Berlin liegt im Dämmerschlaf des Lockdowns, so könnte man meinen. Aber stimmt das? Nicht so ganz. Denn da sind ja die Menschen, die auf die einsamen Museumsschätze aufpassen, die einen Universitätsbetrieb mit zigtausenden Studenten im Home Office am Laufen halten – und die all die Lieblings- und Sehnsuchtsorte für den Moment am Leben erhalten, auf den wir uns alle freuen: Wenn das Publikum und die Besucher wiederkommen dürfen.
Allein im Deutschen Theater
Manchmal, sagt Ulrich Khuon, sei es sogar schön, ganz allein im seinem Haus zu sein – dem Deutschen Theater, das er seit 2009 als Intendant führt. „Es ist, als wenn man mit seinem Instrument allein ist, es hat etwas Meditatives.“ Denn auch wenn der Theaterbetrieb seit Mitte Dezember ruht und die Kollegen nicht arbeiten können – Khuon ist da. Theater sind an sich Orte der Begegnung und der Berührung. Im Lockdown bekommt das nun plötzlich ganz andere Bedeutung. Wie kann Theater die Menschen berühren, wenn sie nicht hineindürfen? Auf der Probebühne des Deutschen Theaters wartet die Kulisse des „Steppenwolf“, Khuon steht einen Moment zwischen Campingstühlen, einem Auto, einem Klavier und allerlei Dingen, es sieht aus, als seien die Darsteller nur kurz Kaffee holen.
Vielleicht können sie im Februar wenigstens dieses Stück weiter proben, hofft er. Fürs Publikum bleibt derzeit nur das Internet. Theater zum Streamen sei ein Experiment gewesen, sagt der Intendant, aber mit immerhin positiven Ergebnissen. Zum einen sei es schön zu sehen, wie viele Theaterfreunde bereit seien, sich Aufführungen online anzuschauen und auch dafür zu bezahlen. Denn beim DT sind wie beim echten Theaterbesuch die meisten Streaming-Angebote nur zu bestimmten Uhrzeiten abrufbar und nur gegen Kauf eines Tickets.
„Vor allem aber bekommen wir unglaublich viel Zuspruch“, sagt Khuon. Wenn das Virus etwas Positives bewirkt habe, dann diese große Solidarität – seitens des Publikums, aber auch unter Kollegen. Trotzdem sei die Situation insgesamt bedrückend und schwierig. „Weil sich nichts auflöst“, wie der Intendant es ausdrückt. Corona ist kein Theaterstück, das, wie auch immer, irgendwann endet.
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Das Bad, das nie schläft
Die Walrösser spucken immer Wasser, egal, ob jemand da ist oder nicht. Laut rauschend fließt es ins türkisfarben schimmernde Schwimmbecken des Stadtbads Neukölln. 1914 eröffnet, erinnert der Badetempel mit seinen Säulen und Fresken an eine römische Basilika. Schon damals war man sich des Kon-trasts zur rauen Umgebung bewusst – die damals noch selbstständige Stadt Neukölln warb mit der Edel-Badeanstalt um solvente Neubürger.
Heute gehört sie zu den Berliner Bäderbetrieben. In der unberührten Wasseroberfläche spiegelt sich die prächtige Architektur – seit Mitte Dezember wird nicht mehr geschwommen. „Aber das Schwimmbad schläft nie“, sagt Olivia Müller. Sie ist stellvertretende Leiterin des Stadtbads Neukölln, das im Sommer frisch überholt wieder eröffnet hatte. Neue Wandfarben, neues Licht, Olivia Müller deutet nach oben, „alles in Absprache mit dem Denkmalschutz“.
Am Vormittag würde sie im Normalfall kreischende Schulklassen durchs Schwimmbad dirigieren, die anderen würden später zum Schwimmen und Saunen kommen. Mit dem Hygienekonzept durften im Sommer nur noch wenige Gäste kommen, Plakate im Foyer erklären die Regeln. Jetzt, da das Bad geschlossen ist, nutzen sie die Zeit für anderes. Instandhaltung, Reparaturen, Reinigung, sagt Olivia Müller. Ganz ungenutzt bleibt das schöne Gebäude nicht.
Es dient schon lange als Film- und Fotokulisse, sogar Tom Cruise und Heidi Klum waren schon da. Während in anderen Zeiten die Badegäste Vorrang vor den Medien haben, kann nun ungehindert gedreht und fotografiert werden. Die Hoffnung ist dennoch, dass der Schwimmbetrieb bald wieder startet. „Schwimmen zu lernen ist für Kinder lebenswichtig und außerdem gut fürs Selbstbewusstsein“.
Wo sind die roten Doppeldecker?
Die Tristesse in Berlins Innenstadt liegt nicht nur am Winter und den geschlossenen Läden. Es fehlt die Farbe – die bunten Sightseeing-Doppeldecker. Normalerweise schieben sie sich durch die Stadt wie eine Herde bunter Tiere. Und wo sind sie jetzt? Allein 35, alle im Knallrot des größten Anbieters Berlin City Tour, stehen in Tempelhof.
Heck an Heck stehen sie unter einem schützenden Dach und erinnern tatsächlich ein bisschen an Tiere. Fast erwartet man, dass gleicht einer schnauft. Aber nichts. „Unsere Busse sind seit dem 1. November abgemeldet“, sagt Geschäftsführer Axel Mißner. Der 43-Jährige führt für die niederländische Tourism Group International die Geschäfte der Berlin City Tour.
Und ist derzeit der einzige Mitarbeiter, der noch arbeitet. Rund 50 Kollegen sind in Kurzarbeit. In anderen Jahren fuhren bis zu 250.000 Touristen mit den roten Hop-on-hop-of-Bussen. Bis zur Pandemie waren sie täglich unterwegs. Mißner klingt dennoch nicht resigniert. Der Lockdown ist für ihn ohne Alternative. Statt sich zu ärgern, plant er für die Zeit danach.
Dass Berlin wieder so attraktiv sein wird wie vorher, steht für ihn außer Frage. Und die Busse? Zu Beginn des Winters haben sie ihnen einen Zusatz in die Tanks gefüllt, gegen Algen und Frost. Einmal im Monat, so Mißner, holt ein Mitarbeiter die Riesen aus dem Winterschlaf und fährt sie eine Runde über den Hof.
Nofretete schaut den Besuchern sehnsüchtig hinterher
Wenn es leer ist, fällt der Blick besonders schön durch die Fluchten und Gänge des Neuen Museums. Vorbei an Büsten, Fresken, Amphoren und Schätzen der Vor- und Frühzeit, von denen jeder seine eigene Geschichte erzählt. In früheren Zeiten sei die Stille abends manchmal auch schön gewesen, „wenn die letzten Besucher gegangen waren und man noch einmal entspannt durch die Ausstellung lief“, sagt Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung im Neuen Museum.
Doch erst durch die Besucher erwachen die Museumswelten ja wirklich zum Leben. Bis zu 3000 sind es an guten Tagen. Derzeit sind nur die Sicherheitsleute, Restauratoren, Techniker im Haus – und die Direktorin selbst. Eigentlich hatte sie im Januar in Ägypten bei einer Ausgrabung sein wollen. So nutzte sie die Zeit für Kontrollen und Reparaturen. Im Dämmerschlaf des Lockdowns fühlt sich die Leere bedrückend an. „Es schmerzt, auch wenn ich die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen absolut sehe“, sagt Seyfried.
Auch Aufsichtsleiter Mathias Menzel vermisst die Besucher, von denen die allermeisten interessiert, beglückt oder auch versunken durch die Ausstellung gingen, wie er sagt. Zuständig ist Menzel auch für Berlins berühmteste Schönheit – die Nofretete im Kuppelsaal des Ägyptischen Museums. Die Büste der ägyptischen Königsgemahlin steht sanft angestrahlt hinter Glas.
Bisher war dies der Raum, an dem die Besucher regelmäßig Schlange standen und die Wachleute auch mal darauf hinweisen mussten, dass hier keine Selfies erlaubt sind und auch kein Gedrängel in Gruppen. Jetzt hat man fast das Gefühl, Nofretete schaue den wenigen Menschen, die vorbeikommen, sehnsüchtig hinterher.
Abwarten im ewigen Eis
Das ewige Eis von Berlin wartet an der Spandauer Straße unweit vom Alexanderplatz. Egal, welches Wetter draußen herrscht, in der Berlin Ice Bar kann man einmal so richtig frieren und dabei gedanklich bis zum Nordpol reisen – theoretisch. Denn die Bar, als Touristenattraktion nach komplettem Umbau und Besitzerwechsel am 1. Oktober gerade eröffnet, musste schon vier Wochen später wegen der Berliner Corona-Auflagen wieder schließen.
Künstler hatten den Sommer über aus 45 Tonnen Eis in Blöcken eine eiskalte Welt erschaffen, die mit Eisbären, bärtigen Schiffsleuten und einer Büste von Kaiser Wilhelm I. an die deutschen Nordpolexpeditionen im 19. Jahrhundert erinnern. Damals geriet ein Schiff zwischen treibende Eisblöcke, die Besatzung trieb auf einer Eisscholle bis nach Grönland und wurde nach der Rettung gefeiert.In der Bar nimmt „Kapitänin“ Gemma Gisbert Arbiol (29) die Gäste mit auf die Expedition.
Sie ist die Supervisorin der Bar – eigentlich, denn derzeit ist sie in Kurzarbeit wie ihre Kollegen. „Im ersten Raum gibt es eine Einführung zur Geschichte, dann geht es mit Ausrüstung an Bord“, sie zeigt auf wärmende Capes und Handschuhe. In der Eiskammer der Bar herrschen minus zehn Grad. Auch Wände und Bar bestehen aus bearbeitetem Eis.
Manche Blöcke sind klar wie Wasser und blank poliert, andere marmoriert oder weiß. Frühling oder gar Klimawandel sollte es hier besser nicht geben. Zweimal die Woche schauen sie deswegen nach, ob die Kühlung noch läuft. Gemma Gisbert Arbiol, die aus Katalonien stammt, nutzt die Zeit für Deutschkurse. Das Buch, das sie liest, ist auf Englisch. Sprachen sind die beste Voraussetzung für eine Karriere im Tourismus. Dass der wieder anläuft, davon sind sie in der Ice Bar überzeugt.
Hinter geschlossenen Uni-Türen
Eine Universität kann man nicht einfach „herunterfahren“ wie eine Maschine. Rund 6000 Menschen sind an der Humboldt-Universität, Berlins ältester Uni, beschäftigt. Einige hundert sorgen auch jetzt in den rund 300 Uni-Gebäuden dafür, dass das wissenschaftliche Leben weitergeht, dass die Gebäude instand gehalten werden und die Verwaltung läuft. Alles unter strenger Einhaltung der Corona-Regeln.
Trotz Lockdown wird ja digital weiter gelehrt und gelernt. Die HU hat mehr als 36.000 Studierende. „Manches lässt sich aber eben nur vor Ort erledigen“, sagt Universitätspräsidentin Sabine Kunst. Auch sie selbst ist täglich in ihrem Büro. „Ich arbeite momentan ganz allein, bei weit geöffneten Fenstern. Aber ich finde es wichtig, für die Kolleginnen und Kollegen da zu sein.“ Was allen fehle, sei die Universität als sozialer Ort. Für Seminare und Übungen sei der persönliche Austausch wichtig, sagt Kunst, „auch der Schnack auf dem Flur gehört dazu, dabei entstehen ja viele Ideen.“
Wenn sie aus dieser Zeit etwas mit in die Zukunft nehmen werde, dann die Erfahrung, dass sich zum Beispiel große Vorlesungen auch digital abhalten lassen, „aber dass wir andererseits darin investieren sollten, die Lehre künftig in kleineren Gruppen möglich zu machen, damit wir wieder das sein können, was wir sind: eine Präsenzuniversität.“
Nur ein leises Gluckern
Es dauert einen Moment, bis man bemerkt, dass die Stille auch hier ein Geräusch hat. Ein leises Gluckern liegt wie ein Klangteppich über der balinesischen Wellness-Landschaft aus den Holzpavillons, umlaufenden Balkonen, Pools, Saunen und Liegelandschaften. Das Vabali ist Berlins wahrscheinlich schönste Wellness- und Saunawelt – und seit Anfang November für Besucher geschlossen.
Eigentlich wäre hier jetzt, im Winter, Hauptsaison. „Jetzt nutzen wir die Schließzeit für Reparaturen, Verbesserungen und neue Ideen wie einen weiteren Liegebereich, um größere Distanzen zu gewährleisten“, sagt Kristin Thorogood, die für das Marketing des Spa zuständig ist. Auch wenn niemand weiß, wie lange der Lockdown noch andauert: Pools und Warmwasserbecken sind gefüllt und beheizt, daher das Gluckern.
Im Außenpool kriecht ein Reinigungsroboter am türkisfarbenen Beckenboden entlang wie ein kleines Reptil. Pumpen und Anlagen müssen weiter betrieben werden, auch die Saunen würden regelmäßig geheizt, sagt Kristin Thorogood. Sie wollen vorbereitet sein, sobald es wieder losgeht. Einen Teil der Vorbereitung haben sie im Sommer schon erledigt: Das Vabali Spa hat ein ausführliches Hygienekonzept.
Es zeigt auch, wie sich behördliche „Maßnahmen“ in Ideen verwandeln lassen. Weil Sauna-Aufgüsse untersagt sind, gibt es nun Duft- und Räucherzeremonien mit Ölen, Kräutern, und sogar Baumharz zum Thema „Waldspaziergang“, außerdem „Klangreisen“, die akustisch nach Indonesien führen.
Das Virus weckt den Kreuzberger Kampfgeist
Wenn das „Putzlicht“ angeht, ist die Party vorbei – vielleicht wirkt das legendäre SO36 auch deshalb so verloren dieser Tage. Denn wenn überhaupt was passiert in Kreuzbergs legendärstem Club, dann bei hellem Licht. Handwerker bauen neue Toiletten ein. Ansonsten herrscht Stille und überraschend frische Luft, was daran liegt, dass auch eine Lüftungsanlage zu den Neuerungen gehört, mit denen sie die Zeit des Lockdowns überbrücken. Was Vermieter, lärmempfindliche Nachbarn, Polizei und die Konkurrenz nie schafften, erreichte das Virus: Kreuzbergs kämpferischster Musikclub war ab März plötzlich zu.
„Wir hatten schon einige Tage vor dem Lockdown alle Shows abgesagt, obwohl der März ausverkauft war. Es erschien uns nicht richtig, angesichts der Pandemie Veranstaltungen mit 500 Leuten zu machen“, sagt Pasqual, Sprecher des Trägervereins des SO36.In Kreuzberg kann sich ja auch Wut heftig entladen, doch was dem SO36 entgegen schlug, war eine Welle der Solidarität. Der Weinhändler nebenan legte mit den Toten Hosen eine SO36-Sonderedition auf, jemand nähte Masken für einen „Soli-Verkauf“, es gebe sogar Soli-Küchenhandtücher, sagt Pasqual.
Eine Spendenaktion verlief erfolgreich, „aber vor allem haben uns sehr viele Leute persönlich angesprochen. Diese Wertschätzung für das SO36 und unsere Arbeit hat uns echt umgehauen.“