Berlin. Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Hildmann-Spitzel in der eigenen Behörde enttarnt. Die Mitarbeiterin will sich nicht äußern.

Bei den Ermittlungen gegen den rechtsextremen Verschwörungsideologen Attila Hildmann wegen Volksverhetzung und anderer Delikte hat es in der Berliner Justiz offenbar einen Maulwurf gegeben. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft soll den einstigen Fernsehkoch mit internen Informationen zu den Ermittlungen versorgt haben. Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte am Montag entsprechende Berichte des ARD-Politikmagazins Kontraste und des Rechercheformats „STRG_F“. Die Behörde ermittelt demnach wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses und der versuchten Strafvereitelung. „Wir müssen leider von einem Maulwurf in den eigenen Reihen ausgehen“, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Martin Steltner.

Den Berichten zufolge handelt es sich bei der Beschuldigten um die 32-jährige M. aus Berlin. Sie soll als Angestellte aus der IT-Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft Interna aus der Datenbank der Behörde weitergegeben haben. Auf ihre Spur war die Generalstaatsanwaltschaft den Berichten zufolge gekommen, nachdem die 32-Jährige mehrfach bei Polizeieinsätzen aufgefallen sein soll. Unter anderem habe die Polizei M. im Umfeld eines Aktivisten der Querdenker-Szene identifiziert.

Abfragen zu Rechtsextremisten und Querdenkern

Die Generalstaatsanwaltschaft habe daraufhin im Mai überprüft, auf welche Daten die damalige System-Administratorin zugegriffen habe, sagte Steltner. „Es ergaben sich unberechtigte Abfragen zu verschiedenen Personen der rechtsextremen und der Querdenker-Szene“, sagte Steltner. Im Juli hätten Ermittler die Wohnung der Verdächtigen M. in Berlin durchsucht. Dabei seien mehrere Datenträger sichergestellt worden.

Ein ehemaliger Weggefährte von Hildmann, Kai Enderes behauptete nach Angaben von „Kontraste“ und „SRG_F“, dass die einstige Justizbedienstete Hildmann Anfang des Jahres in der Türkei besucht habe. Sie habe Hildmann auch den Haftbefehl weitergegeben.

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Kai Enderes hatte bereits vor Monaten gegenüber dem Netzwerk „Anonymous“ gesagt, Hildmann in technischer Hinsicht unterstützt zu haben, etwa beim Aufbau von Kanälen auf dem Messenger-Dienst Telegram. Dort verbreitete Hildmann seine Verschwörungserzählungen und antisemitische Propaganda. Später habe er sich von Hildmann abgewandt, sagte Enderes.

Keine Hinweise auf Kausalität zwischen Weitergabe und Flucht

Hildmann hatte sich bereits im Dezember vergangenen Jahres aus Deutschland in die Türkei abgesetzt. Die Staatsanwaltschaft sucht ihn seit Februar dieses Jahres per Haftbefehl. Nach Ausstellung des Haftbefehls war bekannt geworden, dass der Rechtsextremist und Holocaust-Leugner womöglich durch eine durchgestochene Information davon Kenntnis erlangt haben könnte.

Sprecher Steltner sagte auf Anfrage der Berliner Morgenpost allerdings, dass für eine Kausalität zwischen der mutmaßlichen Weitergabe der Informationen durch die ehemalige Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft und der Flucht Hildmanns bisher keine Hinweise vorlägen. Die durchgestochene Information hätte Hildmann „nur nachträglich Gewissheit über das tatsächliche Vorliegen eines Haftbefehls gegeben“, sagt Steltner. Auch Hildmanns einstiger Weggefährte Enderes bestätigte dies laut Kontraste und „SRG_F“. Er habe Deutschland schon Ende 2020 mit Hildmann verlassen, weil er vermutet habe, dass es eine Festnahme geben könnte. Aus Justizkreisen verlautete, dass die Mitarbeiterin Hildmann zwar womöglich nicht über den bereits ausgestellten Haftbefehl informiert habe – möglicherweise aber über den Antrag oder einen Entwurf dazu.

Konsequenzen aus Datenskandal

Auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bestätigte die Berichte. „Nachdem der Haftbefehl an Attila Hildmann mutmaßlich durchgestochen wurde, hat die Generalstaatsanwaltschaft intensiv in den eigenen Reihen ermittelt“, sagte Behrendt. Einen vergleichbaren Fall habe es seiner Erinnerung nach bisher nicht gegeben.

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Die Justiz will nach Angaben eines Sprechers der Senatsjustizverwaltung nun Konsequenzen aus dem Datenskandal ziehen. Im IT-System der Staatsanwaltschaft soll demnach künftig umfassender erfasst werden, wer wann auf welche Dokumente zugegriffen hat. Außerdem prüft die Strafverfolgungsbehörde, wie Daten in sensiblen Ermittlungsverfahren besser vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden können, sagte ein Sprecher der Berliner Justizverwaltung auf Anfrage.

Die beschuldigte Justizmitarbeiterin will sich nicht äußern

Die ehemalige Justizmitarbeiterin M. wollte den Recherchen zufolge zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Hildmann, der Kontraste und „STRG_F“ nach Angaben der Redaktionen ein Interview gegeben hat, wollte sich demnach zu den konkreten Vorwürfen nicht äußern. Zu den Ermittlungen gegen ihn selbst sagte er den Angaben zufolge, dass er als Volksverhetzung strafbare Äußerungen getätigt habe. Nach Deutschland werde er nicht zurückkehren.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Hildmann wegen Volksverhetzung, Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der Haftbefehl gegen Hildmann, der die deutsche und türkische Staatsangehörigkeit hat, konnte nach seiner Flucht in die Türkei nicht vollstreckt werden, weil die Türkei türkische Staatsangehörige nicht ausliefert.

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