Berlin. Die Lage auf dem Berliner Ausbildungsmarkt im Handwerk hat sich umgekehrt: Junge Leute, die nicht studieren, können sich die Stellen aussuchen
Die Spitzen ihrer weißen Ballerina-Schuhe sind am Ende dieses Tages nicht mehr ganz so hell. „Dit macht nüscht“, so Franziska Giffey, die sich am Dienstag im Rahmen einer „Ausbildungstour“ zusammen mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz ein Bild von der Berliner Ausbildungssituation in Handwerksberufen gemacht hat. „Ist ja klar, dass hier ein bisschen Staub ist, wenn man auf dem Bau ist. Ich bin ein Handwerkerkind, ich kenne das“, so die Regierende Bürgermeisterin.
Im Lehrbauhof der Fachgemeinschaft Bau in Marienfelde kniete sich Giffey zum Pflastern neben einen Straßenbau-Azubi, klebte eigenhändig eine Fliese und traf einen Nagel auf den Kopf. Die zentrale Frage in den Gesprächen: Was kann die Baubranche attraktiv machen für junge Menschen, die dort so händeringend gebraucht werden? Dabei handele es sich in Giffeys Augen um wichtige Berufe: „Hier werden Werte geschaffen.“ Es seien traditionelle aber auch sehr moderne Berufe. Hier stehe nicht nur die Digitalisierung immer mehr im Mittelpunkt, sondern auch der Bereich Klimaschutz und nachhaltiges Bauen.
Von 15.000 Ausbildungsplätzen erst knapp die Hälfte besetzt
Die Tour war so getimt, dass das Werben für eine duale Ausbildung noch etwas bewirken kann. Berlins Ausbildungsmarkt ist für dieses Jahr noch stark in Bewegung. Laut Handwerkskammer haben die Betriebe bis Ende Juli knapp 1300 Ausbildungsverträge geschlossen, ein paar weniger als 2021. Im Vorjahr war die Zahl der Handwerksazubis im ersten Lehrjahr aber bis zum Jahresende noch auf rund 3000 gestiegen.
Aber viele Betriebe werden wieder leer ausgehen. Insgesamt sind von 15.000 angebotenen Ausbildungsplätzen in den Betrieben der Handwerks- und der Handelskammer noch fast die Hälfte nicht besetzt. Die Ausbildungsplatzbörse der Handwerkskammer zeigt aktuell fast 500 offene Ausbildungsstellen, vom Anlagenmechaniker/in bis Zweiradmechatroniker/in. „Das Handwerk sucht Azubis, die eine bessere Zukunft bauen wollen“, sagte Handwerkskammer-Geschäftsführer Jürgen Wittke. Es sei noch nicht zu spät, sich zu bewerben.
„Das Handwerk hat ein Imageproblem“, glaubt Bäckermeisterin Christa Lutum
Während sich früher die Betriebe die Azubis aussuchen könnten, ist es heute oft umgekehrt. Auch viele Bäckereien werden ihre Lehrstellen nicht besetzt bekommen, sagte Innungs-Obermeisterin Christa Lutum, als Giffey und Schwarz in ihrer Backstube samt Café in der Charlottenburger Giesebrechtstraße vorbeischauten. „Handwerk hat ein Imageproblem“, findet die Bäckerin, „für viele fängt der Mensch erst mit dem Hochschulabschluss an.“ Hier müsse deutlich gegengesteuert werden, sagte die Meisterin. Für viele junge Menschen sei die Universität nicht der richtige Ort. Es wäre gut, wenn mehr Berufspraktika an den Schulen angeboten würden, vor allem auch in den 12. Klassen. Viele Handwerksbetriebe seien zudem zu wenig aktiv und präsent auf den sozialen Medien, würden deswegen von interessierten Bewerbern gar nicht gefunden, weiß die Obermeisterin. Sie selbst hat für ihren auf Bio und Dinkel spezialisierten Betrieb weniger Probleme, Nachwuchs zu finden. Demnächst starten bei ihr zwei Akademikerinnen die Ausbildung zur Bäckerin. „Der Beruf hat sich weiterentwickelt“, versichert Lutum. Viele Betriebe hätten inzwischen die Arbeit so organisiert, dass die Leute noch nicht mal immer zu nachtschlafender Zeit anfangen müssten.
Bei der nächsten Station in Kaulsdorf treffen die Politiker auf eine einigermaßen heile Ausbildungswelt. Der in Hellersdorf ansässige Elektro- und Installateurbetrieb Krone schraubt hier mit einigen seiner 170 Mitarbeiter Solarpaneele auf ein Gartenhaus. Man kümmere sich stark um das Ausbildungsthema, sagt Chef Phillip Krone. Zehn neue Azubis in verschiedenen Berufen fingen im September an. Dann beschäftige man über drei Lehrjahre mehr als 20 Auszubildende. „Eine Ausbildungsquote von mehr als zehn Prozent“, lobte der Wirtschaftssenator und langjährige Berliner Handwerkspräsident Schwarz.
Gesellen ließen sich in begehrten Berufen wie Installateur, Anlagenmechaniker und Elektriker kaum finden, verrät Krone. Deswegen ziehe man selbst die Fachkräfte heran und suche aktiv: „Wir bewerben uns bei den Menschen“, so der Unternehmer. Und ärgert sich, wenn Wettbewerber sich die Ausbildung sparten und dann die raren Spezialisten mit hohen Löhnen abwerben. Der Senat will mit einer Umlage gegensteuern. Bei Krone geht ein Monteur mit 15 oder 16 Euro pro Stunde nach Hause, auch 20 Euro seien möglich.
„Ich bin über ein Praktikum in die Berufsausbildung als Elektriker reingerutscht“, sagt Manuel Köppe. Ein anderer bekam den Tipp von einem Freund, der nächste wurde über den Fußballtrainer ans Handwerk herangeführt. „Die Berufe werden nicht attraktiv dargestellt, deshalb hat keiner Bock, die zu machen“, sagte Köppe. Dabei sei seine Tätigkeit nicht nur interessant, er habe auch den zukunftsträchtigsten Job überhaupt. Strom und Wasser bräuchten die Leute schließlich immer und ein Roboter werde wohl nie das können, was er täglich tue.
Rahim Teymori, der aus Afghanistan nach Deutschland floh, ist schon mit der Ausbildung durch und selbstständig als Monteur unterwegs, seine Aufträge bekommt er über eine App aufs Tablett und erfasst dort auch seine Arbeit. „Es kommt jeden Tag etwas Neues“, sagte der Geselle. Und es mache ihn auch stolz, täglich mit gegen den Klimawandel zu arbeiten. Das findet auch Giffey: „Modernes Handwerk bedeutet, nicht nur über Klimaschutz zu reden, sondern ihn tatsächlich auch zu machen.“