Neonazi-Szene

„Kampfgemeinschaft Cottbus“: Rückschlag gegen Rechtsextreme

| Lesedauer: 4 Minuten
Ulrich Kraetzer und Christian Unger
Die Fan-Gruppierung „Inferno Cottbus“ galt als Sammelbecken der rechtsextremen Cottbuser Hooligan-Szene. Im Mai 2017 löste sich die Gruppe formal auf. Einige der Mitglieder formierten sich neu in der „Kampfgemeinschaft Cottbus“ (Archivbild).

Die Fan-Gruppierung „Inferno Cottbus“ galt als Sammelbecken der rechtsextremen Cottbuser Hooligan-Szene. Im Mai 2017 löste sich die Gruppe formal auf. Einige der Mitglieder formierten sich neu in der „Kampfgemeinschaft Cottbus“ (Archivbild).

Foto: imago sportfotodienst / imago/MIS

Die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen Mitglieder der Gruppe „Kampfgemeinschaft Cottbus“ eingestellt.

Cottbus. Sie fanden Messer und Macheten, Schlagringe und Pyrotechnik – sowie Hakenkreuz-Dekorationen und NS-Propaganda: Als Beamte eines Spezialeinsatzkommandos im April 2019 in Cottbus und weiteren Orten Räume von Neonazis durchsuchten, herrschte auf den Behördenfluren Aufbruchstimmung.

Auch Organisationen gegen Rechtsextremismus waren erfreut. Denn mit Hilfe der Justiz könnte der Kampf gegen die in der Lausitz fest etablierten Rechtsextremen vielleicht doch noch gewonnen werden. So die damalige Hoffnung.

Die Hoffnung hat sich zerschlagen. Denn fast zwei Jahre nach der Razzia hat die Staatsanwaltschaft Cottbus die Ermittlungen gegen rund 20 Anhänger der rechtsextremen „Kampfgemeinschaft Cottbus“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingestellt. Das bestätigte der Sprecher der Cottbuser Staatsanwaltschaft, Gernot Bantleon, der Berliner Morgenpost und der „Welt“.

„Das objektiv erforderliche Maß einer gefestigten Organisation mit festgelegten Gruppenstrukturen, Rollen und Akteuren, wie es zum Nachweis einer kriminellen Vereinigung nötig wäre, liegt dem Ergebnis der Ermittlungen zufolge nicht vor“, sagte Bantleon.

Verfassungsschutz nannte Gruppe „toxisches Gebilde“

Die „Kampfgemeinschaft Cottbus“ gilt als einer der bundesweit wichtigsten Zusammenschlüsse von Rechtsextremisten. Der brandenburgische Verfassungsschutz bezeichnete die Gruppe als „toxisches Gebilde“. Gewaltbereite Hooligans, Szene-Größen aus dem Türsteher-Milieu, rechte Kampfsportler: Sie alle fanden in der „Kampfgemeinschaft“ Heimat. Die Gruppe sei ein „Sammelbecken für Rechtsextremisten mit hohem Gewaltpotenzial“.

Die Mitglieder der „Kampfgemeinschaft“ trafen sich nicht nur zu Kampfsportfestivals und Rechtsrock-Festivals. Laut Ermittlungen gingen sie auch auf die Jagd nach Menschen, deren Hautfarbe oder Einstellung ihnen missfiel. Auf einem Handy fanden Ermittler Chats, in denen sich Mitglieder der „Kampfgemeinschaft“ als „schnelle Eingreiftruppe“ bezeichneten.

Ihre Ideologie stellten die Neonazis mitunter offen zur Schau. Bei einer Weihnachtsfeier von Mitgliedern der „Kampfgemeinschaft“ standen auf der Getränkekarte Sekt oder Bier zur Wahl. Auf der Rückseite der Karte prangte ein Hakenkreuz.

Restaurants, Bekleidungslabel und Security-Unternehmen

Das Besondere der „Kampfgemeinschaft“: Einige ihrer Mitglieder verdingen sich bis heute als Geschäftsleute. Ein Restaurant in einer Touristen-Hochburg im Spreewald, ein Bekleidungslabel, sogar ein Security-Unternehmen: All das gehört zum Portfolio von Personen, die der „Kampfgemeinschaft“ zugerechnet werden.

Im Verfassungsschutzbericht hieß es: Die Gruppe konzentriere sich „auf die Verbreiterung und wirtschaftliche Verfestigung ihres Netzwerkes“. Die „Berliner Morgenpost“ hatte über die Verflechtungen berichtet.

Zuletzt registrierten die Sicherheitsbehörden, dass sich Mitglieder der „Kampfgemeinschaft“ mit Straftaten zurückhielten. Nach der Einstellung des Verfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung können sie ihr Netzwerk nun womöglich festigen – so die Befürchtung.

Auch eine Stadtverordnete wurde Opfer von Gewalt

Die Cottbuser Stadtverordnete Barbara Domke (Grüne) beobachtet die Szene so genau wie wohl keine andere Politikerin. Im Sommer 2021 wurde sie bei einem Angriff auf ihr Auto selbst Betroffene mutmaßlich rechter Gewalt.

Die Einstellung des Verfahrens wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung erstaunt sie. Die Beschuldigten würden sich lange kennen, pflegten enge Geschäftsbeziehungen. „Eine Einstellung des Verfahrens zeigt, dass der Rechtsstaat seine vorhandenen Möglichkeiten nicht ausschöpft“, kritisiert Domke.

Der Stadtverordnete Andreas Rothe (SPD) nennt es „enttäuschend“, dass es für eine Anklage nicht gereicht habe. Die Behörden schauten bei Neonazis und deren Geschäften zwar genauer hin. „Am Ende ist es aber wichtig, dass die rechtsextreme Szene diesen Verfolgungsdruck auch im Alltag spürt“, sagt Rothe.

„Alles in die Waagschale geworfen“

Die Staatsanwaltschaft rechtfertigt die Einstellung dagegen. Die Behörde habe „alles in die Waagschale“ geworfen, sagt Sprecher Bantleon. Das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung habe man zwar einstellen müssen. Gegen etliche der ehemals Beschuldigten würde wegen diverser Einzelstraftaten nun aber in gesonderten Verfahren weiter ermittelt, etwa wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz. In einigen Fällen sei schon Anklage erhoben worden.

Martin Vesely vom Verein „Opferperspektive“ gibt sich damit nicht zufrieden. Die nunmehr gesondert geführten Verfahren lägen Jahre zurück. Die Anklagen kämen „viel zu spät“. Zeugen würden sich Jahre nach der Tat vor Gericht oft nicht erinnern können, Verurteilungen würden somit erschwert.

Die schleppende Verfolgung von Straf- und Gewalttaten sei in Cottbus nicht neu. Der Verein Opferperspektive betreue etliche Betroffene von Gewalttaten, die seit vielen Jahren darauf warteten, dass ihre Fälle vor Gericht verhandelt würden. „Wir haben ein Justizproblem in Cottbus“, sagte Vesely. „Und dieses Justizproblem führt dazu, dass Rechtsextremisten in Cottbus seit Jahren straflos Gewalttaten begehen.“