Verfassungsschutzbericht 2021

Journalisten zunehmend im Visier von Verfassungsfeinden

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Journalisten werden bereits seit Jahren als „Lügenpresse“ diffamiert“ (Archivbild).

Journalisten werden bereits seit Jahren als „Lügenpresse“ diffamiert“ (Archivbild).

Foto: Boris Roessler / dpa

Medienschaffende sind 2021 zunehmend in den Fokus der Verfassungsfeinde vor allem von rechts geraten.

Berlin. Journalistinnen und Journalisten werden immer häufiger Opfer von Übergriffen. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit so viele Vorfälle registriert, wie nie zuvor. Auch der Berliner Verfassungsschutz sieht Medienschaffende zunehmend im Fokus von Verfassungsfeinden und widmet diesem Phänomen in seinem am Dienstag vorgestellten Jahresbericht 2021 daher ein eigenes Kapitel.

So wurden im April 2021 mehrere Kamerateams im Regierungsviertel von Querdenkern bedrängt und zum Teil attackiert, sodass Übertragungen mitunter abgebrochen wurden. Der Journalistengewerkschafter Jörg Reichel wurde im August bei einer nicht genehmigten Demonstration von Corona-Leugnern vom Rad gerissen, geschlagen und getreten.

Diese Szene wird von den Verfassungsschützern seit 2020 beobachtet, wobei sie weder als links oder rechts, sondern als eigenes Phänomen klassifiziert wird. Attacken wie diese seien „auch Ausdruck der Verachtung, die dieses Spektrum der Presse- und Meinungsfreiheit und damit zentralen Prinzipien unserer Verfassung entgegenbringt“, heißt es im Bericht. Darin würde sich dieses neue Phänomen nicht von anderen Extremismen unterscheiden.

Verachtung für Presse- und Meinungsfreiheit eint Extremisten

Zwar würden daneben auch islamistische oder gewaltbereite Linksextremisten zunehmend zur Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten aufrufen oder gegen diese angreifen. „Vor allem von der rechtsextremistischen Szene werden Medienschaffende als Feindbilder definiert“, heißt es darin. Sie würden als „Lügenpresse“ diffamiert, „bedroht, tätlich angegriffen und sollen zum Schweigen gebracht werden“.

Verfassungsfeinde hätten erkannt, wie wichtig Deutungshoheit in unserer Informationsgesellschaft sei, heißt es im Bericht weiter. Daher würden sie die Entwicklung nutzen, „um jenseits der etablierten Medien eigene Informationskanäle aufzubauen und dort ‚alternative Fakten‘ zu verbreiten“. Eine freie Presse sei hingegen konstitutiv für unsere Demokratie, sagt Berlins Verfassungsschutzchef Michael Fischer.

Er verweist auf die Ergebnisse einer Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2020, denen nach zwei Drittel aller befragte Medienschaffenden die Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland gefährdet sehen. „Da kann ein Verfassungsschutz in einer Hauptstadt nicht drüber hinweggehen.“ Innensenatorin Iris Spranger (SPD) versprach derweil, dass es weiter klare Weisungen an die Polizei geben werden, sich etwa auf Demonstrationen „schützend vor Journalisten zu stellen“.

Spranger: Größte Bedrohung geht vom Rechtsextremismus aus

Die größte Bedrohung geht laut Spranger vom Rechtsextremismus aus. Insgesamt rechnet der Verfassungsschutz 1440 Personen diesem Spektrum zu – etwas mehr als 2020 (1430). Der Dritte Weg, eine rechtsextreme, anfangs vor allem in Süd- und Ostdeutschland aktive Kleinstpartei, „hat sich in Berlin zu einem zentralen Akteur des Rechtsextremismus entwickelt“.

Zwar sei es der Partei nicht gelungen, gemeinsam mit NPD und der Identitären Bewegung nennenswerten Einfluss auf die Corona-Proteste zu erreichen. Dafür hätten sich diese Akteure ab der Jahresmitte anderen Themen zugewandt und gegen Geflüchtete mobil gemacht, die vor allem nach der Übernahme der Taliban in Afghanistan und über die Belarus-Route kamen.

Eine besonders große Gefahr geht laut Spranger von Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden aus. Laut Bundesverfassungsschutz gab es in Berlin im vergangenen Jahr 74 Verdachtsfälle rund um 93 betroffene Personen. Personen, die außerhalb der Verfassung stehen und gleichsam Zugang auf sensible Daten hätten.

Salafisten stagnieren, andere Islamisten im Aufwind

Als unverändert hoch schätzen die Verfassungsschützer auch die Gefahr durch den Islamismus ein. Das Personenpotenzial ist dabei laut Bericht in Berlin um 100 auf knapp 2260 angewachsen. Das Plus wird dabei anders als in den Vorjahren nicht bei Salafisten (1100, davon 450 gewaltbereit), sondern bei den sonstigen gewaltorientierten Gruppierungen (520), zu denen etwa die Hamas oder die Hizb Allah gezählt werden.

Diese hätten vor allem bei den antisemitischen und israelfeindlichen Ausschreitungen im Mai 2021 anknüpfen können, wie sie auch in diesem April stattfanden und im Nachgang verboten wurden. Die Stagnation bei den Salafisten dürfe allerdings „den Blick auf die Gefährlichkeit dieser Szene auf keinen Fall verstellen“, sagte Spranger. Sie würden weiter etwa im Internet gegen den Westen und Ungläubige hetzen.

Mit rund 3800 gibt es in Berlin auch rund 200 Personen mehr, die dem Linksextremismus zugerechnet werden. Der überwiegende Teil von 2700 wird allerdings als nicht gewaltbereit eingestuft, wo auch der Zuwachs zu verzeichnen war. Das Potenzial der tatsächlich gewaltbereiten Linksautonomen ist laut Bericht gegenüber 2020 dagegen von 980 auf 950 geschrumpft. Die würden allerdings längst nicht mehr nur gegen Sachen, sondern auch gegen Personen aus Wirtschaft und Politik und insbesondere gegen Polizistinnen und Polizisten vorgehen, so Spranger weiter.

Anders als 2020: AfD bleibt in diesem Jahr unerwähnt

2020 wurde die Gliederung „Der Flügel“ der AfD von den Verfassungsschützern noch als „erwiesen extremistische“ und „völkisch-nationalistische Sammlungsbewegung“ eingestuft. Im aktuellen Bericht findet er keine Erwähnung. Eine Begründung dafür lieferte Behördenchef Fischer am Dienstag auf Nachfrage nicht. Es habe in jüngster Zeit „sehr klare Vorgaben der Verwaltungsgerichte“ dazu gegeben. „Daraus folgern wir, dass wir uns zu bestimmten Fragestellungen nicht öffentlich äußern.“ Die AfD klagte zuletzt in mehreren Ländern gegen ihre Einstufung als rechtsextremen Verdachtsfall.