Professor Ole Goertz ist Spezialist für ästhetische Chirurgie. Er will die Beweggründe seiner Patienten vor einem Eingriff verstehen.
Schönheitsoperationen sind gefragter denn je. Das hat auch mit der Pandemie zu tun. Homeoffice und Video-Konferenzen tragen dazu bei, dass immer mehr Berliner sich ein verjüngtes Äußeres wünschen. Die Oberlider sollen straffer sein, das Gesicht weniger Falten haben. Doch jeder Eingriff berge Risiken, sagt Professor Ole Goertz, Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie im Martin-Luther-Krankenhaus. Der 47-Jährige ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen.
Herr Professor Goertz, bundesweit gibt es einen Boom der Schönheitschirurgie. Wie erleben Sie diesen Trend in Berlin?
Professor Ole Goertz: Es gibt einen langfristigen Trend, der nach oben geht. Und kurzfristig, im Rahmen der Pandemie, hat dieser nochmal an Fahrt aufgenommen. Es gibt keine genauen Zahlen der Schönheitsoperationen in Berlin, wohl aber für die Anzahl an plastischen Chirurgen. Es werden jährlich mehr plastische Chirurgen, die in Berlin arbeiten. Die Mitgliederzahl in unserem Landesverband hat sich in den letzten zehn Jahren knapp verdoppelt. Auf aktuell 130. Nicht alle plastischen Chirurgen gehören unserem Verband an. Aber man sieht an dieser Zahl die große Zunahme an Anbietern. Und die würde es nicht geben, wenn es nicht entsprechend viele Konsumenten gäbe.
Welche Schönheits-Operationen sind besonders gefragt?
Die Oberlid-Straffung ist der operative Eingriff, der am häufigsten durchgeführt wird. Auch bei Männern in zunehmendem Maß. Auch infolge der Pandemie. Aber besonders stark hat die Zahl der minimalinvasiven Eingriffe zugenommen. Vermutlich haben die Masken, das Homeoffice, die vielen Videokonferenzen, dementsprechend wenig Reisen, wenig sonstige Aktivitäten, wenig Urlaub, dazu geführt. Zwei Verfahren stehen ganz oben in der Nachfrage. Sie machen 80 bis 90 Prozent aus. Das ist zum einen die Injektion von Botox und Hyaluronsäure. Und zum anderen eine Methode, die mit Radiowellen und Mikronadeln arbeitet. Diese Nadeln gehen in die Haut, zwei bis sieben Millimeter tief. Dann findet, nur Bruchteile von Sekunden, ein Stromfluss in der Tiefe statt, der das Gewebe auf kontrollierte Weise erhitzt. Dadurch kommt es zur Straffung der Haut. Die Falten werden reduziert, relativ gut sogar. Die Methode ist nicht nur im Gesicht, sondern überall am Körper anwendbar.
Welche Altersgruppe unterzieht sich besonders häufig einer Schönheitsoperation?
Gut 90 Prozent der Eingriffe lassen Patienten im Alter zwischen 20 und 50 Jahren bei sich durchführen. Mehr als die Hälfte sind jünger als 35. Es sind nicht viele, die mit 20 anfangen. Aber es werden immer mehr, auch bedingt durch soziale Medien und Internetplattformen. Was ein bisschen bedenklich ist. Die wenigsten Influencer treten im Netz ohne irgendwelche Filter auf. Perfekte Haut, volle Lippen, strahlende Augen – das wird immer mehr über technische Mittel erreicht. Das heißt, das Erscheinungsbild, das bei den Followern entsteht, ist kein echtes. Es existiert nicht wirklich. Das heißt, sie können es auch nicht erreichen. Es wird sozusagen ein künstliches Bedürfnis geschaffen. Und es trifft eine Zielgruppe, die noch nicht gefestigt ist. Mit 20 gibt es noch eine große Unsicherheit – was will man wirklich? Wo will man hin?
Sind es vor allem Frauen, die eine Schönheits-Operation durchführen lassen?
Männer beginnen, das Gebiet für sich zu entdecken. Ich würde trotzdem sagen, dass 95 Prozent der minimalinvasiven Eingriffe auf Frauen entfallen. Bei den operativen Eingriffen sind es etwa 90 Prozent. Das sind vor allem Bruststraffung und -vergrößerung und Oberlidstraffung. Auch die Straffung von Bauch und Oberarmen. Das gilt für Berlin, aber auch für unsere Klinik. Was wir relativ häufig durchführen, ist Fetttransfer. Wir saugen Fett ab an Stellen, wo es stört, etwa an den Oberschenkeln, und injizieren es dann zum Beispiel in die Brust. Das ist eine Operationstechnik, die ich gegenüber Implantaten favorisiere. Dort setzt man einen Fremdkörper ein. Beim Fett hat man das eigene Gewebe, das zu großen Teilen auch einwächst und dann nachhaltig zu einem größeren Volumen führt. Das ist eine sehr elegante Methode. Sie müssen nicht daran denken: Was passiert in 15 Jahren mit dem Implantat? Muss es dann raus? Macht es Probleme? So stark, dass ich nochmal operieren muss?
Mit welchen Risiken sind Schönheits-Operationen verbunden?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Man muss aufpassen, dass es nicht zu einer Behandlung „to-go“ wird. Dass man sagt: „In der Mittagspause lasse ich mir noch eben etwas spritzen oder einen Eingriff machen.“ Das wird oft in der Werbung als risikolos suggeriert. Nein. Jeder Eingriff birgt Risiken. Man kann Botox falsch spritzen. Man kann auch Hyaluronsäure falsch spritzen. Was dazu führen kann, dass Gefäße sich verschließen und dass Gewebe verloren geht. Was im Gesicht grausam sein kann. Man kann bei einer Brustvergrößerung mit Implantat ein schlechtes Ergebnis, eine Asymmetrie erzielen. Es kann sein, dass die Fremdkörperreaktion des Körpers so stark ist, dass sich die Brust verformt. Dass sie permanent Schmerzen verursacht. Sodass die Implantate letztlich wieder raus müssen. Also das ist nicht risikolos.
Was raten Sie Menschen, die sich mit dem Gedanken an eine Schönheits-Operation tragen?
Erstmal sollten sie sich fragen: Will ich das wirklich? Brauche ich das für mich? Und wenn sie diese Fragen bejahen können, dann sollten sie es möglichst seriös und durch einen Mediziner, der diesen Eingriff in seiner Ausbildung erlernt hat, durchführen lassen. Der ein Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie ist. Die häufig genutzte Bezeichnung „Schönheitschirurg“ oder ähnliches gibt es nicht. Diese Bezeichnung ist nicht geschützt und kann am Klingelbrett eines jeden Arztes angebracht werden.
Sie führen alle ästhetischen Operationen an Ihrer Klinik selbst durch. Was für Erfahrungen machen Sie mit den Patienten?
In der Vorbesprechung nehme ich mir Zeit, um herauszufinden, was die eigentliche Motivation ist. Ist es wirklich ein eigener Wunsch? Leidet jemand tatsächlich unter einem Körperteil – egal, welchem – und schämt sich dafür? Wenn das der Fall ist, kann man dieses Problem durch einen Eingriff aus der Welt schaffen. Ich erlebe, wie sich Menschen dadurch verwandeln. Sie gehen auf einmal selbstbewusst raus. Die Lebensqualität wird massiv angehoben.