Berlin. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin erinnert mit Stolpersteinen in Berlin an ihre Mitglieder, die vor dem NS-Terror fliehen mussten
Heute ist sein Name selbst unter Medizinern so gut wie vergessen. Kein Wunder, die so hoffnungsvoll in Berlin begonnene Karriere von Kurt Henius endete abrupt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Henius, der aus einer jüdischen Familie stammte, war zuvor unter anderem Assistent an der II. Medizinischen Klinik der Charité und wurde 1930 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1935 verlor Henius aufgrund des „Reichsbürgergesetzes“ seine Lehrbefugnis, wurde entlassen und floh mit seiner Frau und seinen vier Kindern schließlich nach Luxemburg.
In der kommenden Woche, am 17. Februar um 9 Uhr, wird der Künstler Gunter Demnig auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) im Gedenken an Kurt Henius und seiner Familie am ehemaligen Wohnort an der Landgrafenstraße 9 in Tiergarten sechs Stolpersteine verlegen. Mit der Verlegung der Stolpersteine will die DGIM jedoch nicht nur auf das Schicksal ihres einstigen Mitglieds Henius aufmerksam machen.
„Mit der Verlegung gedenkt die DGIM ihrer verfolgten, zur Emigration gezwungenen oder getöteten Mitglieder“, erklärt der Generalsekretär der DGIM, Georg Ertl. Seit nunmehr zehn Jahren arbeitet die Fachgesellschaft ihre NS-Vergangenheit wissenschaftlich auf und hat sowohl die Opfer von NS-Unrecht als auch die Täter in ihren Reihen auf der Website www.dgim-history.de porträtiert. Nicht wenige ihrer Mitglieder waren in grausame Humanexperimente in Konzentrationslagern verstrickt.
230 Mitglieder mussten vor der NS-Verfolgung fliehen
Die geschichtswissenschaftlichen Forschungen koordiniert der an der Universität Köln lehrende Medizinhistoriker Ralf Forsbach. Als die Fachgesellschaft im Jahr 1932 ihr 50-jähriges Bestehen feierte, gehörten ihr 1223 Mitglieder an. In den folgenden 13 Jahren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft flohen 230 der DGIM-Mitglieder vor der NS-Verfolgung und emigrierten ins Ausland. Verglichen mit andern Berufsgruppen, so der Forscher, gelang vielen die Flucht, relativ wenigen hätten Suizid begangen oder kamen in Konzentrationslagern um. „Ärzte waren ja vergleichsweise vermögend und auch gut informiert und vernetzt, die Vertreibung hatte aber trotzdem dramatische Folgen für ihren weiteren Lebenslauf“, sagt Forsbach.
Das Wirken der Mitglieder soll dem Vergessen entrissen werden
„Diese Mitglieder, darunter Ärzte, die heute zumeist niemand mehr kennt und zu denen in den Archiven auch wenig zu finden ist, wollen wir dem Vergessen entreißen“, sagt Forsbach. „Natürlich auch in der Hoffnung, dass sich Leute bei uns melden, die Informationen zu diesen Menschen haben – und vielleicht auch Fotos“, so der Wissenschaftler weiter. Von Henius, der als zweiter Sohn der jüdischen Eheleute Julian und Emma Henius zur Welt kam und in Berlin aufwuchs, hat Forsbach jedenfalls nur ein unscharfes Porträtbild als Abdruck in einer amerikanischen Zeitung aus dem Jahr 1929 gefunden.
Aber immerhin ließ sich die Geschichte des Mediziners weitgehend rekonstruieren. Als er 1938 mit seiner Frau und den Kindern nach Luxemburg kam, war er dort nur für wenige Jahre in Sicherheit. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1940 taucht sein Name schließlich 1943 auf einer Auflistung von „Mischehen“ zwischen Juden und Nichtjuden auf. Er überlebte die Besatzungszeit, starb aber zweieinhalb Jahre nach der Befreiung Luxemburgs im Alter von 65 Jahren, hat der historischer Berater der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin recherchiert.