Rechtsextremismus

Ferat Kocak: „Dieser Brandanschlag war allgegenwärtig“

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Ferat Kocak sitzt seit 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus. Anfang 2018 wurde das Auto des Neuköllners mutmaßlich von rechten Tätern angezündet.

Ferat Kocak sitzt seit 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus. Anfang 2018 wurde das Auto des Neuköllners mutmaßlich von rechten Tätern angezündet.

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Im Prozess um die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie sagte am Montag der Linkenpolitiker Ferat Kocak aus, dessen Auto 2018 brannte.

Berlin.  Noch immer leide er an Schlafstörungen und Angstzuständen, befinde sich in psychologischer Behandlung. Auch mehr als viereinhalb Jahre nach dem Brandanschlag auf sein Auto sehe er nachts die Flammen, sagte Ferat Kocak am Montag vor dem Amtsgericht Tiergarten. Zu Hause, in seinem Elternhaus, könne er kaum ein Auge zumachen, weshalb er noch heute oft woanders schlafe. „Ich mache mir regelmäßig Sorgen um meine Eltern“, so der 43-Jährige, der für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt weiter.

Kocaks Smart wurde in der Nacht zum 1. Februar 2018 in Brand gesteckt und gilt als Teil einer Serie rechtsextremer Straftaten, die zwischen Juni 2016 und März 2019 in Neuköllner Süden begangen wurden. Seit Ende August müssen sich Sebastian T. (36) und Tilo P. (39) für einen Teil der Taten vor Gericht verantworten. Kocak, der wohl das prominenteste Opfer ist, tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Während er am mittlerweile siebten Prozesstag im Zeugenstand die Nacht des Anschlags und seine Folgen schilderte, verzogen die beiden Neonazis auf der Anklagebank keine Miene.

Kocak stellte seinen Wagen am Abend vor der Tat nahe am Haus ab. „Gegen drei Uhr wachte ich auf, weil es für diese Uhrzeit viel zu hell war.“ Beim Blick aus dem Fenster „schossen mir die Flammen schon entgegen.“ Er habe Mutter und Vater „wachgeschrien“ und sei mit ihnen nach draußen gestürmt. Während seine zitternden und verängstigten Eltern auf die Feuerwehr warteten, habe er mit einem Feuerlöscher die Flammen an der Hauswand bekämpft, so Kocak weiter.

Neben dem brennenden Auto führte die Gasleitung durch die Wand

Dass die Gasleitung durch eben genau diese Wand läuft, habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst. Hätte Kocak das Feuer nur fünf Minuten später bemerkt, wären er und seine Eltern nicht mehr ohne Weiteres aus dem Haus gekommen – das habe habe ihm damals ein Feuerwehrmann gesagt. „Wegen meiner politischen Arbeit hätten meine Eltern sterben können“, sage Kocak. Seine Mutter hätte drei Wochen nach dem Anschlag einen Herzinfarkt erlitten. „Dieser Brandanschlag war allgegenwärtig.“

Das Landeskriminalamt wusste bereits vor dem Anschlag, dass Kocak im Fokus von Neonazis stand, jedoch ohne ihn zu warnen. „Ich habe vorher nicht wahrgenommen, dass ich verfolgt wurde oder in Gefahr war“, sagte der Politiker am Montag. Zwar sei er 2016, als er erstmals für das Abgeordnetenhaus kandidierte, und 2017, als er den Bundestagswahlkampf der Linken in Süd-Neukölln organisierte angefeindet und angespuckt worden, hätte das aber in keinen Zusammenhang gestellt.

Laut Kocaks Anwältin Franziska Nedelmann gehören zu den Beweisen gegen die beiden Angeklagten auch mehrere Chatverläufe zwischen ihnen oder mit Dritten, in denen vor dem Anschlag Bezug auf Kocak genommen wurde. So soll Tilo P. einmal gefragt haben, ob sein Chatpartner „die Kanaken wiedererkennen“ würde. Außerdem soll er zwei Wochen vor der Tat eine Nachricht mit Kocaks Autokennzeichen an Sebastian T. verschickt haben.

Zeuge nennt Angeklagten „feige“ und „heimtückisch“

Die Berliner Polizei rechnet der Neuköllner Anschlagsserie insgesamt 14 Brandstiftungen zu, wobei sich die Opfer sämtlichst gegen Rechts engagierten. Angeklagt sind neben einer Reihe von Sachbeschädigungen nur zwei Fälle, in denen Autos angezündet wurden. In derselben Nacht wie Kocaks Smart brannte auch der Peugeot des Rudower Buchhändlers Heinz Ostermann, der am Montag ebenfalls aussagte. Nachdem die AfD 2017 in den Deutschen Bundestag einzog, rief Ostermann mit einigen Kollegen die Initiative „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ ins Leben.

In der Folge wurde die Scheibe seines Ladens eingeworfen und sein erstes Auto angezündet. Im Prozess geht es jedoch nur um den Anschlag auf sein zweites. „Die Anschläge zielten darauf ab, dass bestimmte Leute und auch ich die Schnauze halten“, sagte der 66-Jährige. Dieses Ziel hätten die Täter verfehlt. „Ich bin dadurch eher politischer geworden“.

Einen solchen Anschlag hätte er sich dennoch in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Anders als Kocak habe er die Brandattacke jedoch allein überwinden können. Während seiner Aussage blieb Ostermann ruhig. Bevor er den Gerichtssaal verließ, schleuderte er den Angeklagten allerdings entgegen: „Ihr seid nicht deutsch. Ihr seid feige. Ihr seid heimtückisch.“

Untersuchungsausschuss will Ermittlungspannen aufklären

Der Prozess gegen Sebastian T. und Tilo P. soll am kommenden Montag fortgesetzt werden. Ein Urteil ist für den 28. November geplant. Parallel läuft im Abgeordnetenhaus ein Untersuchungsausschuss zu den rechtsextremen Brandanschlägen und Drohungen in Neukölln. Dessen Ziel ist es, Ermittlungsfehler und mögliches Behördenversagen aufklären.

Sonderermittler hatten 2021 Fehler von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz festgestellt und nannten einige Umstände „kritik- und verbesserungswürdig. Außerdem sei der Seriencharakter der Taten zu spät erkannt und Hinweisen auf rechtsextreme Täter nicht erkannt worden. Auch Ostermann gab im Prozess an, dass er entsprechende Aufkleber vor seinem Buchladen, die er als bedrohlich empfunden habe, dem LKA meldete, allerdings keine Resonanz erfahren habe.

Für Diskussion sorgt nach wie vor, dass Ferat Kocak als Opfer und Nebenkläger im Prozess gleichzeitig stellvertretendes Mitglied im Ausschuss ist. Der Linkenpolitiker betonte bereits zu Prozessbeginn, sich der Doppelrolle bewusst zu sein und beides voneinander trennen zu können. Der Ausschuss wird am 11. November fortgesetzt.