Berlin. Eine Blamage wie beim Mietendeckel wollte Berlins Arbeitssenatorin Katja Kipping (Linke) unbedingt vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Berliner Pläne für eine öffentlich-rechtliche Mietenkontrolle einkassiert. Das Land habe keine Gesetzgebungskompetenz zu diesem Thema, weil der Bund das Mietrecht schon geregelt habe, hatten die Karlsruher Richter im April entschieden.
Die Linken-Politikerin und ihre Juristen hatten die Sorge, dass es ihnen mit ihrem Herzensprojekt ebenso ergehen könnte. Denn Kipping hatte sich schon in ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete und Linken-Bundesvorsitzende stets dafür stark gemacht, dass Unternehmen zahlen sollen, wenn sie selbst keine Fachkräfte ausbilden und dann den Wettbewerbern die teuer geschulten Gesellen abwerben.
Die Ausbildungsplatzumlage, die nach Branchen spezifisch ausgestaltet werden soll, hat auch den Weg in den Berliner Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken gefunden.
Kipping will bis Jahresende Eckpunkte für Ausbildungsumlage vorlegen
Die Frage war aber, ob das Land Berlin überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für dieses Thema hat - oder ob, wie im Mietendeckel-Fall völlig unabhängig von den Inhalten, eine Niederlage vor Gericht drohen könnte. Nun aber fühlt sich Kipping durch ein Rechtsgutachten bestätigt, will nun bis Ende des Jahres im Arbeitsausschuss des Abgeordnetenhauses Eckpunkte für ein Gesetz zur Ausbildungsplatzumlage in Berlin vorlegen.
Der renommierte Verwaltungswissenschaftler Ulrich Battis, emeritierter Professor der Humboldt-Universität, ist mit seiner Ko-Autorin Franziska Drohsel, Rechtsanwältin und früher Vorsitzende der Berliner Jungsozialisten, zu einer klaren Einschätzung gekommen. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass Berlin jetzt die Gesetzgebungskompetenz hat“, sagte Battis. Nur das sei zu entscheiden gewesen.
Generell gelte der Grundsatz, wonach Bundesrecht Landesrecht breche. Dabei gehe es um „konkurrierende Gesetzgebung“. Wenn der Bund etwas geregelt habe, dürften die Länder das nicht noch einmal tun, erläuterte der Experte.
Bund versuchte zweimal erfolglos, Ausbildungsplatzumlage einzuführen
Bislang hätten frühere Bundesregierungen zweimal versucht, die Materie anzufassen. Die rot-grüne Koalition scheiterte vor gut 20 Jahren mit ihren Plänen für eine Umlage am politischen Widerstand der unionsgeführten Länder im Bundesrat. Ein zweiter Anlauf sei wegen handwerklicher Fehler vom Bundesverfassungsgericht einkassiert worden. „Der Bund ist zweimal auf die Nase gefallen, hat also das Thema nicht abschließend geregelt“, sagte Battis. Auch ein so genannter „absichtsvoller Regelungsverzicht, also quasi ein Verbot an die Bundesländer, liege nicht vor. „Deshalb kann das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz ausüben“, fasste der Rechtswissenschaftler seine Argumentation zusammen.
Für Senatorin Kipping ist Battis´ „renommierte Meinung“ ein wichtiger Schritt zu ihrem Ziel. „Vor den Eckpunkten brauchten wir Klarheit, ob Land Berlin Gesetzgebungskompetenz hat“, sagte die Senatorin. Dass die Voraussetzung für eines ihrer zentralen Projekte erst jetzt komme, begründete Kipping mit der vorläufigen Haushaltswirtschaft im ersten Halbjahr. Weil es keinen beschlossenen Landeshaushalt gab, mussten sämtliche neuen Ausgaben warten.
Mit der Umlage möchte Kipping „die Zahl der Ausbildungsplätze erhöhen und Gerechtigkeit zwischen den Unternehmen schaffen“. Denn einige bildeten mit viel Aufwand junge Menschen aus, während andere sich gar nicht am Kampf gegen den Fachkräftemangel beteiligten. Berlin sei neben der Hansestadt Bremen das einzige Bundesland, das eine solche Umlage vorbereite.
Wer nicht ausbildet, soll zahlen; wer ausbildet soll mit dem Geld unterstützt werden
Die Idee ist, dass wer keine Lehrstellen zur Verfügung stellt, einen Beitrag zahlen muss, der wiederum zur Honorierung der Anstrengungen anderer Betriebe und dem Aufbau außerbetrieblicher Ausbildungsstellen genutzt werden kann. Deshalb setze die Umlage auch einen Anreiz, mehr auszubilden. Einzelne Branchen haben bereits ein solches Umlagesystem, etwa das Bauhauptgewerbe oder die Schornsteinfeger.
Obwohl die Unternehmen in den vergangenen Wochen noch viele Ausbildungsverträge geschlossen hätten, werde auch in diesem Jahr in Berlin wieder eine Lücke bleiben zwischen Angebot und Nachfrage, sagte Kipping. Die aktuellen Zahlen werden kommende Woche vorgestellt. Im vergangenen Jahr seien in Berlin auf 100 Bewerber nur 83 angebotene Ausbildungsplätze gekommen, sagte die Senatorin. Experten hielten eine Relation von 112,5 Plätzen auf 100 interessierte Jugendliche für angemessen, um auch Neigungen und Wünsche der Bewerber berücksichtigen zu können.
Dass die Kammern und Verbände der Wirtschaft trotz des Arguments der Gerechtigkeit zwischen den Firmen gegen die Umlage sind, erklärte sich Kipping mit dem „Impuls“, zusätzliche Lasten immer abzuwehren. Im Endeffekt gehe es aber um die Ausgestaltung der Umlage. Dass sie ihre Pläne wegen der wahrscheinlich bevorstehenden Wiederholungswahl scheitern könnte, glaubt die Linken-Politikerin nicht. Sie gehe davon aus, dass Berlin weiter „eine soziale Regierung“ haben werde.