Berlin

Grüne: Bettina Jarasch will für Enteignungen stimmen

| Lesedauer: 6 Minuten
Joachim Fahrun
Bettina Jarasch im März im Abgeordnetenhaus (Archivbild).

Bettina Jarasch im März im Abgeordnetenhaus (Archivbild).

Foto: Jörg Carstensen / dpa

Bei einem Wahlsieg soll der Mietenschutzschirm dafür sorgen, dass die Hälfte der Wohnungen gemeinwohlorientiert bewirtschaftet wird.

Berlin. Bettina Jarasch wird beim Volksentscheid parallel zu den Wahlen am 26. September für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen stimmen. Zwar beteuerte die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, die Vergesellschaftung von Wohnungen sei nur die „Ultima Ratio“. Aber der Druck werde benötigt, um die Wohnungswirtschaft zu einem Umdenken zu bringen. Der Berliner Wohnungsmarkt sei weiter „extrem angespannt“, sagte Jarasch, „die Berlinerinnen und Berliner erwarten Lösungen“.

Konkret sollen sich Vermieter freiwillig unter das Regime eines „Mietenschutzschirmes“ stellen und nicht mehr die größtmöglichen Renditen anstreben, so das Konzept der Grünen, dessen Eckpunkte Jarasch gemeinsam mit der Mietenexpertin Katrin Schmidberger und Tempelhof-Schönebergs Baustadtrat Jörn Oltmann präsentierte. Im Gegenzug stellen die Grünen mehr Fördermittel, verbilligte Zinsen und besseren Zugang zu landeseigenen Baugrundstücken in Aussicht.

Das Ziel sei, wie in Wien 50 Prozent des Wohnungsbestandes gemeinwohlorientiert zu bewirtschaften, um so echten Einfluss auf die Entwicklung des gesamten Wohnungsmarktes zu haben, sagte Jarasch. Die wohnungs- und mietenpolitische Sprecherin Schmidberger sagte, der Volksentscheid sei „Rückenwind dafür, dass wir auf Augenhöhe mit den Unternehmen agieren können“. Egal, wie die Abstimmung über „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ausgeht, die Grünen wollen ihr Konzept auf jeden Fall umsetzen und mit einer Regierenden Bürgermeisterin Jarasch sogleich in die Gespräche mit Wohnungswirtschaft und Mietervertretern über einen Mieterschutzschirm einsteigen, hieß es.

Mietenschutzschirm soll Chance bieten, ohne lange Schlachten vor Gericht auszukommen

„Wir wollen schneller Rechtssicherheit“, sagte Jarasch. Selbst wenn man darangehe, nach den Wahlen ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Wohnungen auszuarbeiten, werde das seine Zeit brauchen. Der Mietenschutzschirm biete „die Chance, ohne langjährige Schlachten vor Gericht auszukommen“, sagte die Spitzenkandidatin, deren Partei derzeit in den Umfragen in Berlin vorn liegt. Das harte Gegeneinander in der Stadt müsse aufhören. Werde aber das Angebot zur Kooperation nicht angenommen, werde es an die Vergesellschaftung gehen. „Aber solange die Wohnungswirtschaft auf eine Regierung hoffen darf, die ihr nichts abverlangt, wird sie nicht ernsthaft verhandeln“, sagte Jarasch mit Blick auf SPD und Union. Diese strebten zwar auch Runde Tische mit der Wohnungswirtschaft an, hätten aber dafür keine konkreten Ziele formuliert. Das reine „Bauen, Bauen, Bauen“ greife jedenfalls zu kurz, das Land müsse auch in die Mietensituation eingreifen.

Konkret sollen sich die Vermieter verpflichten, für fünf Jahre die Mieten nicht zu erhöhen. Ausnahme soll ein Inflationsausgleich bei niedrigem Mietniveau sein. Bei Wiedervermietung soll jede zweite frei werdende Wohnung an Menschen mit Wohnberechtigungsschein gehen. Energetische Sanierung soll nur noch bis zu einer Summe von 1,50 Euro pro Quadratmeter auf die Miete umgelegt werden. Und insgesamt soll niemand mehr als 30 Prozent seines Nettoeinkommens für Miete ausgeben müssen. Fehlende Summen sollen aus einem Härtefallfonds kommen, an dem sich das Land zur Hälfte beteiligt. Die Unternehmen sollen Leerstand transparent machen und Wohnungstausch untereinander ermöglichen. Für drei Jahre sollen sie keine Dividenden ausschütten, sondern das Geld für Investitionen verwenden.

Land garantiert Rechtsfrieden, Zugriff auf Grundstücke und mehr Fördermittel

Im Gegenzug, so die Grünen, garantiere das Land Rechtsfrieden, sage zu, Baugrundstücke bevorzugt an Teilnehmer des Mietenschutzschirms zu vergeben, die Erbbauzinsen zu senken, vergünstigte Bürgschaften zu gewähren und insgesamt die Förderung zu erhöhen, vor allem für die energetische Sanierung und für Neubau im mittleren Preissegment.

Baustadtrat Oltmann sagte, wer sich an dem Schutzschirm beteilige, müsse sich auch zum Mietspiegel bekennen. Er räumte aber ein, dass die Anreize etwa für Genossenschaften angepasst werden müssten. Normalerweise seien mit Subventionen für Neubau oder Sanierung Belegungsrechte verbunden, die die Stadt für sozial schwache Mieter nutze. Das sei aber für Genossenschaften nicht tauglich, weil sie für ihre Mitglieder Wohnraum schaffen müssten. Die Stadt soll aber mehr Geld für Wohnungsbau und Sanierungen bereitstellen, findet Oltmann: „Wir müssen mit verstärkten Zuschüssen arbeiten. Wir haben in Berlin eine viel zu niedrige Sanierungsrate.“

Über Einzelheiten des Vertrages wollen die Grünen noch verhandeln

Die Grünen beteuerten, dass ihr Konzept noch nicht fertig sei. Über die Einzelheiten solle noch verhandelt werden, sagte Jarasch: „Wir legen keinen Vertrag vor und sagen: Friss oder stirb.“ Aus Sicht der Grünen sind sie die einzigen, die eine Möglichkeit aufzeigen, wie das Ziel eines mehrheitlich gemeinwohlorientierten Wohnungsmarktes erreicht werden kann. „Viele andere Wege sehe ich nicht“, so die Spitzenkandidatin.

Vertreter der Wohnungswirtschaft reagierten skeptisch. Positiv sei, dass es ein Gesprächsangebot gebe, sagte ein Sprecher des regionalen Branchenverbandes BBU. Viele Vorschläge seien aber rechtlich fragwürdig. Auch die Forderung nach einem Mietmoratorium sei schwierig. Schließlich explodierten die Baukosten, und auch die Mitarbeiter wollten mal eine Gehaltserhöhung. Als Gegenleistung sei die vage Aussicht auf neue Förderprogramme zu wenig.

Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, sagte, der Mietenschutzschirm gehe an zwei Punkten über den konkreten Volksentscheid hinaus: Das Konzept gilt für alle Anbieter, egal, wie viele Wohnungen bewirtschaftet werden, und es beinhaltet konkrete Mietrechts- und Belegungsvereinbarungen. Allerdings basiere es – weil die Teilnahme der Immobilieneigentümer freiwillig ist – auf einer Art Tauschgeschäft. Für das Zugeständnis weitergehender Mieterschutzregelungen erhielten Immobilieneigentümer ergänzende Fördermittel des Landes Berlin und privilegierten Zugang zu Grund und Boden aus Landesbesitz. Ob dieses Modell aufgrund der niedrigen Kapitalmarktzinsen überhaupt erfolgreich werden kann, sei fraglich. Hinzu kämen diverse Umsetzungsprobleme.