Das Chaos in Berlins Schulen wird immer größer. Das Hin und Her mit den Quarantäneregeln und der Kontaktnachverfolgung sowie schließlich das Aussetzen der Präsenzpflicht sorgt bei Eltern, Schülern und Lehrern für Unsicherheit. Doch wie kam es dazu? Eine Chronologie:
Freitag, 14. Januar: Der Senat beschließt neue Quarantäneregeln. Demnach können die Kinder in Schulen und Kitas die Quarantänezeit bereits nach fünf Tagen beenden. Vorausgesetzt, sie haben einen negativen PCR- oder einen Antigenschnelltest. Es müsse gewährleistet sein, dass die Schülerinnen und Schüler weiterhin zügig getestet werden können, sagt Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD). Die Bildungsverwaltung hält zu diesem Zeitpunkt noch am Präsenzunterricht fest.
Sonnabend, 15. Januar: Wegen der rasant steigenden Zahl coronapositiver PCR-Tests fallen insgesamt 15 Schulen innerhalb des Berliner Stufenplans auf die Ampelfarbe Gelb. Demnach müssen die betroffenen Klassen in den Wechselunterricht und gelernt wird nur noch in kleineren, in sich geschlossenen Gruppen.
Donnerstag, 20. Januar: Berliner Eltern verschicken einen Brandbrief an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Darin fordern Elternvertreter aus elf Berliner Bezirken von der Senatschefin und der Bildungssenatorin Busse, in den Schulen die sogenannte S3-Leitlinie des Robert-Koch-Instituts vollständig umzusetzen. Dazu gehören unter anderem die Kohortierung, der Wechselunterricht sowie weitere Maßnahmen im Musik- und Sportunterricht. Weiter bekräftigen die Eltern in dem Brief ihre Forderung, an den Schulen zur täglichen Testung zurückzukehren – und nicht wie derzeit dreimal wöchentlich die Kinder und Jugendlichen auf das Coronavirus zu überprüfen.
Freitag, 21. Januar: Die Amtsärzte aller zwölf Bezirke erklären, die Kontaktnachverfolgung nach einer gemeldeten Corona-Infektion weitgehend einzustellen. Aufgrund der hohen Inzidenzen sei diese nicht mehr möglich. Demnach werden Kontaktpersonen von infizierten Schülern nicht mehr nach Hause geschickt. Auch Kontaktlisten werden nicht mehr erstellt. Symptomatische Schüler und Lehrer sollen sich an ihre Hausärzte wenden. Dem entgegen steht eine Regel des Senats, wonach sich Kontaktpersonen frühestens nach fünf Tagen freitesten können. Eltern sind verunsichert, ob damit auch die Quarantänepflicht für Kinder und Jugendliche aufgehoben ist, wenn sie Kontaktpersonen sind. Trotz rasant steigender Zahlen infizierter Schüler hält Berlin weiter am Präsenzunterricht fest. „Präsenzunterricht ist wichtig“, sagt Martin Klesmann, Sprecher der Bildungsverwaltung.
Montag, 24. Januar: Die Präsenzpflicht an Berlins Schulen wird gestrichen. Das teilt die Bildungsverwaltung mit. Eltern können ab sofort selbst entscheiden, ob ihr Kind zur Schule geht oder nicht. Stadträte kritisieren mangelnde Absprachen mit den bezirklichen Gesundheitsämtern. Die Kehrtwende des Senats kam überraschend. Auch Eltern und Schulleiter sind verwundert und wissen in der Kürze der Zeit nicht, was zu tun ist.
Mittwoch, 26. Januar: Ursprünglich sollte an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus über die neue Infektionsschutzverordnung gesprochen werden. Doch auf Betreiben der SPD wurde die Debatte von der Tagesordnung genommen. Die Sozialdemokraten stören sich daran, dass die Verordnung fast unverändert ist, obwohl die Gesundheitsminister und die Amtsärzte einen Strategiewechsel für die Quarantäne und die Kontaktnachverfolgung angekündigt haben. Konkret geht es um den Wegfall der Quarantänepflicht für Kontaktkinder von infizierten Mitschülern. Das soll vor dem Beschluss auch noch im Bildungsausschuss besprochen werden, weil einige Fachpolitiker dazu noch Fragen haben, so der Wunsch der SPD. Der Ausschuss tagt allerdings erst einen Tag später, am Freitag. Auch hier werden Kommunikationsprobleme innerhalb der Koalition für den Stopp verantwortlich gemacht.
Donnerstag, 27. Januar: Die Kritik an der Aufhebung der Präsenzpflicht wird immer größer. Berufsschullehrer in Berlin fordern die Präsenzpflicht ein. „Die Schülerinnen und Schüler nutzen die Möglichkeit, dem Unterricht fernzubleiben, sehr eifrig“, sagt Ronald Rahmig, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen, „an einigen Schulen liegt die Quote bei 80 Prozent, das ist einfach fatal für die Ausbildung.“ Auch der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, hält die Aufhebung der Präsenzpflicht für falsch. Es gebe jede Menge Kinder, bei denen das Virus nachgewiesen werde, die aber keine Symptome hätten.
Freitag, 28. Januar: Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) verteidigt bei einer Sondersitzung des Bildungsausschusses die Aufhebung der Präsenzpflicht. Man habe die Sorgen der Eltern in Bezug auf das Infektionsgeschehen ernst genommen und ihnen diese Möglichkeit temporär geben wollen. Tatsächlich zu Hause geblieben seien zum aktuellen Zeitpunkt allerdings gerade mal zwischen null und drei Prozent der Kinder – variierend von Bezirk zu Bezirk.
Dienstag, 1. Februar: In einem Schreiben an die Schulen präzisiert die Senatsbildungsverwaltung die Regelungen zur Aussetzung der Präsenzpflicht. Demnach ist das Aussetzen bis zum 28. Februar 2022 einschließlich befristet. Die Schule muss vorab schriftlich informiert werden, und zwar - das ist neu - spätestens am Beginn des Schultages. Der Aussetzungszeitraum muss mindestens eine Schulwoche umfassen und darf nicht tage- oder stundenweise erfolgen, heißt es weiter - offenbar haben einige Schülerinnen und Schüler die Regelung ausgenutzt, um einzelnen ungeliebten Stunden fernzubleiben. Das freiwillige Fernbleiben vom Präsenzunterricht nach den Winterferien werde auf dem Zeugnis als entschuldigte Fehlzeit erfasst, heißt es weiter sowie: "Die Aussetzung der Präsenzpflicht stellt weder eine Verlängerung der Ferien noch eine Beurlaubung dar. Das heißt für die davon betroffenen Schülerinnen und Schüler, dass die von der Schule zur Verfügung zu stellenden Aufgaben für zu Hause auch erledigt werden müssen."
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