Berlin. Es ist die Lange Nacht des Anstehens. Das sagt ein Mann schon um 20 Uhr zu seiner Freundin, als sie den AEG-Tunnel in der Voltastraße verlassen. Vor dem Eingang warten noch immer hunderte Menschen, um die 15-minütige Performance in Deutschlands erstem U-Bahntunnel zu sehen.
Die Szene steht symbolisch für die Lange Nacht der Museen am Sonnabend. An allen großen Museen bilden sich Menschenschlangen. Nach der zweijährigen Corona-Pause sind die Ausstellungen voll, 40.000 Menschen haben am Sonnabend die Lange Nacht der Museen 2022 besucht. Das knüpfe an die Besucherzahlen von 2019 an, so die Pressesprecherin der Veranstalter Kulturprojekte Berlin, Julia Kufner. „Unsere Erwartungen wurden total übertroffen“.
Lange Nacht der Museen in Berlin 2022: Vertikaler Tanz und unterirdische Installationen
Neben Kunst, Geschichte und Technik ist bei den 700 Veranstaltungen auch viel Tanz zu sehen. Zum Beispiel bei der Eröffnungsperformance vor dem Alten Museum oder am asisi-Panorama in der Friedrichstraße. Dort tanzte das Ensemble „VoLA Stage Art“ eine „Vertical Dance“-Performance. In militärisch anmutenden Overalls fliegen die Tänzer vor revolutionären Parolen hin und her. Ihr Tanz wirkt martialisch, wie ein Kampf um Freiheit, der erst noch gefochten werden muss. Sie ernten jubelnden Applaus.
Andernorts sind die Besucher weniger begeistert. Zur Installation im AEG-Tunnel werden alle 15 Minuten zwanzig Menschen eingelassen. In einem kleinen Film stellen sich die Macher der Performance als Künstlerensemble aus Detroit vor. Sie erzählen eine sagenhafte, historisch nicht ganz korrekte Geschichte des Tunnels, die etwas mit griechischer Mythologie, Seeziegen und Mineralien aus einem Asteroidengürtel zu tun hat.
Dann geht es los. Der Tunnel ist bunt beleuchtet. Rechts und links dringen aus Rohren sphärische Töne, die „Stimmen der Planeten“. Nach fünf Minuten versperrt eine runde Scheibe den Weg. Davor sitzen zwei Männer, die auf einem Overheadprojektor Ringe und Ketten in Wasser umherschieben. Das erzeugt schöne Muster auf der Scheibe, der Weltallsound schwillt noch einmal an. Dann ist die Performance vorbei und die Gruppe wird zum Ausgang geleitet.
Lange Wartezeiten bei der Langen Nacht der Museen in Berlin
Ein paar ältere Berliner sind enttäuscht. Sie hatten eineinhalb Stunden gewartet. „Die hätten schon ein bisschen was über die Geschichte des Tunnels erzählen können. Jetzt können wir wenigstens sagen, wir waren drin“.
Vor dem Naturkundemuseum zieht sich die Schlange schon weit den Gehsteig entlang. Trotzdem geht es hier deutlich schneller, was gut für die Stimmung ist. Kufner von der Kulturprojekte Berlin sagt, die Besucher hätten sich sehr auf die „Bestseller“ konzentriert, was zu den langen Wartezeiten geführt habe.
Drinnen trinken Besucher Aperol Spritz unter dem Brachiosaurus. Museumsmitarbeiter erklären, wie sie mit einem besonderen Scanner die zwei Millionen Exemplare der Schneckenhaussammlung digitalisieren und man darf in einer Tastbox ein paar Muscheln erfühlen.
Das Highlight ist aber ein alter Bekannter: Tristan Otto, ein schwarzes Tyrannosaurus rex Skelett. Den wollte sich auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey anschauen. Sie freue sich, dass Tristan jetzt wieder in Berlin sei. Der Tyrannosaurus sorgte bei einer ersten Ausstellung im Naturkundemuseum vor der Corona-Pandemie für einen regelrechten Ansturm an Besuchern. In einem Jahr kamen rund 280.000 Menschen mehr zu Besuch.
Kaugummiwettbewerb: Die größte Blase gewinnt
Etwas weiter im Westen ist man in einer ganz anderen Museumswelt. Im c/o Berlin trinkt ein stylishes junges Kunstpublikum Aperol Spritz, dazu singt eine Jazz-Sängerin und für ein Kaugummiblasenwettbewerb steht ein Glas mit Riesenbubblegums bereit.
Große Blasen zu produzieren ist gar nicht so leicht. Tipps anderer Teilnehmerinnen: Entweder zwei Kaugummis auf einmal nehmen oder den Gummi während des ganzen Ausstellungsbesuchs durchkauen, um die richtige Elastizität zu erreichen. Dann muss das Selfie auf Instagram gepostet werden, gleich noch ein kleiner PR-Gag für das c/o Berlin. Die größte Blase gewinnt zwei Eintrittskarten.
Wieder in Mitte warten die Besucher im Samuraimuseum, dass die Trommelperformance losgeht. Das Museum ist gegen 21.30 Uhr gut gefüllt und die Luft stickig. Ein Countdown läuft ab. Als er auf null schlägt, startet eine Videoprojektion. Noch immer warten alle auf die Trommler. Nach ein paar Minuten bemerken die Zuschauer, dass es das gewesen sein soll. Augenverdrehend ziehen sie ab. Noch eine Enttäuschung. Nicht einmal Ton gab es wegen technischer Probleme.
In der Berlinischen Galerie herrscht beim Aktzeichnen konzentrierte Stille. Zwanzig Menschen sitzen mit Stift und Papier im Kreis um ein Podest. Darauf lehnen eine junge Frau und ein älterer Mann Rücken an Rücken. Zehn Minuten, dann tauschen sie die Pose. Manche Zeichner kommen zum ersten Mal her, andere sind schon seit zehn Jahren dabei und bringen in der kurzen Zeit kleine Aquarellbilder zustande.
Auch das Humboldtforum hatte mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Medienstationen hätten im Laufe des Abends einfach schlappgemacht, erzählt ein Museumsführer bei der Führung „für Eilige“ durch die ethnologische Sammlung. Bei dem Schnellrundgang schneidet er die Diskussion um die Rückgabeforderungen bestimmter Objekte und die koloniale Geschichte ihres Erwerbs an.
Technische Probleme und Party im Humboldtforum
Dabei wird er alle paar Minuten von einem pfeifenden Ton unterbrochen. „Unser Alarm ist sehr sensibel eingestellt und bei so vielen Leuten reagiert er ständig“, erklärt der Museumsführer, der davon gegen Ende des Abends verständlicherweise schon etwas genervt ist.
Um Mitternacht geht im Humboldtforum schon die Party ab. In einer Ecke des Foyers ist eine Tanzfläche aufgebaut und zu DJ Jeffs Pop und Hip-Hop Set wird ausgelassen getanzt. Wer jetzt schon hier ist, wird kaum noch den Ort wechseln, denn inzwischen regnet es in Strömen.
Die Kulturprojekte Berlin feiern das Comeback der Langen Nacht der Museen als vollen Erfolg. Und das zu recht, das große Interesse der Besucher zeigt, dass so ein Event gerne angenommen wird. Die lockere Stimmung abends in den Museen ist wirklich besonders. Nur bei den langen Wartezeiten und weiten Wegen zischen manchen Standorten kann der Abend stressig werden. Manchmal kommt dann das Gefühl auf, dass man sich alles nochmals an einem normalen Tag mit ausreichend Zeit im leeren Museum anschauen muss.