Berlin. Die ersten Interessenten waren schon vor neun Uhr da, tagsüber gab es lange Warteschlangen – aber auch viele zufriedene Gesichter. Die erste Jobmesse der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) hat am Donnerstag weit mehr als 1000 Interessenten angezogen. In der weitläufigen Lobby des Ludwig Erhard Hauses an der Fasanenstraße in Charlottenburg informierten rund 50 Anbieter zu allen Fragen, die Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin beschäftigen – von der Registrierung in Berlin bis zu konkreten Jobangeboten.
Mehr als 100.000 Menschen seien inzwischen vor dem russischen Angriffskrieg aus ihrer Heimat nach Berlin geflüchtet, so IHK-Präsident Daniel Girl bei der Begrüßung. So fürchterlich die Lage in ihrer Heimat sei, so wichtig sei für viele inzwischen das Thema Arbeit. Umgekehrt hoffe Berlin auf neue Fachkräfte, die am Arbeitsmarkt dringend gebraucht werden. Integration erfolge auch über Arbeit, betonte Christoph Möller, Chef der Berliner Arbeitsagentur Nord, aber auch er sagte. „Berlin braucht Sie.“
Auch bei den Unternehmen war die Messe auf großes Interesse gestoßen. Knapp 100 Unternehmen hätten sich beworben, so IHK-Sprecherin Claudia Engfeld, für 50 war aber nur Platz – von der Eventagentur, die studentische Mitarbeiter suchte, über eine türkische Molkerei aus Britz bis zum IT-Unternehmen aus der Schweiz.
Speeddating-Feeling und konkrete Angebote
Das Kennenlernen hatte ein bisschen etwas von Speeddating. Die Besucher wechselten zwischen den Ständen, hinterließen bei Interesse Kontaktdaten und umgekehrt. Viele waren gut vorbereitet mit Zeugnissen und Unterlagen in Mappen. Umgekehrt warben zahlreiche Arbeitgeber mit zweisprachigen Informationen – manche auch sehr konkret mit Angaben zu Gehältern und Vertragsbedingungen. An vielen Ständen wurden auch gleich Probe-Arbeitstage oder Praktika vereinbart, so Engfeld.
Dilek Intepe von der Handwerkskammer Berlin hatte schon in der ersten Stunde fast 20 Interessenten. „Viele Menschen aus der Ukraine bringen Kenntnisse mit, die mit unseren Handwerksbetrieben gut korrespondieren, etwa im Bereich der Nahrungsmittel, Elektro- und Sanitärinstallation.“ Wichtigstes Thema sei für viele die Anerkennung der Qualifikation.
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Doch auch der „niedrigschwellige“ Job-Einstieg sei möglich, hieß es etwa beim Hofbräuhaus am Alexanderplatz, das dringend Personal für Küche und Service sucht. Hier war der stellvertretende Restaurantchef persönlich zur Messe gekommen. Nikita Borowski spricht Russisch – Anlass für viele Interessenten, stehen zu bleiben.
„Ich möchte Deutschland danken, für das, was Sie für uns tun“
Die Sprache ist auch für Zhumana Masud wichtig. Die Neurologin aus Charkiw lebt seit dem 12. März in Berlin. „Ich würde gern als Ärztin in einer Praxis oder einem Krankenhaus arbeiten.“ Sie war mit ihrem kompletten Deutschkurs zur Messe gekommen. Größte Hürde, sagt sie, sei noch die Sprache. Die Messe sei aber eine gute Idee, um viele Fragen auf einmal zu klären. „Ich möchte Deutschland danken, für das, was Sie für uns tun.“
Auch Berlins Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial begrüßte die Jobsuchenden. Sie warb, sich in Berlin zu registrieren, was viele noch nicht getan hätten. „Sie erhöhen damit die Chancen auf Kita- und Schulplätze und auf Arbeit.“
Bürokratie größtes Hindernis bei der Berufsanerkennung
Sie kritisiert, das System sei für Menschen aus dem Ausland in Deutschland zu kompliziert. „Die Menschen wollen ja am besten sofort loslegen.“ Eine Idee sei ein Willkommenszentrum, in dem von der Registrierung über Deutschkurse, Ausbildungs-Anerkennung bis zur Jobvermittlung alles an einem Ort stattfinde.
Dass die Anerkennung von Berufsabschlüssen schneller erfolgen soll, darüber sind sich auch die Parlamentarier im Abgeordnetenhaus einig. Nur wie, darüber besteht Unklarheit. Der Arbeitsausschuss hatte deshalb Experten aus der Praxis eingeladen, Wege aufzuzeigen.
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Dringend notwendig wäre es, darin bestand Einigkeit, den Geflüchteten eine Art Integrationslotsen an die Seite zu stellen, die dabei helfen, durch den Bürokratiedschungel zu finden. Hilfreich wäre außerdem, Sprachkurse beim Arbeitgeber anzubieten, um den Flüchtlingen weitere Wege zu ersparen. Da vor allem Frauen mit Kindern aus der Ukraine nach Berlin geflohen sind, sind sie häufig nur eingeschränkt mobil, da sie sich neben der Arbeit auch um die Kinderbetreuung kümmern müssen.
Praktische Prüfungen könnten viele Verfahren abkürzen
Deutlich schnellere Berufsanerkennung könnte auch durch praktische Prüfungen erfolgen, so die Experten. Denn die deutsche duale Ausbildung ist mit ausländischen Ausbildungsgängen schwer vergleichbar, was oft zu Schwierigkeiten bei der Anerkennung führt. Diese Verfahren dauern häufig ein Jahr oder länger.
Weitere Wartezeiten entstehen, wenn von Flüchtlingen Anpassungslehrgänge verlangt werden, um Wissenslücken auszugleichen. Für viele Berufe gibt es derartige Lehrgänge aber nicht – so dass Flüchtlinge berufsfremd arbeiten müssen oder Berlin in Richtung anderer Bundesländer verlassen, wie Julia Merian vom Club Dialog e.V. berichtete. Der Verein unterstützt Flüchtlinge bei der Integration. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verwies auf die vom Bund vorgegebenen Hürden für eine Berufsanerkennung. Demnach würden vor allem fehlende Sprachkenntnisse die Anerkennung verhindern.
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