Berlin. Es ist nur ein kurzer Moment der Ruhe, als Franziska Giffey und Katja Kipping über das ehemalige Rollfeld des Flughafens Tegel blicken. Unten leuchten weiße Zelte in der Sonne. Wo einst die Jets in die Welt starteten, registrieren Helfer nun Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die beiden Frauen schauen sich an als wollten sie sagen: „Das haben wir doch ganz gut hingekriegt.“
Die Regierende Bürgermeisterin von der SPD und die frühere Linken-Bundesvorsitzende – Star-Import der Linken – als Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales sind aktuell die Gesichter des neuen rot-grün-roten Senats, der vor knapp 100 Tagen seine Arbeit aufgenommen hat. Anfangs sah man häufig die neue Gesundheitssenatorin Ulrike Gote von den Grünen an Giffeys Seite. Aber da ging es noch um die Bekämpfung von Corona und die Impfkampagne. Inzwischen überlagern der Ukraine-Krieg und seine Folgen in der öffentlichen Debatte die Pandemie. Und so ist in den vergangenen Wochen aus dem Doppel Giffey-Gote das Duo Giffey-Kipping geworden. Der Senat operiert weiter im Modus des doppelten Krisenmanagements. Wer damit qua Amt eher weniger zu tun hat, kam in den ersten drei Monaten öffentlich kaum vor.
Die Krise durch den Flüchtlingsandrang schweißt den Senat zusammen
Giffey und Kipping jedenfalls wirken inzwischen ganz gut eingespielt. Nach Dutzenden Telefonaten zu fast jeder Tages- und Nachtzeit sind sie zum Du übergegangen. Von Rivalität, die viele beim Wechsel Kippings aus dem Bundestag auf die Berliner Landesbühne erwartet hatten, ist angesichts der gemeinsamen Aufgaben nicht mehr viel zu spüren.
Beide Frauen schätzen an der anderen den Pragmatismus und die klare Sprache. Kipping kümmert sich intern um die Strukturen, organisiert den Krisenstab, kommuniziert mit Hilfsorganisationen und Freiwilligen. Giffey besorgte zwischendurch über ihre Partei-Beziehungen zu anderen SPD-Landeschefs Busse und Unterkünfte in anderen Bundesländern. Sie engagierte sich stark in Richtung Bund, rief so lautstark nach Hilfe für Berlin, dass sie dafür von ihren Parteifreunden auf der Bundesebene in internen Schaltkonferenzen schon als SPD-Nestbeschmutzerin kritisch angegangen wurde.
Aber in der Notlage durch 10.000 Geflüchtete täglich allein am Hauptbahnhof rückte die Koalition und die gesamte Landespolitik zusammen. Die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken verbündeten sich mit CDU und FDP für einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung, die Hauptstadt nicht mit der nationalen Aufgabe der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen sitzen zu lassen. Selbst die AfD hätte mitgemacht, wenn die anderen die Rechtspartei denn gefragt hätten. Dass sich alle politischen Kräfte vereinigen, um für die Stadt etwas zu erreichen, ist in der streitlustigen Berliner Landespolitik ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.
Inzwischen ist man in Berlin, was Kapazitäten in Notunterkünften und Busse für die Weiterreise angeht, vor der Welle. Auch Giffeys Rufe wurden erhört, der Bund verhandelt mit dem besonders belasteten Berlin und den anderen Ländern über eine Verteilung der Menschen und der finanziellen Lasten.
Die Ergebnisse dieser Gespräche werden sehr wesentlich sein für den Erfolg des neuen Senats und das, was in Berlin in den nächsten Jahren geschehen wird. Die finanzielle Situation war schon vor dem Krieg angespannt. Sollten womöglich Milliarden Euro für neue Unterkünfte, Schulplätze, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen am Land hängen bleiben, wäre der gerade vom Senat verabschiedete Haushaltsplan schon Makulatur, während er im Abgeordnetenhaus noch beraten wird. Die Koalitionsspitzen seien sich schon einig, dass die vom Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) noch für 2023 in Aussicht gestellte Schuldentilgung in hoher dreistelliger Millionenhöhe wohl ausfallen werde, heißt es.
Der krisenbedingte Druck schweißt die neue Senatstruppe zusammen. Anders als zu Beginn der letzten Flüchtlingskrise 2015/16, als die Kollegen viel zu lange dem CDU-Sozialsenator Mario Czaja beim Scheitern zuschauten, helfen nun auch die anderen Ressorts aus und sei es, dass sie Personal für das Tegeler Ankunftszentrum freistellen. Dieser Geist könnte Rot-Grün-Rot auch helfen, wenn die akuten Krisen abgeebbt sind. In der neuen Regierungsmannschaft gebe es „mehr Menschen, die verstanden haben, dass man nur als Koalition erfolgreich sein kann“, sagt ein Senatsmitglied. Das habe auch Franziska Giffey verstanden. Sie müsse auch wollen, dass andere gut dastehen. Wie sich das mit dem Anspruch der Senatschefin verträgt, die Regierungskommunikation in weiten Teilen persönlich zu steuern und sich bei jeder Pressekonferenz mit aufs Podium zu setzen, wird sich noch zeigen müssen.
Im Senat hat es erst einmal öffentlich gekracht zwischen Jarasch und Giffey
Bisher hat es erst einmal öffentlich sichtbar zwischen Senatorinnen gekracht. In einer Grünen-Runde beklagte sich Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch darüber, dass Franziska Giffey mehrere neue U-Bahnstrecken als bereits beschlossen dargestellt hatte, die doch im Hause Jarasch erst noch per Machbarkeitsstudien geprüft werden. So stehe das nicht im Koalitionsvertrag, hatte Jarasch ziemlich angefressen bemerkt. Aber wie zu hören ist, haben sich die beiden Frauen, die im Wahlkampf direkt ums Rote Rathaus konkurrierten, inzwischen ausgesprochen. Und nachtragend seien sie beide eher nicht, heißt es aus ihrem Umfeld. Die Sache sei erledigt.
Gleichwohl wird Giffey die Botschaft empfangen haben, dass sie die „One-Woman-Show“, verbunden mit „Mikromanagement“ in einzelne Ressorts hinein, nicht übertreiben sollte. Zumal ihre SPD in den Umfragen wieder hinter die Grünen gerutscht ist. Regiert werde „auf Augenhöhe“, heißt es von den Grünen. Das habe sich „eingeruckelt“.
Tatsächlich hat der gesamte Senat ein gemeinsames Problem. Das sind die langsamen Verwaltungs- und Planungsabläufe in den Behörden. Das allenfalls mehr oder weniger funktionierende Homeoffice während der Pandemie und der Mangel an Personal haben überall dort, wo es ums Planen und Bauen geht, die Lage noch verschärft. Immer wieder müssen die Haushaltspolitiker in diesen Tagen Berichte aus den Senatsverwaltungen lesen, dass sich Investitionsvorhaben verzögert haben, weil Pläne fehlten oder sich keine Baufirmen auf die Ausschreibungen für die Aufträge beworben haben. Dass angesichts explodierender Baupreise die Kosten jedes Jahr um zweistellige Prozentzahlen steigen, gefährdet nicht nur aus Sicht der Opposition ohnehin die ambitionierten Pläne von SPD, Grünen und Linken. Sie haben sich ja in ihrem Koalitionsvertrag nicht weniger als einen weitreichenden Umbau der Stadt vorgenommen, um in Berlin die Verkehrswende umzusetzen und die Stadt für den Klimawandel fit zu machen.
„Wir müssen schneller in die Umsetzung kommen“, lautet deshalb das Mantra, das aber auch schon der Vorgängersenat vor sich hergetragen hatte. In der Koalition lebt nun die Hoffnung, der Bund möge angesichts des Zustroms von Geflüchteten nicht nur das Flüchtlingsbaurecht vereinfachen, sondern auch für andere Themen schnellere Verfahren zulassen. Ob es dazu kommt, wird man wohl erst beim nächsten Bund-Länder-Gipfel am 7. April erfahren.
Die 40 Punkte für die ersten 100 Tage sind fast alle umgesetzt
Die Umsetzung der in der Senatsklausur Mitte Januar vereinbarten 40 Punkte für das 100-Tage-Programm ist Rot-Grün-Rot weitgehend gelungen. Aber hier ging es eher um Weichenstellungen für einen Prozess als um bereits zählbare Fortschritte. Das gilt vor allem für Franziska Giffeys zentrales Projekt, den Wohnungsneubau zu beschleunigen. Ihr Bündnis auch mit der privaten Wohnungswirtschaft hat die Arbeit aufgenommen. Auch innerhalb des Senats ist nun klar, wie mit problematischen Bauvorhaben umgegangen werden soll. Man wolle vor allem keine jahrelangen Hängepartien zulassen und immer wieder neue Gutachten einholen, sondern Streitfälle schneller politisch entscheiden. Die Opposition ist skeptisch, ob das gelingen wird. „Ich befürchte, die verwalten nur einfach so weiter“, sagte CDU-Generalsekretär Stefan Evers.
Franziska Giffey betont bei jeder Gelegenheit, dass die umstrittene Neuauflage des Bündnisses ihrer SPD mit Grünen und Linken keinesfalls auf Scheitern angelegt sei. Gleichwohl kann niemand einen Koalitionsbruch ausschließen. Denn nach wie vor steht die Vergesellschaftung von großen privaten Immobilienkonzernen im Raum, für die sich beim Volksentscheid fast 60 Prozent der Wähler ausgesprochen haben. Aber die Positionen zwischen der entschiedenen Enteignungs-Gegnerin Giffey und der Linken sowie Teilen der Grünen könnten kaum unterschiedlicher sein. Die Expertenkommission unter Leitung der Ex-Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die der Senat kommende Woche einsetzen will, verschafft Rot-Grün-Rot allenfalls eine Atempause, ehe das Thema dann eben doch politisch entschieden werden muss.
Giffey selbst ist genervt von den ständigen Protesten der Enteignungs-Initiative, die ihre öffentlichen Auftritte oft lautstark begleitet. Vor allem aber setzen die Aktivisten die Linkspartei unter Druck. Der kleinste Koalitionspartner könnte aussteigen, wenn die Enteignungspläne vom Senat begraben werden, fürchten einige in der Koalition. Aber sicher ist das natürlich nicht. Die Linken-Schwergewichte Klaus Lederer und Katja Kipping würden sicher lieber weiter etwas für Flüchtlinge und die Kultur tun, als ihren am Systemwechsel interessierten Parteifreunden auf die harten Oppositionsbänke zu folgen.
Franziska Giffey
Nach den langwierigen Sonderungs- und Koalitionsverhandlungen legte Franziska Giffey als Regierende Bürgermeisterin los wie die Feuerwehr. Noch nie war eine Berliner Senatschefin so präsent in Pressekonferenzen und auf sozialen Medien wie die frühere Bundesfamilienministerin, die am 26. September im Schlussspurt das Rote Rathaus doch noch für die SPD gewonnnen hatte. Für ihren Eifer muss sich Giffey bisweilen Kritik anhören. So gab es erhebliche Zweifel an der reichlich teuren Idee, ausgerechnet im Festsaal des Rathauses Kinder gegen Corona impfen zu lassen. Dass die Regierende Bürgermeisterin neue U-Bahnstrecken, die bisher noch in der Prüfung sind, als beschlossene Sache darstellte, hat nicht nur die Koalitionspartner verärgert. Dass ihre mediale Omnipräsenz nicht bei allen Bürgern gut ankommt, hat jüngst der Berlin Trend der Morgenpost bestätigt. Viele Koalitionspolitiker haben bisweilen den Eindruck, Giffey würde sich verzetteln, Wichtiges nicht von weniger Wichtigem unterscheiden. Dennoch: Das normale Regierungshandeln steht seit Giffeys Amtsantritt im Hintergrund. Zunächst galt es, Corona und die Omikron-Welle im Zaum zu halten. Seit einem Monat dominieren der Ukraine-Krieg und die Folgen die Arbeit der Regierungschefin. Quasi nebenher gelang es ihr, das versprochene Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen zu etablieren.
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Bettina Jarasch
Bettina Jarasch hat als Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz wohl mit das dickste Brett zu bohren im neuen Senat. In die Zuständigkeit der Grünen-Spitzenkandidatin bei der Berlin-Wahl im September fällt nicht weniger als der von ihrer Partei angestrebte weitreichende Umbau der Stadt. Es geht um die Verkehrswende weg vom privaten Auto, um Grünflächen gegen die Hitze, um Grundwasserschutz in Dürrezeiten und Konzepte für den Klimaschutz. In den ersten Wochen war dazu aber wenig zu hören von Bettina Jarasch, außer der Eröffnung von vier Behelfsbrücken trat sie selten öffentlich auf. Tatsächlich ist die 53 Jahre alte frühere Journalistin zunächst damit beschäftigt, sich in ihrer mit 1500 Beschäftigten riesigen Behörde mit den komplexen Planungsprozessen auseinanderzusetzen und zu verstehen, warum es viele Jahre dauert, bis in Berlin der Bau einer Straßenbahnlinie beginnen kann. Für Radwege und Busspuren will sie den Antagonismus Senat – Bezirke mit einem gemeinsamen Vorgehen in Projektgruppen überwinden, um schneller zu werden. Im Senat gelang es der Grünen, Klimaschutz als Querschnittsaufgabe aller Ressorts in einem eigenen Klimakabinett zu verankern. Bisher ist das alles auf der Absichtsebene. Ob Jarasch der Umbau Berlins gelingt, muss sich zeigen.
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Daniel Wesener
Für Daniel Wesener war es ein ziemlicher Sprung aus dem Abgeordnetenhaus an den Senatstisch. Die Fußstapfen der Vorgänger Thilo Sarrazin, Ulrich Nußbaum und Matthias Kollatz sind groß für den ersten grünen Finanzsenator Berlins, entsprechenden Respekt hatte der Kreuzberger vor der Aufgabe. Sein wichtigster Beitrag zu 100 Tagen Rot-Grün-Rot ist der Entwurf für den Doppelhaushalt 2022/23, den nun das Abgeordnetenhaus bis zum Sommer beraten wird. Im Vergleich zu früheren Jahren musste Wesener sich ziemlich anstrengen, die Finanzen im Rahmen des Möglichen zu halten. Denn während Sozialdemokrat Kollatz vor den Wahlen noch ein Ausgabenplus von sechs Prozent vorsah, mussten Wesener und seine Mitarbeiter das Wachstum halbieren. Dass er damit Kritik auf sich ziehen würde, war dem früheren Finanzexperten der Grünen-Fraktion klar. Die scharfe Ablehnung aus den meisten Bezirken ist gleichwohl bemerkenswert, ebenso die Enttäuschung der Krankenhäuser, die die Zusage der Koalitionäre gebrochen sehen, nach der Pandemie der wichtigste Investitionsschwerpunkt zu werden. Aber ein Finanzsenator, den alle lieben, macht seinen Job nicht richtig. Letztlich hängt Wesener aber aktuell ziemlich in der Luft. Ukraine-Krieg, Flüchtlingskrise und Corona können alle Finanzplanungen obsolet machen.
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Astrid-Sabine Busse
Dass ihr Job nicht einfach werden würde, war vom ersten Tag an klar. Astrid-Sabine Busse hat mit der Bildungsverwaltung ein Mammutressort mit etlichen Baustellen übernommen – Lehrermangel, fehlende Kitaplätze, schwache Leistungen der Berliner Schüler, Schulneubau und Digitalisierung. Doch davon hat sich die 64-Jährige, die erst kurz vor ihrem Amtsantritt in die SPD eingetreten ist, nicht abschrecken lassen. Zupackend und energisch, wie es nach Jahrzehnten als Schulleiterin ihre Art ist, hat sie sich an die Aufgaben heran gemacht. Für die ersten 100 Tage hatte Busse drei Ziele formuliert: die Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften vorantreiben, die Lehrkräfte durch eine Positivliste an Software-Angeboten für den digitalen Unterricht rüsten und 50 weitere Berliner Sprach-Kitas auf den Weg bringen. Trotz der Krisenlage wurden sie alle erreicht. Unter Druck stand Busse dennoch bereits nach wenigen Wochen zum ersten Mal. Fraktionsmitglieder hätten Zweifel geäußert, ob sie den Aufgaben an der Spitze eines riesigen Ministeriums gewachsen sei. Und auch ihr Bericht über die Aufnahme ukrainischer Waisenkinder hatte für Kritik gesorgt. Das politische Parkett ist für die Quereinsteigerin Busse noch ungewohnt, ihre Worte noch nicht immer präzise gewählt. Sie sagt selbst: Manche Dinge müsse sie noch lernen.
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Iris Spranger
Die Personalie Iris Spranger war eine riskante Wette des SPD-Führungsduos Franziska Giffey und Raed Saleh. Zwar verfügt die stellvertretende SPD-Landeschefin und Ex-Finanz-Staatssekretärin über eine Menge politischer Erfahrung. Aber eben nicht in den Feldern, für die sie nun als Senatorin für Inneres und Sport Verantwortung trägt. In ihrem Haus sind Klagen zu vernehmen, die 60-Jährige aus Marzahn höre wenig auf ihre Mitarbeiter und entscheide gerne im Alleingang. Bisher hat die neue Innensenatorin vor allem durch Ankündigungen auf sich aufmerksam gemacht. Sie will Berlin für Frauen sicherer machen, sich ganz schnell um das Dauerthema Hertha-Stadion kümmern, Autobahnblockierer zur Kasse bitten und und und. Zumindest von Letzterem weiß man, dass es dazu bisher nicht gekommen ist. Die schnell zugesagte neue Polizeiwache am Kottbusser Tor startet jetzt doch erst nächstes Jahr. Die versprochenen Beförderungen von Hunderten Polizeibeamten liegen erstmal auf Eis. Die Finanzexpertin hatte übersehen, dass solche Zusatzausgaben unmöglich sind, solange es noch keinen ordentlichen Landeshaushalt gibt. Und auch Sprangers Bitten um mehr Investitionen in Polizei- und Feuerwehrwachen wird angesichts starker Konkurrenz ums knappe Geld nicht so gehört, wie sie selbst sich das vorgestellt hat.
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Andreas Geisel
Andreas Geisel (SPD) soll das Versprechen einlösen, jährlich 20.000 Wohnungen zu bauen und so dafür zu sorgen, dass die Mieten in der Hauptstadt stabil bleiben. Auch wenn sich im rot-grün-roten Koalitionsvertrag alle drei Parteien auf dieses Ziel verständigt haben, hat der 56-Jährige Mühe, seine Partner auf Kurs zu halten. Denn die Wohnungsnot hat sich längst zu einer sozialen Frage verschärft, die spaltet: Auf der einen Seite die SPD, die beim Bauen schneller ins Handeln kommen will. Auf der anderen Seite die Grünen und die Linken, die das Ziel zähneknirschend mittragen, deren Basis aber eine Kurskorrektur fordert – hin zu mehr Grün beziehungsweise Mietenregulierung. Deutlich wird der Zielkonflikt beim Umgang mit dem Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Zwar wird es dem Sozialdemokraten wie angekündigt gelingen, in den ersten 100 Regierungstagen eine Expertenkommission einzusetzen, die das Vorhaben ein Jahr lang auf Umsetzbarkeit prüfen soll. Doch das Streitthema ist damit zunächst nur aufgeschoben. Gelungen ist Geisel, ein neues Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen auch mit Privatunternehmen und Genossenschaften zu schmieden. Ob das ausreicht, die Neubauziele zu erreichen und zugleich die Kritiker auch in den eigenen Reihen verstummen zu lassen, muss sich erst noch erweisen.
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Katja Kipping
Für die langjährige Linken-Bundesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Katja Kipping war es ein bewusster Schritt, aus der Oppositionsrolle heraus und in eine Regierung zu kommen. Dass der Wunsch zu gestalten schon nach wenigen Wochen im Amt in einem überaus stressigen Krisenmanagement münden würde, konnte sie nicht ahnen. Aber als russische Truppen die Ukraine überfielen, war schnell klar, dass Berlin zu einem Brennpunkt der Flüchtlingsströme werden und die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales an vorderster Front stehen würde. Seither ist die Sächsin unterwegs in Krisenstäben, besucht Notunterkünfte, den Hauptbahnhof und Lager mit Spenden. Trotz mancher Kritik von freiwilligen Helfern hat Kipping in der Krise vieles richtig gemacht. In wenigen Wochen gelang es, eine leistungsfähige Infrastruktur aufzubauen, kein Vergleich jedenfalls zu den Zuständen in der Flüchtlingskrise 2015/16. Kipping kam zugute, dass sie als wohl einzige neue Senatorin eine solidarische Einweisung durch ihre Vorgängerin Elke Breitenbach erhielt. Auch ihre beiden Staatssekretäre kennen die Berliner Verwaltung bestens. Dass sie als Arbeitssenatorin quasi nebenher ein Online-Register mit allen Tarifverträgen aufgebaut hat, um Lohndumping zu bekämpfen, geht neben der Rolle als Krisenmanagerin fast unter.
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Lena Kreck
Lena Kreck war politisch ein unbeschriebenes Blatt, als die Linken sie als Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung in den Senat holten. Die 41 Jahre alte Juristin, zuvor Professorin an der Evangelischen Hochschule, ließ aber schnell erkennen, dass sie als ehemalige Sprecherin des Linken-Jugendverbandes Solid geneigt ist, in ihrem neuen Amt Akzente zu setzen. Pragmatismus über Parteigrenzen hinweg bewies Kreck, als sie die Staatssekretärin ihres Vorgängers Dirk Behrendt trotz ihres grünen Parteibuchs behielt. Ihre angekündigte „linke Justizpolitik“ ist gleichwohl erst in Ansätzen erkennbar. Dass sie sich weigerte, auf Staatsanwälte und Richter einzuwirken und Schnellverfahren gegen Autobahnblockierer durchzusetzen, darf man eher als Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz deuten, obwohl ihr das sicher politisch zupass kommt. Dass sie die Verhältnisse in den Gefängnissen für die Insassen verbessern möchte, ist ebenfalls ein linkes Vorhaben. Krecks erstes echtes Projekt in den 100 Tagen dürfte hingegen breiter akzeptiert werden: Die Position der Opfer von Straftaten soll durch ein Landesopferschutzgesetz gestärkt werden, das betroffenen Menschen einen Anspruch auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen sichert und die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen durchsetzt.
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Ulrike Gote
Für die neue Senatorin für Gesundheit und Wissenschaft ging es sofort von Null auf Hundert. In den ersten Wochen ihrer Amtszeit musste sich Ulrike Gote sofort als Krisenmanagerin in der Corona-Pandemie bewähren. Dabei half der studierten Geoökologin, dass sie bereits das Gesundheitsamt der Großstadt Kassel geleitet hatte. Die Senatorin, die 15 Jahre lang im bayerischen Landtag saß und dort Wissenschaftspolitik gemacht hat, musste sich vor allem mit den Corona-Impfungen befassen. Zwar wurde die angestrebte Impfquote von 80 Prozent noch nicht erreicht, aber immerhin sind die Zahlen für die besonders gefährdeten Älteren deutlich höher. Seit es um die Corona-Pandemie trotz hoher Infektionszahlen stiller wird, ist auch Gote seltener in der Öffentlichkeit zu sehen. Neben Corona hat sie mit der Berliner Wissenschaft ein wichtiges Zukunftsthema zu bearbeiten. Die größte Baustelle ist dabei akut die Novelle der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, was die Festanstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern betrifft. Ob diese Reparatur den Anforderungen der Universitäten und der Beschäftigten genügen wird, ist noch nicht ausgemacht. Dass die Hochschulen zu wenig Geld für ihre maroden Gebäude bekommen, weiß auch Gote; sie konnte sich aber in den Budgetgesprächen nicht gegen ihre Kollegen durchsetzen.
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Stephan Schwarz
Auf der SPD-Seite des Senats galt Stephan Schwarz vor drei Monaten als Königstransfer. Mit der Berufung des Unternehmers und langjährigen Handwerkskammer-Präsidenten zum Wirtschaftssenator zeigte Senatschefin Franziska Giffey, dass sie es ernst meint mit einer verstärkten Hinwendung zur Berliner Wirtschaft. Dass Schwarz unter den Unternehmern der Stadt einen guten Ruf besitzt und ein offenes Ohr für ihre Anliegen hat, war daher klar. Für einen neuen Stil des zugewandten Hinhörens bekommt Schwarz Lob aus der Wirtschaft. In der Flüchtlingskrise zeigte er sich überdies als flexibler Macher, als er kurzfristig die ihm unterstehende Messegesellschaft aktivierte, um unter dem Funkturm Ukrainer einzuquartieren. Zu seinen ersten Aufgaben gehört aber vor allem, die Firmen so gut wie möglich durch die anhaltende Pandemie zu lotsen. Das Neustart-Programm, mit dem Berlin die Hilfen des Bundes noch einmal für besonders belastete Branchen wie Kultur, Gastronomie und Kreativwirtschaft aufstockt, ist fertig und wird am Montag präsentiert. Andere Zukunftsprojekte hat sein Haus auf die Spur gesetzt. In der „Gigabyte-Strategie“ verpflichten sich wichtige Akteure, Berlins Datennetze auszubauen. Mit einer „Start-up“-Agenda will Berlin jungen Unternehmen in den Zukunftsfeldern der Hauptstadt besser unter die Arme greifen.
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Klaus Lederer
Der Linken-Sunnyboy und Spitzenkandidat ist in den ersten Tagen der Legislaturperiode ziemlich abgetaucht. Das liegt vor allem an Klaus Lederers Zuständigkeiten im Senat. Kultur und Europa sind eben nicht die akuten Handlungsfelder, wenn in der Nähe ein Krieg tobt und Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden müssen. Dabei ist Lederers Hauptaufgabe keineswegs erledigt. Nach wie vor ist es überaus wichtig, der Kultur und Kreativwirtschaft aus der Corona-Krise zu helfen. Aber auch hier ist in der öffentlichen Wahrnehmung die Dringlichkeit abgeflaut, seit die Menschen wieder in Clubs tanzen, Theater und Konzerthäuser öffnen und Museen Besucher empfangen dürfen. Was er tun kann, um die coronageschädigten Einrichtungen zu stabilisieren, tut Lederer. Mit dem Bund und den anderen Ländern hat er die Wirtschaftlichkeitshilfen verlängert und ausfallende Veranstaltungen über einen Sonderfonds abgesichert. Mit einem Berliner Hilfsprogramm will er den Neustart der Kultur auch nach dem Ende der Pandemie unterstützen. Bis zum Sommer wird man wieder mehr von Klaus Lederer hören. Sein Haus plant einen großen Kultursommer 2022 mit kostenlosen Veranstaltungen in allen Bezirken. Die Kulturbranche schätzt ohnehin den Senator, der als einziger im Senat sein Amt behalten hat.