Berlin. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ will drei Personen in die vom Berliner Senat gegründete Expertenkommission entsenden. Das entschied die Vollversammlung der Initiative am Dienstagabend, berichtet der „Tagesspiegel“. Zuletzt war unklar, ob die Initiative sich beteiligen werde. Am Montagabend hatte sie deswegen zu einer Diskussionsrunde eingeladen, den Stand der Dinge zu besprechen, bevor die Kommission ihre Arbeit aufnimmt.
Dabei wurde schnell klar, dass die Frage der Enteignung von bis zu 240.000 Wohnungen, wie es die Initiative fordert und dafür beim Volksentscheid eine breite Mehrheit erhielt, ein weitaus größeres Unterfangen ist, als sich allein auf die juristischen Voraussetzungen zu konzentrieren. Nach den Erfahrungen des Mietendeckels, der vom Bundesverfassungsgericht wegen der Nicht-Zuständigkeit Berlins kassiert wurde, hat sich der Senat verabredet, die Enteignungsfrage anders anzugehen und eine Expertenkommission einberufen, die ein Jahr lang Zeit bekommt, entscheidende Fragen zu klären.
Aber das reicht nach Auffassung des Geschäftsführers des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, nicht aus. „Auch Bewirtschaftungsfragen und die Finanzierung sind ein Thema“, sagte Wild. „Ich erwarte vom Senat, dass er jetzt einen Prozess einleitet, auch diese Fragen zu beantworten.“ Dieser Prozess müsse parallel zur Arbeit der Kommission erfolgen, die sich vor allem mit den juristischen Voraussetzungen beschäftigt. Eine mögliche Umsetzung gehe dagegen weit darüber hinaus.
Volksentscheid Enteignungen: Die Vertreter des Senats bitten um Zeit
Das sieht auch Werner Graf, der Fraktionschef der Grünen, so. „Es wird nicht so sein, dass wir bei einer Vergesellschaftung sofort energetisch durchsanierte Wohnungen mit bezahlbaren Mieten haben“, sagte Graf. „Das wird Zeit dauern.“ Deswegen habe die rot-grün-rote Regierung im Koalitionsvertrag verabredet, nicht die Frage des ob, sondern des wie zu klären.
Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) bat deswegen die Unterstützer der Initiative um Zeit. Gerade weil die Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes noch nie zur Anwendung kam, sei besondere Sorgfalt notwendig, das politische Vorgehen vorzubereiten. In dem Artikel ist die Möglichkeit von Vergesellschaftungen unter bestimmten Voraussetzungen formuliert.
Die Linke ist die einzige Partei, die das Ziel der Initiative uneingeschränkt unterstützt. „Deswegen habe ich ein großes Interesse daran, dass Artikel 15 nicht vom Verfassungsgericht tot gemacht wird“, sagte Kreck. Gleichzeitig kündigte sie an, für das Vorhaben kämpfen zu wollen. „Das, was wir hier gerade vorhaben, ist deshalb eine so große Sache, weil sie an Grundfesten des Kapitalismus ein stückweit rüttelt“, sagte Kreck am Montagabend bei der öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Vom Mietenwahnsinn zur Vergesellschaftung“. Gleichzeitig sei es in der Verfassung strukturell schon vorgesehen. „Und dafür werde ich kämpfen, das ist meine politische Überzeugung“, sagte Kreck.
Die Sozialdemokratin Ülker Radziwill, Staatssekretärin für Mieterschutz, hatte an diesem Abend den schwersten Stand, gilt doch die SPD als Bremser in der Debatte. Kritiker werfen der Partei vor, mit der Einsetzung der Kommission auf Zeit spielen zu wollen, um den politischen Druck aus dem Thema zu nehmen. Radziwill bestritt das. „Die SPD ist nicht der Bremsklotz“, sagte die Staatssekretärin. Es gelte, alle Facetten der Fragestellung zu beleuchten, um nicht erneut vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern. „Wir haben am Mietendeckel gesehen, wie das enden kann“, sagte Radziwill.
Die SPD drang 1947/1948 auf die Möglichkeit der Enteignung
Ein bislang kaum thematisiertes Schlaglicht auf die Frage der umstrittenen Vergesellschaftung legte der Verfassungstheoretiker und aktuelle Gastprofessor an der Humboldt Universität, Tim Wihl. Er verwies auf den Ursprung des Artikels 15 des Grundgesetzes. Demnach drangen 1947/1948 bei der Formulierung des Grundgesetzes vor allem die Sozialdemokraten auf eine entsprechende Regelung. Damals herrschte Einigkeit weit über die SPD hinaus darüber, dass große Privatunternehmen in der Weimarer Republik zum Aufstieg Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten beigetragen hatten. Deswegen kam man damals überein, sich in der Verfassung eine Hintertür offenzulassen, große monopolartige Unternehmen im Notfall verstaatlichen zu können.
Wihl verwies auf zahlreiche Detailfragen, die von der Kommission besprochen werden müssten. So ist nicht geklärt, wie hoch eine mögliche Entschädigung für enteignete Eigentümer ausfalle, wie sie berechnet wird und wie sie am Ende bezahlt werden könnte.
Die Diskussion endete, ohne das abschließende Antworten auf die drängenden Fragen vorgelegt wurden. Das werden die Expertenkommission in einem Jahr und danach der Senat vornehmen müssen. Die Initiative ließ aber durchblicken, dass sie in den kommenden Monaten weniger auf Konfrontation als auf Kooperation setzt. Einigkeit bestand allerdings darin, dass spannende Zeiten vor uns liegen.