Tarifvertrag

3500 Lehrer streiken in Berlin - Ganze Schulen zu

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Nicole Dolif
Mit Plakaten und Transparenten stehen Teilnehmer an einer Demonstration zum Auftakt eines ganztägigen Warnstreiks an Berliner Schulen am Moritzplatz.

Mit Plakaten und Transparenten stehen Teilnehmer an einer Demonstration zum Auftakt eines ganztägigen Warnstreiks an Berliner Schulen am Moritzplatz.

Foto: Paul Zinken / dpa

Am Mittwoch beteiligten sich Tausende Lehrer in Berlin an einem Warnstreik. Sie fordern kleinere Klassen. Daran gibt es aber auch Kritik.

Berlin. Für viele Berliner Schülerinnen und Schüler ist der Unterricht wegen eines Warnstreiks von Lehrern am Mittwoch ausgefallen. Ganze Schulen schlossen für einen Tag, weil bei ihnen ein großer Teil der Lehrerinnen und Lehrer streikte, um die Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nach kleineren Klassen und einem entsprechenden Tarifvertrag zu unterstützen.

Dem Aufruf folgten nach Angaben der GEW 3500 Lehrer und andere Schulbeschäftigte. In Berlin gibt es mehr als 30.000 Lehrer, viele davon sind Angestellte und dürfen, anders als die Beamten, streiken.

Demonstration der Lehrer vom Moritzplatz zum Roten Rathaus

Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann teilte mit: „Wir wollen die Arbeitsbedingungen in den Berliner Schulen verbessern. Kleinere Klassen bedeuten weniger Stress, Lärm und Belastung und gleichzeitig bessere Lernbedingungen.“ Am Vormittag zog eine Demonstration vom Moritzplatz in Kreuzberg zum Roten Rathaus in Mitte.

Der Senat verweist darauf, dass Berlin - wie alle anderen Bundesländer außer Hessen - der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) angehört. Ohne Zustimmung der Tarifgemeinschaft könne Berlin daher keine Tarifverhandlungen über die Klassengröße aufnehmen. Die TdL lehne solche Verhandlungen ab.

Kleinere Klassen - Letzter Warnstreik im April

Die Gewerkschaft trägt ihr Anliegen schon seit mehr als einem Jahr vor und organisierte deswegen bereits einige Protestaktionen, darunter einen Warnstreik im April. Seinerzeit beteiligten sich nach ihren Angaben 2500 Lehrerinnen und Lehrer sowie andere Schulbeschäftigte an dem Ausstand.

„Kleinere Klassen tragen durch eine geringere Arbeitsbelastung zum Gesundheitsschutz der Pädag*innen bei“, sagte Berlins GEW-Vorsitzender Erdmann im Vorfeld. Dass die Klassengröße die wirksamste Stellschraube bei der Senkung der Arbeitsbelastung sei, habe eine umfangreiche Befragung unter angestellten Lehrkräften an Berliner Schulen gezeigt.

Rund 68 Prozent der Befragten gab an, dass sie „große Lerngruppen“ als wichtigsten Belastungsfaktor wahrnehmen würden. Aktuell liegt die Klassengröße in den Grundschulen bei 26 Kindern. Die GEW fordert, sie auf 19 zu begrenzen. Für die Jahrgangsstufe 7 nennt die Gewerkschaft eine Obergrenze von 21 Schülerinnen und Schülern und für die Jahrgangsstufen 8 bis 13 sollten 24 nicht überschritten werden.

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Gewerkschaft droht mit Ausweitung der Warnstreiks

Bereits im Juni 2021 hatte die Gewerkschaft erstmals zu Verhandlungen über einen TV Gesundheitsschutz aufgefordert, bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Nun fordert die Gewerkschaft noch in diesem Schuljahr eine Lösung, andernfalls würden sie die Warnstreiks zukünftig ausweiten. „Wir fordern den Finanzsenator auf, auf unsere Gesprächsangebote einzugehen und mit uns in Verhandlungen einzutreten. Andernfalls werden wir sehr zeitnah zu weiteren Streiks aufrufen, um unserem Anliegen den nötigen Nachdruck zu verleihen“, erklärte Udo Mertens, Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW Berlin.

Die Grundschulen sollten grundsätzlich geöffnet bleiben und zumindest eine Notbetreuung durch die Erzieherinnen und Erzieher anbieten. Außerdem gebe es ja auch verbeamtete Lehrkräfte, die nicht mit streiken können. Dennoch haben einige Schulen die Eltern bereits aufgefordert, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wenn es ihnen möglich ist, um die Betreuungsbelastung nicht zu groß werden zu lassen.

Kritik an der Forderung nach kleineren Klassen

In der Bildungsverwaltung reagierte man mit Unverständnis auf den erneuten Streikaufruf. Angesichts des bundesweiten Lehrermangels sei die Forderung nach kleineren Klassen „nicht realitätsnah“, sagte ein Sprecher. Auch die FDP findet den Aufruf der GEW nicht unbedingt zielführend, auch wenn die Forderung nach kleineren Klassen grundsätzlich natürlich richtig sei. „Die GEW kennt die Situation an den Berliner Schulen und weiß ganz genau, dass das große Problem der Lehrermangel ist“, sagte Paul Fresdorf, bildungspolitischer Sprecher der FDP.

„Nur wenn der Lehrermangel beseitigt wird, dann kann auch der Wunsch nach kleineren Klassen endlich angegangen werden. Darum muss Bildungssenatorin Busse endlich dafür sorgen, dass die Attraktivität des Lehrerberufs gesteigert wird. Das fängt mit einem zeitgemäßen Arbeitsplatz an, geht über die Bezahlung und am Ende muss auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktionieren“, so Fresdorf.

Oberstufendirektoren kritisieren den geplanten Lehrerstreik

Kritik kommt auch von Arnd Niedermöller, Sprecher der Vereinigung der Oberstudiendirektorinnen und Oberstudiendirektoren des Landes Berlin (VOB). Er könne zum jetzigen Zeitpunkt die Forderung der Gewerkschaft nicht verstehen. Für kleinere Klassen bräuchte man nicht nur mehr Lehrkräfte, sondern auch noch mehr Räume. Beides sei angesichts der aktuellen Situation in den Schulen praktisch unmöglich umzusetzen. „Wenn man die Lehrkräfte entlasten möchte, wäre es viel sinnvoller, die Arbeitszeit zu reduzieren“, so Niedermöller.

Die GEW lässt den Personalmangel in den Schulen allerdings nicht als Argument gegen die Forderung nach kleineren Klassen gelten. Vielmehr habe die Berliner Schule bessere Arbeitsbedingungen für Pädagoginnen und Pädagogen dringend nötig, wenn sie die so gefragten Fachkräfte gewinnen wolle.

„Mit einem Tarifvertrag müssten die Arbeitgeber vorausschauend die Weichen stellen für Qualitätsverbesserungen in der Zukunft. Ein Tarifvertrag schafft Verbindlichkeit, damit der Senat endlich dafür sorgt, dass ausreichend Lehrkräfte ausgebildet werden“, erklärte Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik. „Den Verweis auf das fehlende Personal bringen genau diejenigen, die es seit Jahren versäumen, für eine auskömmliche Personalsituation zu sorgen. Das fehlende Personal führt immer nur zu weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und der Bildungsqualität“.