Coronavirus

Corona-Ampel: Amtsärzte kritisieren Gesundheitssenatorin

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Jens Anker
Dilek Kalayci (SPD), Gesundheitssenatorin von Berlin.

Dilek Kalayci (SPD), Gesundheitssenatorin von Berlin.

Foto: dpa

Die Berliner Amtsärzte fühlen sich vom Senat übergangen, schlecht informiert und lehnen die Corona-Ampel zur Bewertung der Lage ab.

Berlin. Die Berliner Amtsärzte haben sich in einem offenen Brief an den Senat gewandt und den Umgang mit der Corona-Krise scharf kritisiert. „Sämtliche Informationen werden vorab nicht kommuniziert, die Informationen zur Ampelstrategie erfahren wir aus der Presse, bei Fragen oder fachlichen Diskussionen werden die Amtsärzte nicht eingebunden“, heißt es in dem Schreiben der zwölf Amtsärzte.

Am Mittwoch hatten sie sich in einer Telefonkonferenz zusammengeschlossen und ihre Kritik formuliert. Der Senat schüre mit seinen einseitigen Entscheidungen Erwartungen, die die Amtsärzte nicht erfüllen könnten, weil ihnen Informationen vorenthalten werden, kritisieren die Mediziner.

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Unterstützung erhalten sie dabei von den Gesundheitsstadträten. „So können wir nicht vernünftig arbeiten“, sagte Neuköllns Gesundheitsstadtrat, Falko Liecke (CDU) am Mittwoch nach der Konferenz. „Wir kriegen die Beschlüsse vor den Latz geknallt und sollen sie dann umsetzen.“ Liecke hält die Idee des Senates, die Corona-Lage anhand einer Ampelregelung zu bewerten grundsätzlich für sinnvoll. Er hätte sich jedoch gewünscht, dass die Fachleute vor Ort in den Gesundheitsämtern vorher mit einbezogen worden wären. „Solche Dinge müssen mit den Gesundheitsämtern besprochen werden, die müssen sie ja am Ende umsetzen.“

Mediziner kritisieren Corona-Ampel als ungeeignet

Der Senat hatte am Dienstag eine vom Bund abweichende Regelung zur Bewertung der Corona-Lage beschlossen. Demnach soll sie künftig anhand der drei Indikatoren Neuinfektionen, Auslastung der Intensivstationen und der Reproduktionszahl erfolgen. Werden bei zwei der drei Indikatoren bestimmte Werte überschritten, will der Senat über neue Beschränkungen beraten.

Lesen Sie auch den Kommentar: Die Kritik der Berliner Amtsärzte ist überzogen

Während der Bund bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner einschreiten will und über neue Beschränkungen beraten will, soll das in Berlin ab 30 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner geschehen. Der Senat begründet seine Entscheidung damit, dass die Zahl 50 für eine 3,7-Millionen-Einwohner-Stadt wie Berlin zu hoch sei. Sie entspräche 1131 Neuinfektionen pro Woche – eine Zahl, die in Berlin bislang zu keinem Zeitpunkt erreicht wurde. Ein Einschreiten bei dieser Grenze würde demnach zu spät erfolgen.

Schon bei 20 Neu-Infektionen je 100.000 Einwohner soll die Ampel in Berlin auf gelb springen und so ein Warnsignal senden. Die Zahl entspricht nach Angaben der Gesundheitsverwaltung der Größenordnung, die erreicht war, als Berlin die Ausgangsbeschränkungen verschärfte. Das erscheint dem Senat deshalb als ein sinnvoller Grenzwert für die erste Warnstufe.

Der Senat will neben den Infektionszahlen auch die Reproduktionszahl als Bewertungskriterium berücksichtigen. Sie beschreibt, wie viele Menschen ein Corona-Infizierter ansteckt. Steigt der Wert über 1 steigt auch die Zahl der Infizierten, je höher der Wert liegt, desto schneller. Die Senatsampel sieht vor, dass ab einem Wert von 1,1 das erste Warnsignal erfolgt, die Ampel bei einem Wert von 1,3 auf Rot springt. Das würde einen derartig hohen Anstieg bedeuten, dass das Gesundheitssystem schnell an seine Grenzen stoßen würde.

Dass erst bei einem Wert von 1,1 eine erste Warnung erfolgt, liegt an den derzeit sehr geringen Infektionszahlen. Laut Robert-Koch-Institut, das die R-Zahl bundesweit ermittelt, steigt die Fehlerspanne an, je niedriger die Infektionszahlen verlaufen. So lag die R-Zahl in der vergangenen Woche an zwei Tagen in Folge über 1, was aber an einzelnen lokalen Infektionsausbrüchen lag und keine Rückschlüsse auf ein allgemeinen Anstieg zuließ. In Berlin liegt die R-Zahl nach Senatsangaben derzeit bei 0,79 - also im grünen Bereich. Als drittes Kriterium will der Senat die Belegung der Intensivstationen berücksichtigen. Bei einer Auslastung von 25 Prozent soll die Ampel auf Rot springen.

Amtsärzte halten Bewertungssystem des Senats nicht für angemessen

Die Amtsärzte halten ein Bewertungssystem, das allein auf bestimmten Grenzwerten basiert, für nicht angemessen. Vielmehr müsste die Lage anhand der konkreten Ausbruchssituation bewertet werden. „Wir Amtsärzte und Amtsärztinnen setzen wir auf möglichst evidenzbasierte Entscheidungen und wissenschaftliche Empfehlungen wie beispielsweise aus dem RKI und medizinischer Fachgesellschaften“, schreiben sie in ihrem Brief. „Auf dieser Grundlage arbeiten die Gesundheitsämter erfolgreich.“ So zeige die Kontaktpersonennachverfolgung der Gesundheitsämter ihre Wirkung, ebenso die gezielte Abstrich-Strategie basierend auf den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts. „Eine ungezielte Testung ohne medizinische Indikation lehnen wir ab.“ zuvor hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) angekündigt, die Tests deutlich ausweiten zu wollen. Nach welchen Kriterien das erfolgen soll, ist aber unklar.

Das sieht auch der Gesundheitsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner (CDU) so. „Wenn es im Bezirk beispielsweise in einem Pflegeheim einen Corona-Ausbruch gibt, dann springt die Ampel sofort auf dunkelrot“, sagte Lieke. Nach den Senatsplänen müsste dann über neue Einschränkungen für ganz Berlin beraten werden. Tatsächlich würde das Gesundheitsamt betroffene Patienten sofort isolieren und medizinisch betreuen. Eine neuerliche Verschärfung der Ausgangsregelungen für Berlin wäre nicht notwendig.

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