Invalidenstraße

Tödlicher SUV-Unfall: Anklage fordert Bewährungsstrafe

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Im Prozess um den SUV-Unfall mit vier Toten im Jahr 2019 hat die Staatsanwaltschaft nun eineinhalb Jahre auf Bewährung gefordert.

Berlin.  Prozess um den SUV-Unfall auf der Invalidenstraße mit vier Toten hat die Staatsanwaltschaft eine eineinhalbjährige Haftstrafe für den Angeklagten Michael M. gefordert. Da der 44-Jährige weder vorbestraft und bislang keinen Eintrag im Verkehrsregister hat, sei die Strafe zur Bewährung auszusetzen, sagte Oberstaatsanwalt Dirk Klöpperpieper am Mittwoch in seinem Plädoyer. Klar sei, dass jedwede Strafe das Leben der vier Getöteten nicht aufwiegen könne.

Klöpperpieper hielt M. zugute, dass er größtenteils geständig gewesen sei. Außerdem habe er seine Ärzte von der Schweigepflicht entbunden und seine Krankenakte zur Verfügung gestellt, was wesentlich zur Aufklärung des Falls beigetragen habe. Ferner habe er den Hinterbliebenen zweier Opfer freiwillig 50.000 Euro gezahlt, wie erst am Mittwoch bekannt wurde.

Ein halbes Jahr vor dem tödlichen Unfall erlitt M. einen epileptischen Anfall

M. verlor am Abend des 6. September 2019 infolge eines epileptischen Anfalls die Kontrolle über seinen Porsche SUV. Er verkrampfte und drückte das Gaspedal voll durch, wodurch sein 2,5 Tonnen schwerer Wagen binnen Sekunden auf mehr als 100 Stundenkilometern beschleunigte und über die Invalidenstraße in Mitte raste. An der Ackerstraße erfasste der Wagen vier Menschen – zwei 28 und 29 Jahre alte Männer sowie eine 64-Jährige und ihren drei Jahre alten Enkel. Alle starben noch vor Ort. Die Anklage gegen M. lautet auf gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sowie fahrlässige Tötung. Dass M. vorsätzlich tötete, wurde aufgrund der medizinischen Situation ausgeschlossen. „Sie durften aber auf gar keinen Fall Auto fahren“, sagte Oberstaatsanwalt Klöpperpieper.

Der Unternehmer Michael M. erlitt im Mai 2019, also ein halbes Jahr vor dem tödlichen Unfall, seinen ersten epileptischen Anfall. Bereits ein Jahr zuvor war bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert worden, den er sich am 7. August 2019 operativ entfernen ließ. M. hatte bereits zu Prozessbeginn im vergangenen Oktober zu Protokoll gegeben, nach der Operation mit keinem weiteren Anfall mehr gerechnet zu haben. Ein Fahrverbot sei ihm nicht ausgesprochen worden.

Allerdings gab ein Neurologe an, M. gegenüber zwei Wochen vor dem Unfall sehr wohl ein Fahrverbot ausgesprochen zu haben. Er sagte aber auch, dass er die Patientenakte im Nachgang des Unfalls veränderte.

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Sachverständiger: Arzt habe Änderungen an der Akte vorgenommen

Wie ein Sachverständiger der Berliner Polizei am Mittwoch als letzter Zeuge aussagte, habe der Arzt Änderungen an der Akte vorgenommen, ohne dieses kenntlich zu machen – auch als diese schon gesperrt war, möglicherweise mit Bildbearbeitungsprogrammen. Robert Unger, Verteidiger des Angeklagten, sprach in diesem Zusammenhang von einer „Fälschung“ und „widerrechtlichen Manipulation“, auf deren Grundlage wesentliche Teile der Anklage fußen.

So sei in der Akte ursprünglich nur davon die Rede gewesen, dass sich M. gut von der Operation erholt habe und weiterhin Medikamente nehmen müsse. Nach dem Unfall habe der Neurologe den Schriftsatz etwa um Angaben zu einem ausgesprochenen Fahrverbot ergänzt. Laut des Polizeisachverständigen nahm er acht Änderungen vor – deutlich mehr als angegeben. „Der Zeuge hat nicht nur hier falsch ausgesagt, sondern sich auch der Urkundenfälschung schuldig gemacht“, befand Verteidiger Unger. Oberstaatsanwalt Klöpperpieper schloss nicht aus, diesbezüglich Ermittlungen einzuleiten.

Zentral ist dieser Umstand für die Würdigung der Schuld nach Ansicht des Staatsanwalts und der Nebenklagevertreter, die in Teilen am Mittwoch ebenfalls plädierten, jedoch nicht. „Die falsche oder schlechte Belehrung ist zweitrangig“, sagte Barbara Petersen, die den Ehemann und Großvater der getöteten Frau und des Kleinkindes vertritt. „Auf die eigene Fahrtüchtigkeit zu achten, ist ureigene Verantwortung des Fahrers selbst.“ Ein Arzt müsse auch einem Alkoholiker nicht sagen, dass er betrunken nicht fahren darf, ergänzte Anwältin Christina Clemm, die die Eltern des Kindes vertritt.

M. sagte aus, dass er sich ausreichend über seine Krankheit informiert habe

Aus den Aussagen von Michael M. sei hervorgegangen, dass er sich ausreichend über seine Krankheit im Internet informiert habe, so die Nebenklagevertreter weiter. Dass nach einem epileptischen Anfall ein Jahr und nach einer Gehirnoperation drei Monate Fahrverbot gelten, hätte er also auch wissen müssen, habe sich aber darüber hinweggesetzt. Entsprechend sei die Tötung zwar als fahrlässig, der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr als vorsätzlich zu werten.

„Mein Mandant ist immer noch auf der Suche nach seinem Frieden und hatte gehofft, ihn hier mit Ihnen zu finden“, sagte Petersen an den Angeklagten gewandt. „Das würde aber voraussetzen, dass Sie ihren Fehler einräumen.“

Dass M. das nicht tue, warfen auch die anderen Anwälte dem 44-Jährigen vor. Wenn er Emotionen im Prozess gezeigt habe, dann nur wegen sich selbst und nicht wegen der Toten, so Rechtsanwältin Clemm. Stattdessen versuche er, die Verantwortung auf seine Ärzte abzuwälzen. Als Zeichen hätte M., der sein Geld mit schnellen Autos verdient, sich gegen das SUV-Fahren in Innenstädten engagieren können. Stattdessen habe er sich nach dem Unfall einen neuen SUV gekauft, so Clemm weiter.

SUV-Prozess: Urteil soll am 17. Februar fallen

Die Nebenklage stellte keine Strafanträge, jedoch eine „empfindliche“ Geldstrafe und ein lebenslanges Fahrverbot für Michael M. Für den 9. Februar sind noch ein letztes Nebenklage-Plädoyer und die Anträge der Vereidigung geplant. Mit einem Urteil wird für den 17. Februar gerechnet.