dem Monstrum auf. Wenn die Leute zur Arbeit gehen, stehe der Baum schon lange bereit. Wie im Märchen. Gegen 10 Uhr wird er dann aufgestellt. Wie ein Helfer des Weihnachtsmannes fühle er sich trotzdem nicht. „Aber ein cooler Auftrag ist es schon“, sagt Robert Schär.

Auf dem Grundstück wird es ernst. Klaus Peters verteilt noch einmal heißen Kaffee an die Wartenden. Ist das schon der weihnachtliche Geist? Nachbarn strecken die Köpfe in die Luft. Gegen halb Zehn wird der Kran ausgefahren. Ein Mitarbeiter des Forstbetriebes Lindner klettert den Baum nach oben. Ast für Ast.

Weihnachtsbaum muss sich auch Kritik stellen

Der Kran ist nun direkt über der Spitze. Dann wird die Grundschlinge angebracht und der grüne Riese angehoben. Ungefähr drei Tonnen wiegt er. „Viel weniger als letztes Jahr“, sagt Marcel Lindner. Da war es ein Mammutbaum. Stamm viermal so dick und doppelt so schwer. „Da gab es auch Kritik. Es wäre keine richtige Tanne“, sagt David Eckel, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Früher seien Bäume auch aus Bayern oder Thüringen gekommen. „Das fanden nicht alle gut“, sagt er. Und auch mit Kritik zu Form und Aussehen halten sich die Besucher nicht zurück. „Ich glaube dieser Baum wird beliebt sein“, sagt Eckel.

Dieses Jahr findet der Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche zum 39. Mal statt. Die letzten beiden Corona-Jahre seien nicht leicht gewesen. Der Terroranschlag im Jahr 2016 ist vielen Schaustellern und Besuchern noch in grausamer Erinnerung. „Aber das hat uns alle noch näher zusammenrücken lassen. Das merkt man auch bei einem Termin wie heute“, sagt David Eckel, aus dem an dieser Stelle mehr als der PR-Mann spricht.

Ein Fachmann durchtrennt mit der Kettensäge den Stamm. Der Baum hängt am Haken und schwebt über dem Haus. Um drei Uhr bricht er zur letzten Reise auf. Im Märchen fiele in dieser Nacht der erste Schnee.

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