Berlin . In Berlin wurde erstmals die Rehabilitierung von politisch Verfolgten aus der DDR untersucht. Finanzielle Situation ist oft schwierig.
Wer in der SED-Diktatur politisch verfolgt wurde, leidet oft bis heute an den Folgen – auch finanziell, wie nun eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung für Berlin zeigte. Demnach sind politisch verfolgte Berlinerinnen und Berliner besonders stark von Altersarmut bedroht; ihr Einkommen ist deutlich geringer als im Durchschnitt. So lag das Durchschnittseinkommen der in der Studie befragten Personen mit Rehabilitierungsantrag bei 1418 Euro, nicht eingerechnet waren dabei Leistungen aus den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen. In der Berliner Gesamtbevölkerung lag das Durchschnittseinkommen im Jahr 2019 bei 1621 Euro. 39 Prozent der Studienteilnehmer verfügten sogar über ein Haushaltseinkommen von unter 1000 Euro.
Die am Montag vorgestellte Studie, die sich unter anderem mit den Beratungsangeboten und dem Rehabilitierungsprozess für politisch Verfolgte aus der DDR befasst, beruht auf einem Beschluss des Abgeordnetenhauses aus dem Jahr 2017, im November 2020 begann das Berliner Institut für Sozialforschung (BIS) mit der Untersuchung. Knapp 490 Personen wurden dafür online befragt, außerdem 21 Interviews mit Verfolgten der Diktatur und deren Kindern geführt. Die Befragten waren fast alle zwischen 50 und 80 Jahren alt.
Politisch Verfolgte auch heute noch gesundheitlich belastet
Mit Blick auf ihre finanzielle Situation gaben knapp zwei Drittel der Befragten an, dass die Ausgleichs-, Entschädigungs-, und Unterstützungsleistungen für sie eine notwendige Hilfe darstellen würden. Dass die Menschen finanziell oft in schwierigen Lagen stecken, erklärte Tom Sello, Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, etwa damit, dass sie in ihrer Ausbildungswahl eingeschränkt wurden oder ihnen aus politischen Gründen das Abitur oder Studienplätze verweigert wurden. Zudem sei es nach einer Haftzeit oder einem Aufenthalt im Heim oftmals schwieriger, wieder Fuß zu fassen. „Letztendlich ist es auch in der Rentenauszahlung noch ganz deutlich sichtbar“, so Sello.
Auch Janika Gabriel vom BIS sagte bei der Studienvorstellung, die Langzeitfolgen der politischen Verfolgung seien bei den Betroffenen „unübersehbar“. Neben der prekären finanziellen Situation würden diese sich auch heute noch in gesundheitlicher, oft auch psychischer Belastung zeigen. In den Interviews sei deutlich geworden, dass viele der politisch Verfolgten unter Depressionen, Angstzuständen oder gar Suizidgedanken leiden. Daneben hätten auffällig wenige bei der Befragung ihre Gesundheit als „sehr gut“ eingestuft.
Inflation: Deutliche Erhöhung der Opferrente gefordert
Analysiert hat das BIS auch, wie die Prozesse von der Antragsstellung zur Rehabilitierung bis zur Bewilligung von Leistungen ablaufen. Dabei stellten die Forschenden einerseits die lange Dauer fest – sechs bis 18 Monate nähmen die Verfahren in Anspruch. Zudem seien die Beweise und Dokumente, die zusammengetragen werden müssten, schwer zu beschaffen, so Gabriel, und Formulare wurden teilweise als schwer verständlich beurteilt. Darüber hinaus habe die Studie gezeigt: „Der Rehabilitierungsprozess ist nicht nur sehr komplex und dauert lange, sondern die Auseinandersetzung mit der eigenen Unrechtserfahrung setzt die Antragstellenden auch einer enormen emotionale Belastung aus.“
Während die Angebote im Bereich der Beratung von Betroffenen in Berlin als sehr vielfältig bewertet wurden, ergab die Studie aber auch: Noch nicht jeder wird mit den Angeboten erreicht. Ein Viertel der Befragten habe angegeben, die Möglichkeiten nicht zu kennen, sagte Gabriel. Die Zahl der Ratsuchenden war zuletzt konstant, seit 1990 wurden etwa 70.000 Personen beraten. Erwartet wird, dass der Bedarf nach Beratung auch in Zukunft vorhanden sein wird.
Bedingt durch das Alter der Betroffenen, sagte Gabriel, seien für Verbesserungen schnelle Lösungen gefragt. Prozesse müssten vereinfacht und so beschleunigt werden. Tom Sello sieht mit Blick auch auf die aktuelle Inflation und steigende Lebenshaltungskosten die Notwendigkeit, die sogenannte Opferrente zu erhöhen und fortlaufend anzupassen. Auch er drängte zudem auf eine Beschleunigung der Prozesse. Im Zusammenhang mit gesundheitlichen Folgeschäden würden Auseinandersetzungen zum Teil über zehn bis zwölf Jahre gehen. „Das kann so nicht sein, es muss eine zugewandte, einfache Anerkennung der Schäden geben, ohne dass komplizierte Beweisverfahren aufgerufen werden“, so Sello.