Berliner helfen

Eine Welle der Hilfsbereitschaft für die Ukraine

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Lea Hensen und Velene Kötting
Rabbiner Yehuda Teichtal packt Willkommenstüten für Kinder aus Odessa.

Rabbiner Yehuda Teichtal packt Willkommenstüten für Kinder aus Odessa.

Foto: Jörg Krauthöfer

In Berlin helfen jetzt viele Organisationen und Freiwillige den Menschen, die aus der Ukraine gen Westen flüchten.

Berlin. Yehuda Teichtal nimmt kurz die Brille ab und streicht sich angestrengt durch den langen Bart. Verschnaufpause. Vor zwei Stunden hat der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Berlins erfahren, dass 120 jüdische Kinder eines ukrainischen Kinderheims aus Odessa auf dem Weg nach Moldawien sind. Von dort aus sollen sie nach Berlin gebracht werden. Wann sie eintreffen, ist am Dienstag ungewiss. Fest steht für den Vorsitzenden des Jüdischen Bildungszentrums Chabad aber Folgendes: „Wir finden Möglichkeiten. Jetzt muss man handeln.“

Die Chabad-Gemeinde in Berlin nimmt ukrainische Geflüchtete auf. Rund ein Dutzend Familien sind bereits am Montag und Dienstag angekommen und wurden zum Großteil bei Gemeindemitgliedern untergebracht. Zwei wohnen in den Gästezimmern der Synagoge. In der Ukraine ist Chabad an 35 Standorten vertreten – und so sind in den vergangenen Tagen viele Hilferufe in Berlin eingegangenen von Juden in der Ukraine, die flüchten wollen oder bereits auf der Flucht sind. In der Ukraine gibt es rund 350.000 Juden, die Gemeinde dort ist damit sehr groß.

120 minderjährige Waisen sollen in Hotels unterkommen

Die Verschnaufpause von Rabbi Teichtal könnte kürzer nicht sein. Immer wieder klingelt sein Handy, der Rabbiner gibt Anweisungen an seine Mitarbeiter auf Englisch oder Deutsch. „Ich will mit dem Bundesinnenministerium sprechen“, sagt er. „Wir brauchen eine Liste der Kinder ohne Pässe.“ Wenn alles gut geht, werden die 120 minderjährigen Waisen und ihre 20 Betreuer am Dienstagabend an der Grenze nach Moldawien eintreffen und, so hofft der Rabbiner, am Mittwochabend in Berlin ankommen. Sie sollen zunächst in Hotels in Wilmersdorf übernachten, danach will Chabad Wohnungen organisieren. Im Empfangssaal der Synagoge sind Willkommenspakete vorbereitet, die Kekse, Hummus oder Suppen enthalten. „Ich stehe auch mit Ärzten in Kontakt, die hier eine medizinische Erstversorgung leisten werden“, sagt Teichtal.

Chabad hat auch eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Die ersten Hilfsgüter seien bereits mit einem Lkw an die ukrainische Grenze gebracht worden, um die Menschen in der Ukraine mit Medikamenten, Schlafsäcken, Babynahrung oder Konserven zu versorgen. Auf die Fragen, wie viele Geflüchtete Chabad in Berlin unterbringen kann und ob sich auch nicht-jüdische Geflüchtete an das Bildungszentrum wenden können, kann er nur müde lächeln. „Unsere Aufgabe ist es jetzt, für alle Menschen da zu sein, die Hilfe benötigen“, sagt er. Und wiederholt seinen Eingangssatz: „Wir werden Möglichkeiten finden.“

Die jüdische Gemeinde ist nicht die einzige, die jetzt anpackt. Noch viele weitere Initiativen wollen helfen. So etwa das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das Hilfstransporte in die Ukraine entsendet. Dort wächst der Bedarf an humanitärer Hilfe, ebenso wie in den Nachbarländern der Ukraine, in die nun viele Menschen fliehen. Das DRK schickte am Dienstag den ersten Lkw-Hilfskonvoi ins polnische Lublin, nahe der Grenze zur Ukraine. Dort soll die polnische Schwesterngesellschaft, das Polnische Rote Kreuz, beim Aufbau einer Logistikdrehkreuzes unterstützt werden. Hilfsgüter zur Versorgung der Bevölkerung sollen von dort aus in die Ukraine geliefert und an ukrainische Flüchtlinge in Lublin verteilt werden.

Insgesamt 88 Tonnen Hilfsgüter verlud das DRK am Dienstag im Logistikzentrum Schönefeld. Der Hilfstransport umfasst mehr als 750 Hygienepakete, 4680 Isomatten und 3280 Feldbetten. Zwei weitere Lkw des Spanischen Roten Kreuzes schließen sich dem DRK-Konvoi an. Sie transportieren unter anderem Lampen und Powerbanks nach Lublin. Die Transporter sollen am heutigen Mittwoch in Lublin ankommen. Damit beginnt der Aufbau einer Versorgungslinie – auf unbestimmte Zeit wird das DRK nun Hilfsgüter nach Lublin bringen. „Wir stehen im permanenten Austausch mit den Kollegen vom Polnischen und Ukrainischen Roten Kreuz“, sagt Christian Reuter, DRK-Generalsekretär. „So können wir die Dinge transportieren, von denen wir genau wissen, dass sie benötigt werden“.

Der aktuelle Kriegskonflikt stellt für Hilfsorganisationen eine besondere Herausforderung dar: In kürzester Zeit mussten sich Hunderttausende Menschen auf die Flucht begeben. Diese Flüchtlinge müssten jetzt bestmöglich versorgt und unterstützt werden, so das DRK. Die Organisation bittet daher besonders um finanzielle Spenden für die betroffene Bevölkerung. „Die Menschen in der Ukraine kennen den Bedarf am Besten“, erklärt Reuter. Es sei sinnvoll, die Menschen mit Geld zu unterstützen. Denn so könne genau das angeschafft werden, was akut benötigt werde.

Giffey und Botschafter Melnyk verabschieden Hilfsgüter-Lkw

Auch der landeseigene Berliner Klinikkonzern Vivantes stellte am Dienstag kurzfristig mehr als 30 Paletten mit medizinischen Hilfsgütern aus eigenen Lagerbeständen für die Ukraine zur Verfügung. Unter anderem beinhaltet das Paket Schutzmasken, Verbandmaterial, Windeln, Desinfektionsmittel, Medikamente, Infusionslösungen sowie Spritzen und weitere dringend benötigte Hilfsmittel. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und der Ukrainische Botschafter Andrij Melnyk verabschiedeten den Vivantes-Lkw am Abend gemeinsam vor der ukrainischen Botschaft.

Und auch die Berliner Hotellerie helfe, wie Dehoga-Geschäftsführer Thomas Lengfelder mitteilte. So werde das Hotel Berlin heute 120 Flüchtlinge aufnehmen, darunter vor allem Familien. Daneben gibt es etliche private Helfer. Sie organisieren etwa Betten, Essen oder Fahrkarten. Einer ihrer Einsatzorte ist der Berliner Hauptbahnhof. Am Dienstag waren dort Tische voll bepackt mit Äpfeln, Bananen, Brötchen, belegten Broten, Tee und Wasserflaschen – Freiwillige hatten die Lebensmittel mitgebracht.