Berlin. Sollte der Senat sich nicht für eine Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen aussprechen, könnte das nach Aussage der Linken das Ende von Rot-Grün-Rot in Berlin sein. "Ob die Koalition dann für uns noch haltbar ist, werden wir dann bewerten müssen", sagte die Berliner Linke-Vorsitzende Katina Schubert am Samstag beim Linke-Parteitag in Berlin-Neukölln. Die Koalitionspartner betrachteten die Angelegenheit mit ihren Augen - "sie würden uns nie glauben, dass wir aufs Ganze gehen würden". Schubert sprach wegen ihrer Corona-Erkrankung per Video zu den gut 170 Delegierten.
Der Senat hat eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge machen soll, ob und wie sich der Volksentscheid umsetzen ließe. Sie soll dem Senat in einem Jahr eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen. "Die Expertenkommission hat einen klaren Auftrag. Sie bietet erstmalig die Chance, die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände zu befördern, und das finde ich nicht hoch genug zu würdigen", sagte Berlins Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer.
Die Delegierten stimmten einem Dringlichkeitsantrag zu, in dem die Umsetzung des Volksentscheids gefordert wird. "Die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, nicht das "Wohnungsbündnis für Berlin" ist der zentrale Hebel, um die Mieten in der Hauptstadt langfristig und durch öffentlich-rechtliche Regulierungen zu senken", heißt es darin in kritischer Abgrenzung vor allem zur SPD, die das Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen vorangetrieben hat.
Auch Bana Mahmood von der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" sieht eine historische Chance in der Perspektive für Enteignungen. Sie appellierte an die Linke, nicht um des Koalitionsfriedens willen darauf zu verzichten. Die Linkspartei füge sich, anstatt für Enteignung zu kämpfen, kritisierte sie.
Die Initiative, die den erfolgreichen Volksentscheid angestoßen hatte, hält sich eine Mitarbeit in der Kommission noch offen. Am 26. September hatten 59,1 Prozent der Berliner Wählerinnen und Wähler bei der Abstimmung parallel zur Abgeordnetenhauswahl für die Enteignung votiert.
Neben bezahlbarem Wohnraum waren auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die daraufhin stark gestiegenen Energiekosten ein zentrales Thema auf dem Parteitag. Der Krieg beschleunige die Steigerung der Preise für Energie und Lebensmittel, sagte Schubert.
Das bringe immer mehr Menschen in existenzielle Nöte. Appelle, individuell Energie zu sparen, seien keine Hilfe. "Wer sowieso schon wenig Geld hat, der hat die Heizung nicht auf 23 Grad stehen. Der hat die Wahl zwischen kalt und noch kälter", sagte die Parteivorsitzende.
Lederer ergänzte: "Ich finde es einen absoluten gesellschaftspolitischen Skandal, dass die Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind oder die sich gerade so mit dem Mindestlohn durchs Leben schlagen, mit der Erhöhung der Energie- und Lebensmittelpreise allein gelassen werden." Die Berliner Linke hat einen Leitantrag beschlossen, in dem es unter anderem um die Übernahme von Energieschulden der Haushalte mit geringem Einkommen ging.
Mit Blick auf die vielen Geflüchteten, die aus der Ukraine nach Berlin kommen, warb Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping für eine bundesweite Verteilung. "Wenn wir die Kapazitäten aller Bundesländer nutzen, können wie den Geflüchteten unterm Strich mehr bieten", sagte Kipping. Schubert forderte mehr Hilfe seitens der Bundesregierung. "Es wäre schön, wenn der Bund mal stärker von seiner Zuschauerposition rauskäme. Er muss die Kosten übernehmen und die Verteilung der Menschen organisieren."
Ablehnend steht die Linke zu dem vom Bund angekündigten Weiterbau der Stadtautobahn A100. Das sei ein "Treppenwitz der Geschichte", sagte Schubert. Man werde alle Mittel nutzen, "um diesen Wahnsinn zu stoppen". In dem Punkt bestanden wenig Zweifel, dass die Partei das genauso sieht wie ihre Vorsitzende. Der Antrag gegen den Weiterbau der A100 unter der Überschrift "Treptow, Friedrichshain & Lichtenberg dürfen nicht Opfer rückwärtsgewandter Verkehrspolitik der "Ampel" werden" wurde einstimmig angenommen.
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