Berlin. Es war eine dramatische Entscheidung in fast letzter Minute. Angesichts massiver Proteste von Eltern und Lehrkräften gegen die geplanten Schulöffnungen hat die Regierungskoalition aus SPD, Linken und Grünen am späten Freitagnachmittag entschieden, die Pläne für den Schulstart ab dem kommenden Monat noch einmal zu verändern.
Die SPD rückte vom Plan der eigenen Bildungssenatorin Sandra Scheeres ab, ab der kommenden Woche die Abschlussjahrgänge wieder zur Rückkehr in die Schulen zu verpflichten. Es solle zwar Präsenzunterricht für die Klassenstufen 10, 12 und 13 in verkleinerten Gruppen angeboten werden - wenn auch nur in halber Gruppenstärke. Die Schüler müssen aber nicht erscheinen. Zudem soll es eine digitale Notbetreuung geben, damit alle den Stoff schaffen können. Diesen Weg gehen Grüne und Linke mit. Es soll nun den Schulleitern und den Elternvertretern überlassen bleiben, ob die Jugendlichen in die Schulräume kommen oder weiter zu Hause unterrichtet werden sollen.
Die Grünen hatten schon seit Donnerstag gedrängt, nicht am 11. Januar als Starttermin festzuhalten. Auch die Linksfraktion war für eine längere Schließung der Schulen. Intern drängte die SPD
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Scheeres zu verschobenem Schulstart - "Die intensive Kritik kam erst am Freitag auf"
Bildungssenatorin Scheeres sagte am Abend der Morgenpost, man wolle noch am Sonnabend die Schulen per Brief über die neuen Regeln informieren und am Wochenende die entsprechende Verordnung formulieren. Ihr sei wichtig, dass die Schulen mit den Elternvertretungen besprechen, wie sie weiter mit dem Präsenzunterricht umgehen: "Die Schulen haben jetzt einen Puffer, um das zu besprechen", sagte die Senatorin.
Den Sinneswandel zum Schulstart begründete die Sozialdemokratin mit den vielen Einwänden. "Die intensive Kritik kam erst am Freitag auf. Es wäre schwierig, eine solche Kritik total zu ignorieren." Außerdem seien die Infektionszahlen in der Stadt gestiegen, die Mutation des Virus aus Großbritannien sei aufgetaucht. "Wir haben immer gesagt, dass wir auch nach dem Infektionszahlen entscheiden", so Scheeres.
CDU-Landeschef Kai Wegner warf der Senatorin dilletantisches Handeln vor. "Das war ein Scheitern mit Ansage. Kurz vor knapp zieht Rot-Rot-Grün die Notbremse. Aber der Schaden ist bereits angerichtet", sagte Wegner. Mit ihrem "eigensinnigen Vorpreschen" habe die SPD-Bildungssenatorin maximale Verunsicherung ausgelöst. Eltern, Schüler und Lehrer seien die Leidtragenden dieser unverantwortlichen Politik.
"Wenn der Senat die Entscheidung über den Präsenzunterricht von Abschlussklassen jetzt an die Schulen weiterreichen will, ist das die nächste rot-rot-grüne Fehlleistung. Damit stiehlt sich der Senat aus der Verantwortung." Die CDU wirbt dafür, die Schulen bis auf Weiteres geschlossen zu halten.
Corona und Schulen in Berlin: Weiteres Vorgehen soll am 19. Januar entschieden werden
Der Schulstart für die Grundschüler der Klassenstufen eins bis drei soll vom 18. Januar auf frühestens 25. Januar verschoben werden. Damit ist der am Mittwoch vorgestellte Rückkehrplan der Senatsbildungsverwaltung Makulatur. Ursprünglich sollten die Klassenstufen vier bis sechs ab 25. Januar wieder zum Hybridunterricht wechseln, also auch in die Schulen kommen. Für die übrigen Jahrgänge war der Start des Präsenzunterrichts nach den Winterferien am 8. Februar vorgesehen. Nun wolle man im Senat das weitere Vorgehen am 19. Januar je nach Infektionslage entscheiden, hieß es aus Senatskreisen.
In die Korrektur der Pläne war auch die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey als SPD-Landesvorsitzende involviert. „Bei allem richtigen Bemühen um Bildungsgerechtigkeit darf die Rückkehr zum Präsenzunterricht nicht vorschnell erfolgen“, sagte Giffey: „Wir müssen jetzt konsequent und verantwortungsvoll handeln und den Gesundheitsschutz an oberste Stelle setzen. Im Interesse der Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und des Personals müssen alle Möglichkeiten des digitalen Unterrichts ausgeschöpft werden.“ SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte, man habe wegen der schlechten Nachrichten aus England über die steigenden Infektionszahlen bei Schülern in Folge der Virus-Mutation umgesteuert.
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Lehrkräfte schalten Arbeitsrechtsanwälte ein
Zuvor hatte die Debatte um den richtigen Umgang mit den Schulen in der Pandemie hohe Wellen geschlagen. Die offiziellen Gremien Landeschulbeirat, der Landesausschuss des pädagogischen Personals, der Landeschülerausschuss und die Vertreter der Berufsbildenden Schulen unterstützten am Nachmittag mit einer gemeinsamen Erklärung den Weg der Senatorin, die Schulen schon ab 11. Januar vorsichtig zu öffnen. Dieser Beschluss folge einer Abwägung, sagte Peter Heckel, Vorstandsmitglied des Landschulbeirats.
Einige angestellte Lehrkräfte lassen bereits Arbeitsrechts-Anwälte prüfen, ob sie am Montag zum Dienst in den Schulen erscheinen müssen, wie zwei Lehrer des Charlottenburger Schiller-Gymnasiums der Morgenpost sagten. Gerade für die älteren Schüler in den Abiturklassen sei eine Rückkehr nicht nötig, weil sie gut mit dem digitalen Lernen zurechtkämen, sagten die Pädagogen: „Wir verstehen nicht, warum sie als erste zurückkehren sollen.“
Zumal es praktisch nicht machbar sei, gleichzeitig Präsenzunterricht zu erteilen und der zweiten Hälfte der Gruppe und ihren jüngeren Klassen über die digitalen Kanäle etwas beizubringen. Erste Eltern sind vor Gericht gezogen. So hat die Mutter eines Neuköllner Gymnasiasten gegen die schnelle Rückkehr ihres Sohnes Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Lehrer verschicken Brandbriefe
Unter den Pädagogen sind derzeit aber fast nur Stimmen gegen die Wiederöffnung der Schulen zu hören. Zahlreiche Lehrerkollegin verschicken Brandbriefe, in dem sie sich gegen die Senatspläne wenden. 78 Lehrkräfte der Hans-Litten-Schule, einem Oberstufenzentrum in Charlottenburg, verweisen darauf, dass an ihrer Schule 2000 Schüler zurückkehren würden, ohne dass ausreichend Vorkehrungen getroffen seien. Das würde für Lehrkräfte 100 Kontakte täglich bedeuten. „Wir sehen in der Entscheidung, die Schulen zu öffnen, vor allem eines: eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.“
Auch das Kollegium des Ernst Abbé-Gymnasiums in Neukölln ist nicht bereit, seine Gesundheit zu riskieren. Es sei „nicht nachzuvollziehen, dass trotz der rigiden Kontaktbegrenzung auf eine einzige haushaltsfremde Person in den Schulen Unterricht mit bis zu 18 Personen in einem Raum – und das ist die Anzahl bei geteilten Gruppen! – stattfinden soll“, heißt es in diesem Brandbrief. Es sei klar, dass mit der erneuten Öffnung der Schulen versucht werde, die Grundlagen für gerichtsfeste Prüfungen und Schulabschlüsse zu gewährleisten. „Dabei liegt auf der Hand, dass nach den langen Monaten der Pandemie kein einziger Abschluss den regulären Standards entsprechen kann“, so die Pädagogen: „Der Versuch, dies trotzdem zu suggerieren, ist zum Scheitern verurteilt.“
Corona-Luftfilter frühestens ab Februar
Viele Lehrkräfte monieren auch die Hygienekonzepte der Schulen. „Das ist gar kein Plan“, sagten die Lehrer des Schiller-Gymnasiums. Schon im Herbst hätten die Kinder mit Decken und Wollmützen in den stets gelüfteten Räumen gesessen.
Mittes Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU) rechnet allerfrühestens im Februar mit der Auslieferung von Luftfiltern an die Schulen im Bezirk Mitte. „Hätte man früher mit der Beschaffung angefangen, wären wir schon weiter“, sagt der Bezirkspolitiker der Morgenpost. Das Bezirksamt hätte erst Ende des vergangenen Jahres das Vergabeverfahren für die Luftfilter starten können, da erst zu diesem Zeitpunkt das Geld zur Verfügung gestanden habe - rund 260.000 Euro. Spallek zufolge reiche das für rund 80 bis 140 Geräte für die 51 Schulen. „Ein flächendeckender Einsatz ist damit nicht möglich“, sagte er.