Berlin. Um 12 Uhr mittags wird Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen. Es ist der 23. August 2019 und Changoschwilis Tod wird als Tiergartenmord in Erinnerung bleiben. Ein Geheimdienstmord, mitten in Berlin. Mutmaßlich hat der russische Geheimdienst FSB den Georgier töten lassen. Changoschwili gehörte einer tschetschenischen Minderheit in Georgien an und hatte gegen Russland gekämpft. Ein Terrorist in Augen des Kreml.
Changoschwili ist nicht der einzige, der in Berlin Opfer eines Geheimdienstangriffs wurde. „Berlin ist für Geheimdienste eine interessante Stadt“, sagt der Historiker Christopher Nehring. Er hat das Buch „Geheimdienstmorde - Wenn Staaten töten“ geschrieben. Viele politisch Verfolgte kämen nach Berlin und unter ihnen seien auch immer Ziele von Geheimdiensten.
Geheimdienstziele: Politisch Verfolgte in Berlin
So etwa beim Mykonos-Attentat 1992. In einem griechischen Restaurant in der Prager Straße 2a in Wilmersdorf wurden iranisch-kurdische Exilpolitiker im Auftrag des iranischen Geheimdienstes erschossen. Durchgeführt hatten das Attentat zur Hisbollah gehörende Libanesen.
Doch auch die deutschen Geheimdienste unter sich brachten zur Zeit des Kalten Krieges absurde Aktionen zustande. In seinem eigenen Treppenhaus in der Kurfürstenstraße 25 traf Siegfried Schulze ein tödlicher Karateschlag, Handkante ins Genick. Doch er überlebte. Die Angreifer gingen zu Schlägen über, erfolglos. Schließlich der Schuss mit der Pistole - doch das Magazin war herausgefallen. Schulze konnte fliehen.
Berlin - Hauptstadt der Spione?
Nach dem Ende der DDR konnten die Details zu diesem versuchten Geheimdienstmord in den Stasi-Akten nachgelesen werden. Es ist einer der Morde, den Mehring in seinem Buch beschreibt. Schulze war in der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ aktiv gewesen und 1972 in den Westen geflohen.
Ist Berlin die Hauptstadt der Spione? Die wirtschaftliche und politische Bedeutung Deutschlands und die Verbindungen in die ganze Welt machten Berlin zu einem Machtzentrum, das die Aktivität von Geheimdiensten mit sich bringe, schreibt Mehring.
Ein Vietnamese wird in Berlin entführt
Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Schindler ist da anderer Meinung. „Das ist nicht belegbar“, sagt er auf einer Buchvorstellung mit Christopher Mehring am Donnerstag in Berlin. Auch die von Mehring wahrgenommene Zunahme der Geheimdienstmorde, sei „nicht belegbar“.
Nicht immer kommt es zum Mord, wenn Geheimdienste Zielpersonen angreifen. 2017 ist es der vietnamesische Geheimdienst, der in Berlin agiert. Der Politiker Trịnh Xuân Thanh war 2016 nach Deutschland geflohen und hatte Asyl beantragt, da ihm in Vietnam die Todesstrafe drohte.
Geheimdienste: Immer weniger geheim
2017 als er gerade spazieren geht, und es ist wieder der Tiergarten, fährt ein Krankenwagen mit tschetschenischem Kennzeichen vor und entführt ihn. Der stellvertretende Geheimdienstchef Vietnams war extra angereist, um das Gelingen der Aktion zu überwachen.
Dass Geheimdienstmorde in der Wahrnehmung zunehmen, könnte auch daran liegen, dass Geheimdienste immer weniger geheim sind. Sie kommunizieren offener als früher und durch digitale Kommunikationstechnologien ist es auch immer schwieriger für sie, ihre Aktionen wirklich geheim zu halten.