Berlin. Die Veranstalter einer für Freitag angekündigten pro-palästinensischen Demonstration klagen gegen das Verbot der Polizei. Dem Verwaltungsgericht Berlin liege ein entsprechender Eilantrag vor, sagte eine Gerichtssprecherin am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Das Gericht wollte noch am selben Tag darüber entscheiden.
Palästinensische Initiativen hatten für den Nachmittag in Kreuzberg eine „Protestdemonstration gegen die israelische Aggression in Jerusalem“ angemeldet. Die Polizei hat diese jedoch aus Sorge vor erneuten antisemitischen Vorfällen verboten, wie sie am Donnerstagabend mitgeteilt hatte.
„Basierend auf Erfahrungen auch der jüngeren Vergangenheit“ bestehe „die unmittelbare Gefahr“ von antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten, begründete die Polizei ihre Entscheidung. Am vergangenen Freitag und Samstag hatte es bei vergleichbaren Demos mit einigen Hundert pro-palästinensischen Teilnehmern Stein- und Böllerwürfe auf Polizisten gegeben.
Unterdessen reagierte die Deutsch-Israelische Gesellschaft erleichtert auf das Verbot. „Dies ist ein Schritt in die Richtung, die wir in einem Offenen Brief wegen der schwerwiegenden Vorfälle bei ähnlichen Demonstrationen am letzten Wochenende von Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordern“, teilte die Gesellschaft mit. Die Organisation hatte einen „wachsenden israelbezogenen Antisemitismus im arabisch-palästinensischen Milieu“ beklagt und gefordert, alle Möglichkeiten des Rechtsstaats auszuschöpfen, um gegen Hass und Hetze vorzugehen.
Es sei gut, dass die Berliner Polizei konsequent präventiv reagiere, hieß es vom Förderkreis Denkmal für ermordete Juden Europas. Durch das Verbot werde dem „offen ausgetragenen Antisemitismus“ der Platz entzogen, den er viel zu häufig einnehme.
Polizeipräsidentin verteidigt Ausschluss von Reportern
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte am Donnerstag die Entscheidung, dass Journalisten am vergangenen Sonnabend von einer pro-palästinensischen Demonstration ausgeschlossen wurden, verteidigt. „Die Einsatzkräfte haben versucht, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit in Einklang zu bringen“, sagte sie der Berliner Morgenpost. Mehrere Reporter waren von Teilnehmenden angefeindet, bedrängt und zum Teil antisemitisch beleidigt worden, bevor die Polizei mindestens einen von ihnen, der für das Jüdische Forum für Demokratie und Antisemitismus (JFDA) berichtete, auf Wunsch des Versammlungsleiters von der Teilnahme ausschloss.
Man habe die betroffenen Pressevertreter „in die Schutzmaßnahmen direkt am Aufzug aufgenommen“, sagte Slowik. „Diese haben sich danach wieder in die Versammlung begeben.“ Vor diesem Hintergrund sei der Ausschluss erfolgt. Die Polizeipräsidentin verweist dabei auf Paragraf 7 des neuen Berliner Versammlungsfreiheitsgesetzes (VersFG).
Demnach kann die Versammlungsleitung die Polizei um Ausschluss von Teilnehmenden und Dritten bitten. „Das gilt auch für Presseangehörige, sofern sie die Ordnung der Versammlung erheblich stören“, heißt es. Die Polizei könne die Lage auch anders bewerten, als die Versammlungsleitung, sagte Slowik.
Offen antisemitische Parolen und Terrorpropaganda
Die Demonstration, auf der offen antisemitische Parolen geäußert, die Vernichtung Israels gefordert und Propaganda der Terrororganisation Hamas verbreitet wurde, sorgte bundesweit für Entsetzen. Redner warnten per Lautsprecher auch vor der vermeintlichen „Zionistenpresse“, Reporter wurden als „Drecksjuden“ beschimpft, nach mindestens einem wurde getreten, wie Videos zeigen, die im Nachgang auf Twitter veröffentlicht wurden.
„Wir wurden von der Polizei nicht geschützt, sie hat uns allein gelassen“, widerspricht Jörg Reichel, Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), der Polizeipräsidentin. Hilferufe seien von den Beamten „belächelt“ worden. Die Reporter hätten lediglich ihren Job gemacht und hätten die Veranstaltung nicht gestört, so Gewerkschafter Reichel weiter. „Die Polizei hätte die Forderung des Ausschlusses als unverhältnismäßig zurückweisen müssen.“
Polizeipräsidentin kündigt „konkrete Handlungsanweisungen“ an
Die Polizei müsse sich in diesem neuen Rechtsrahmen erst einmal zurechtfinden, sagt die Polizeipräsidentin. Man habe hier einen ersten Fall und erarbeite nun konkrete Handlungsanweisungen für die Einsatzkräfte im Umgang mit der gestärkten Rolle der Versammlungsleitung. „Zuvor lag die Entscheidungskompetenz bei der Polizei, was dieses Spannungsfeld gar nicht erst hat entstehen lassen.“
Der Polizeirechtler und ehemalige Direktionsleiter Michael Knape sieht das ein wenig anders. „Pressevertreter sind nicht Teilnehmer einer Versammlung und unterliegen daher dem besonderen Schutz der Polizei“, sagt er der Berliner Morgenpost. „Ein Ausschluss käme ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn sie zum Beispiel Straftaten begehen oder polizeiliche Maßnahmen in erheblicher Weise behindern.“
Polizeirechtler Knape: Pressefreiheit hat „konstituierende Bedeutung“
Knape verweist in diesem Zusammenhang auch auf Paragraf 3 des VersFG. Die Polizei hat die freie Berichterstattung von Medien auf Versammlungen demnach jederzeit zu gewährleisten. Ferner habe die Pressefreiheit für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat eine „konstituierende Bedeutung“.
Während Vertreter der Grünen und Linken die Fehler in diesem Fall bei der Polizei sehen, steht von anderer Seite das VersFG selbst in der Kritik. Bodo Pfalzgraf, Vorsitzender des Berliner Landesverbands der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sieht an dieser Stelle die Stärkung der Versammlungsleitung kritisch. Durch das Ausschlussrecht „entfaltet sich manches Mal ein Spannungsfeld zwischen subjektiv empfundener erheblicher Störung und dem eigentlich rechtlich feststehenden Begriff erhebliche Störung“, sagt Pfalzgraf. „Dies macht es für die Polizei nicht einfacher.“ Statt Kritik fordert die DPolG Rückendeckung von der Politik, die für das VersFG verantwortlich sei.
Umstrittenes Gesetz gilt seit Februar 2021
Das Gesetz trat im Februar 2021 in Kraft. Zuvor hatten Querdenker, Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker massiv an Zulauf gewonnen. Auch hier machte sich Pressefeindlichkeit breit. Einige rechte Aktivisten fühlten sich selbst berufen, nun Journalisten zu sein, wobei das Gebot der neutralen Berichterstattung auf der Strecke blieb.
Diesen Personenkreis habe man jedoch nicht im Kopf gehabt, als man die entsprechende Regelung im VersFG traf, sagt der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und Mitverfasser, Sebastian Schlüsselburg. „Das Problem gab es vorher schon, es hat mit dem neuen Gesetz nichts zu tun.“
Journalistengewerkschafter Reichel befürchtet jedoch, dass zukünftig auch etwa Rechtsradikale oder andere Extremisten vermeintlich „gegnerische Presse“ von ihren Demonstrationen mithilfe der Polizei ausschließen können. Er fordert daher, dass der entsprechende Passus gestrichen wird. Mitverfasser Schlüsselburg hingegen verteidigt das VersFG. „Versammlungslagen sind schon immer komplexe Grundrechtsabwägungen“, so der Linkenpolitiker. Polizeiführer seien oft in einer schwierigen Lage, weshalb man das Gesetz möglichst genau formuliert habe.