Berlin. Es ist ein Thema, das die Gemüter erregt und die neue Bezirksverwaltung kann wohl kaum darüber hinwegsehen: Im Köpenicker Stadtviertel Wendenschloß entstehen Tausende neue Wohnungen, aber die Infrastruktur wächst nicht mit. Das Viertel gleicht einer Sackgasse: Im Westen und Süden grenzt es an die Dahme, im Osten sind die Müggelberge.
Die einzige Zu- und Ausfahrt aus Wendenschloß führt über zwei relativ schmale Straßen Richtung Norden. Seit Ende März aber ist eine der beiden Straßen, die Wendenschloßstraße, zur Hälfte wegen Arbeiten der Berliner Wasserbetriebe und der BVG gesperrt. Die andere, parallel verlaufende Straße, die Grüne Trift, ist unbefestigt und kann den gesamten Verkehr aus Wendenschloß kaum tragen.
Müggelheimer Straße: Lange Staus auch wegen Pendlerverkehr
So führt auch der Schienenersatzverkehr der Straßenbahnlinie 62, die eigentlich die Wendenschloßstraße entlang fährt, über die Grüne Trift und biegt im Norden in die Müggelheimer Straße ab. Ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen sind dadurch besonders benachteiligt: Bis zur Bushaltestelle müssen sie derzeit je nachdem bis zu 800 Meter laufen.
Der Knotenpunkt zwischen Wendenschloßstraße bzw. Grüne Trift mit der Müggelheimer Straße ist nicht minder problematisch. Die Müggelheimer Straße wird nach Osten hin zum Müggelheimer Damm, der Hauptverbindung für Pendler aus Müggelheim und dem brandenburgischen Umland. Dort bilden sich regelmäßig kilometerlange Staus. Eine Situation, die sich zuspitzen könnte, wenn ab 2027 die Lange Brücke neu gebaut wird, die Köpenick mit Spindlersfeld verbindet.
Damit der Schienenersatzverkehr besser durchkommt, hat die BVG auf der Müggelheimer Straße im März eine Busspur in Richtung Innenstadt einrichten lassen. Die Busse fahren also an den Autos vorbei, die nun allerdings einspurig, also noch länger, an der Ampel stehen. Viele Autofahrende sind deswegen über die Busspur verärgert. Das Bezirksamt betont, dass es sich um eine temporäre Maßnahme handelt. Wenn die Bauarbeiten in der Wendenschloßstraße abgeschlossen seien, voraussichtlich Mitte Oktober, soll planmäßig auch die Busspur wieder abgeschafft werden.
Allerdings werden Stimmen laut, die die Busspur halten wollen, weil sie immerhin den Buslinienverkehr in Wendenschloß erleichtert. Pro Stunde passieren dort zwischen zwölf und 21 Fahrten. Dem hat die BVG eine Absage erteilt. „Eine vorzeitige Aufhebung des Bus-Sonderfahrtstreifens bzw. eine weitere zeitliche Begrenzung wurde bereits kommuniziert und seitens der BVG abgelehnt“, teilte Bezirkssprecherin Sabrina Kirmse mit.
Wendenschloß: Brücke nach Grünau noch möglich?
Neben der Busspur gibt es noch viele weitere Lösungsvorschläge für das Verkehrsproblem rund um Wendenschloß. Die SPD will aufs Wasser ausweichen und wünscht sich einen Linienverkehr mit Schiffen. Emissionsfreie Schnellboote sollten die Anwohnenden bis nach Mitte und Steglitz bringen. Auch eine Seilbahn war mal im Gespräch. Allerdings stellt die Senatsverwaltung in Frage, ob derartige Verkehrsverbindungen schneller als der herkömmliche Nahverkehr sind.
Und dann ist da noch die Idee mit der Brücke: Sie könnte Wendenschloß mit Grünau verbinden, ungefähr dort, wo jetzt bereits die Fähre F12 der BVG übersetzt. In einem Beschluss von 2018 wollten die Bezirksverordneten damit eine Verbindung von Salvador-Allende-Straße über die Dahme bis zur Tangentialverbindung Ost (TVO) ermöglichen.
Die Idee mit der Brücke über die Dahme gibt es bereits seit den 1930er Jahren. Allerdings teilte die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Sommer 2019 mit, dass allein für die Machbarkeitsstudie nicht genügend Personal zur Verfügung stehe. Die Bezirksverordneten versuchten es kurz darauf mit einem weiteren Beschluss für eine reine Rad- und Fußgängerbrücke, über die auch der ÖPNV führen sollte. Auch diesen Vorschlag wies die Senatsverwaltung zurück.
Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Klimaschutz und Verkehr, sagte im Juni: „Über einen Brückenneubau über die Dahme zwischen Wendenschloß und Grünau ist noch nicht abschließend entschieden, Untersuchungen dazu laufen.“ So oder so: Es wird dauern, bis das Projekt angegangen wird. Bis es realisiert wird, vergehen womöglich Jahrzehnte.
Wendenschloß: Über Ampelschaltung die Situation an der Kreuzung verbessern?
„Die Brücke wird uns nicht helfen, weil die Verkehrssituation auf Grünauer Seite genauso angespannt ist“, sagt Uwe Doering, Bezirksverordneter der Linken und Vorsitzender im Ausschuss für Stadtentwicklung. Auch werde das Verkehrsproblem nicht gelöst, wenn alle immer nur die Kreuzung zur Müggelheimer Straße achten.
So sagte Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage von April, der Bezirk habe mit dem Investor des Bauvorhabens Marienhain in Wendenschloß (dort entsteht Wohnraum für 2000 Menschen) vereinbart, dass dieser je nach Baufortschritt die Ampelschaltung an der Kreuzung anpasst. Hölmer gab außerdem an, dass sich Verkehrsuntersuchungen für die Nachverdichtung am Kietzer Feld (300 Wohnungen) auf Untersuchungen für den Bebauungsplan des Projekts am ehemaligen Funkwerk stützen. Dort sollen rund 700 Wohnungen entstehen, die Untersuchung sind aber bereits einige Jahre alt.
Bezirksverordnete fordern neue Verkehrsgutachten
Doering appelliert an ein Verkehrskonzept, das umfassender ist. Bislang habe man Untersuchungen zur Infrastruktur lediglich in Vorbereitung von Bebauungsplänen angestellt. „Neben dem Wohnungsbau müssen wir endlich mal zur Stadtentwicklung kommen“, sagt Doering. So werde auf die Verteilung von Arztpraxen und Kitas bei der Genehmigung der Bebauungspläne nicht genügend geachtet.
Die Bezirksverordnetenversammlung hat schon mehrfach für derartige Untersuchungen gestimmt. In einem Beschluss von Januar forderte sie ein Verkehrsgutachten und in einem Beschluss von März eine Verkehrskonferenz für den gesamten Südosten. Noch gibt es von der Senatsverwaltung für Umwelt, Klimaschutz und Verkehr darauf keine Antwort.
Hölmer spricht derweil über Wendenschloß von einer „unbestritten große Herausforderung“, die er mit einer Stärkung des Umweltverbundes, also ÖPNV und Radverkehr, angehen will. Wenn im Oktober die Arbeiten beendet sind, fährt die Straßenbahnlinie 62 wieder im 10-Minuten-Takt die Wendenschloßstraße entlang. Ob sie das auch tut, wenn die Straße in Zukunft durch noch mehr Autos blockiert sein wird, ist fraglich. Auch eine Direktverbindung von Wendenschloß zum S-Bahnhof Spindlersfeld gibt es nicht. Und zwischen S-Bahnhof Spindlersfeld und S-Bahnhof Köpenick fährt die Linie 63 nur alle 20 Minuten.
Die BVG erklärte gegenüber der Berliner Morgenpost, dass sie die Straßenbahnlinie 62 mit größeren Zügen ausstatten will, sollten tatsächlich mehr Fahrgäste registriert werden. Die aktuell 30 Meter langen Züge könnten dann um zehn Meter wachsen. So würde der Platz um ein Drittel erhöht. „Einen konkreten Termin können wir dafür aber noch nicht nennen“, sagte ein Sprecher. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Verkehrslage in Wendenschloß weiter entwickelt. Bis dahin stehen die Anwohnenden wohl im Stau.