Berlin. Tausende Stromkunden in Berlin und Hamburg rutschen in die Grundversorgung, weil ihr bisheriger Anbieter sie nicht mehr beliefert. Bei Vattenfall, dem Grundversorger der beiden größten deutschen Städte, ist von einer mittleren fünfstelligen Zahl in den vergangenen Wochen die Rede. „Tatsächlich verzeichnen wir wegen der Kündigungswelle bei Stromverträgen anderer Anbieter aktuell Kundenzuwächse in unserer Grundversorgung“, teilte das Unternehmen mit.
Hintergrund ist die angespannte Lage auf den Strommärkten. Bei der Bundesnetzagentur haben bis Ende 2021 mindestens 38 Anbieter angezeigt, ihren Kunden keinen Strom mehr liefern zu wollen. Die Unternehmen begründen das mit den stark gestiegenen Preisen an den Strombörsen. Hunderttausende Kunden dürften betroffen sein. Der bekannteste Fall ist der Anbieter Stromio.
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Wenn ein Anbieter nicht mehr liefert, wechseln die Kunden automatisch in den Tarif des örtlichen Grundversorgers. Dann kommt weiter Strom aus der Steckdose, muss aber in der Regel deutlich teurer bezahlt werden als zuvor. Die Bundesregierung sieht in der aktuellen Kündigungswelle Vertragsbrüche der Anbieter.
Nachfrage nach Energie 2021 sprunghaft angestiegen
Die Preise an den Strombörsen waren 2021 so hoch wie seit mindestens 20 Jahren nicht, wie das Energiewirtschaftliche Instituts (EWI) der Universität zu Köln in der Kurzanalyse ermittelte. Das liege daran, dass sich nach dem Corona-Einbruch die Weltwirtschaft 2021 erholte und die Nachfrage nach Energie sprunghaft gestiegen sei. Hinzu kamen höhere Preise für den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids.
Die Verbraucherzentrale Brandenburg (VZB) hat unterdessen nach eigenen Angaben Klage gegen den Berliner Anbieter Voxenergie eingereicht. Sie reagiere damit auf mehrere Beschwerden von Kunden, wonach das Unternehmen die Preise erhöht habe, ohne dies zuvor anzukündigen oder auf das Sonderkündigungsrecht hinzuweisen.
Nach Mitteilung des Unternehmens von Montag lag diesem noch keine Klageschrift vor, aber die Verbraucherzentrale habe in einer Abmahnung nur Fälle von zwei Kunden beanstandet, jedoch ohne diese konkret zu benennen. Voxenergie gehe davon aus, „dass sich mit der konkreten Benennung der in der Abmahnung des VZB geschwärzten zwei Kunden der grundsätzliche, bei allen Kunden sichergestellte Ablauf bestätigen wird, dass auch diese rechtzeitig schriftlich auf Preiserhöhungen und ein hieraus folgendes Sonderkündigungsrecht für die Energieversorgungsverträge hingewiesen worden waren.“
Vattenfall sieht sich auf den Kundenzustrom gut vorbereitet
Vattenfall teilte mit, man sei auf den Kundenzustrom in der Grundversorgung gut vorbereitet. Das Unternehmen sichere sich die benötigten Strommengen regelmäßig über einen langen Zeitraum. „Gegen Preisschwankungen sind wir somit gut gewappnet.“ Nach Angaben eines Sprechers wächst die Zahl der Stromverträge beim deutschen Ableger des schwedischen Staatskonzerns schon länger. Bundesweit hat das Unternehmen nach eigenen Angaben 4,2 Millionen Stromkunden, davon 1,6 Millionen in Berlin und rund 650.000 in Hamburg.
Kunden, die in die Grundversorgung gefallen sind, rät die Verbraucherzentrale, sich lieber einen anderen günstigeren Tarif als die Grundversorgung zu suchen – zum Beispiel über Vergleichsportale. Den Grundversorgungstarif könne man jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen kündigen.
Verbraucher können auf Schadenersatz hoffen
Gleichzeitig könne eine unwirksame Kündigung des vorherigen Anbieters zu einem Schadensersatzanspruch führen. Der Anbieter habe sich schließlich für einen bestimmten Zeitraum zu der Belieferung mit Energie vertraglich verpflichtet. Halte er seine vertragliche Verpflichtung nicht ein, indem er die Belieferung einstellt und auch nicht wirksam kündigt, liege eine Vertragspflichtverletzung vor.
„Entsteht durch die Vertragspflichtverletzung ein Schaden, dann besteht ein Anspruch auf Ausgleich des Schadens. Ein Schaden könnte dadurch entstehen, dass die Belieferung durch den Grundversorger oder auch durch einen anderen Anbieter nur zu einem höheren Preis als im ursprünglich vereinbarten Tarif möglich ist“, hieß es von der Verbraucherzentrale Brandenburg. Der Schaden sei dann die Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten (niedrigeren) Preis und dem neuen (höheren) Preis der Belieferung.