Ukraine-Krieg

So locken Menschenfänger Ukraine-Flüchtlinge in die Falle

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Jeden Tag kommen Tausende überwiegend weibliche Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof an.

Jeden Tag kommen Tausende überwiegend weibliche Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof an.

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine kommen jeden Tag nach Berlin – vor allem Frauen und Kinder. Das wollen Kriminelle ausnutzen.

Berlin. Bereits die sogenannte „Flüchtlingswelle“ von 2015 stellte Berlin vor enorme Herausforderungen. Vor allem an der Moabiter Turmstraße vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) – damals noch für diese Fragen zuständig – bildeten sich lange Schlangen. Menschen harrten Tag und Nacht aus, Chaos herrschte über Wochen. Dieses Chaos machte sich Silvio S. zunutze, als er am 1. Oktober 2015 den vierjährigen Mohamed vor dem Lageso entführte, später missbrauchte und tötete.

Das war damals sicherlich ein krasser Einzelfall. Aber auch heute gibt es Hinweise, dass Kriminelle sich unter die vielen Helfenden mischen und gezielt Frauen und Kinder ansprechen, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Berlin geflüchtet sind. Organisationen wie der Verein „Moabit hilft“ sehen das mit Sorge. Der „Viehmarkt mit Pappschildern“, mit denen anfangs Quartiere angeboten wurden, sei ein „Desaster“, sagt Geschäftsführerin Diana Henniges. 2015 seien häufig geflüchtete junge Männer Opfer von sexuellem Missbrauch geworden. Nun fürchtet sie, dass den Frauen aus der Ukraine Ähnliches passieren könnte.

Konkrete Straftaten dieser Art sind den Behörden bislang zwar nicht bekannt. Aber auch sie warnen davor. Denn seit Anfang März habe es am Hauptbahnhof mehrere Fälle gegeben, bei denen „Männer alleinreisenden Frauen und Kindern auffällig Unterkünfte angeboten haben“, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei der Berliner Morgenpost. Die Zahl der beobachteten Situationen bewege sich im unteren zweistelligen Bereich. Die Verdächtigen seien überwiegend deutsche Staatsbürger.



Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: Männer bieten Frauen Geld, wenn sie mit ihnen gehen

„Auffällig ist etwa, wenn Männer Geld dafür anbieten, dass jemand mit ihnen nach Hause kommt“, so die Sprecherin weiter. Auch seien Personen beobachtet worden, die offensichtlich nicht allgemein helfen wollten, sondern nur bestimmte Frauen ansprachen. Diese würden dann zum Teil widersprüchliche Angaben machen.

So habe etwa ein 55-Jähriger mit Wohnsitz in Berlin und ohne erklärbare Verbindung nach Hamburg nicht erklären können, warum er eine Mitfahrgelegenheit in die Hansestadt anbiete. Ein anderer, der vorgab mit seinen russischen Sprachkenntnissen unterstützen zu wollen, sei den Nachweis darüber schuldig geblieben.

Bereits bekannt ist ein Vorfall, der sich am Abend des 7. März an dem Gleis zugetragen hat, an dem die Sonderzüge mit den Geflüchteten ankommen. Zwei Männer im Alter von 21 und 29 Jahren sollen die Schilder mit ihren Hilfsangeboten gezielt nur bestimmten Frauen gezeigt und sie sonst versteckt haben, was Helfenden auffiel. Auch sie sollen sich bei der Befragung durch Polizisten in Widersprüche verstrickt haben, weshalb ihnen ein Platzverweis ausgesprochen wurde.

Personen in Einzelfällen wegen sexueller Nötigung polizeibekannt

„Es gab auch Einzelfälle, in denen uns Personen bereits wegen sexueller Nötigung bekannt waren“, sagt die Sprecherin. Das müsse zwar nichts Konkretes heißen, sei allerdings ein Anhaltspunkt. Berichte über tatsächlich erfolgreiche Taten gibt es in Berlin bislang nicht. Auch der Berliner Landespolizei, die für die Verfolgung zuständig wäre, „sind solche Fälle mit Stand des heutigen Tages nicht bekannt geworden“, sagte ein Sprecher am Freitag. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass es sie nicht gegeben hat.

Diana Henniges von „Moabit hilft“ sieht Handlungsbedarf beim Land Berlin. „Das private Housing ist immer noch nicht richtig geregelt.“ Die Verifizierung der Gastgeber per Video und Ausweis sowie eine insgesamt professionelle Vermittlung hält sie für sehr wichtig. „Das macht mir große Sorgen, dass in den ersten Wochen Fehler gemacht wurden, die man nicht mehr zurückdrehen kann.“

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass mehr als 250.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in den vergangenen drei Jahrzehnten Opfer von Menschenhandel wurden. „Der Krieg führt jetzt dazu, dass die Menschenhändler Zugang zu viel mehr möglichen Opfern bekommen“, sagte die Kinderrechtsaktivistin Eirliani Abdul Rahman kürzlich dem RBB.

Allein am Donnerstag kamen knapp 5000 Menschen aus der Ukraine nach Berlin

Rund 2,8 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer haben ihr Land seit Beginn des Kriegs am 24. Februar bereits verlassen. Da Männern die Ausreise verboten wurde, handelt es sich dabei überwiegend um Frauen und Kinder. Etwa 200.000 von ihnen sind nach Deutschland gekommen, wovon viele zuerst in Berlin stoppten.

Am Donnerstag kamen 2600 Geflüchtete mit Sonderzügen am Hauptbahnhof an, weitere 2100 erreichten die Hauptstadt mit Bussen. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Lagebericht der Senatssozialverwaltung hervor. Demnach wurden 900 von ihnen im Land Berlin aufgenommen, Tausende weitere auf die übrigen Bundesländer verteilt. In der Bundeshauptstadt sind rund 20.000 untergebracht.

Der Hauptbahnhof ist seit Beginn Dreh- und Angelpunkt. Dort kommen die Sonderzüge auf den Gleisen 13 und 14 an. Hinzu kommen die vielen Helfenden, die die Geflüchteten zuletzt zumeist auf den Treppen nach unten empfingen. Mit der Eröffnung des Ankunftszeltes auf dem Washingtonplatz hat sich die Lage im Bahnhof etwas entspannt. Vom Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel, dass demnächst eröffnen soll, verspricht sich der Senat eine weitere Entspannung der Lage.

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( mit dpa )