„Der Grundstein der Gleichstellung muss bereits in der Grundschule gelegt werden“
Dorothee Bär (CSU) ist seit 2018 Staatsministerin und Digitalisierungsbeauftragte der Bundesregierung. Die 41-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie berichtet auch auf Instagram und Twitter über ihre Arbeit.
Brauchen wir den Frauentag? „Eine Studie des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2018 zeigt, dass mit der jetzigen Geschwindigkeit echte Gleichberechtigung am Arbeitsplatz weltweit erst in 200 Jahren möglich ist. Natürlich reicht ein Tag nicht aus, aber er hilft, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir uns vieler Frauenthemen annehmen müssen. Dazu gehören etwa Pflegearbeit, Vereinbarkeit von Familie und Karriere und gleiche Bezahlung. Ja, wir brauchen den Frauentag, aber einer alleine reicht nicht aus.“
Das wichtigste Frauenthema? „Es beschäftigt einen natürlich immer je nach eigener Lebenssituation. Als ich selber Schülerin und Studentin war, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich in irgendeiner Weise den Jungs gegenüber benachteiligt war. Im Berufsleben merkt man an der einen oder anderen Stelle aber schon mal, dass man an bestimmte Grenzen stößt. Und spätestens, wenn es um die Familiengründung geht, stellt sich die Frage nach Aufteilung und Pflegearbeit, sowohl bei den eigenen Kindern, als auch bei den Eltern. Das ist dann meistens Aufgabe der Frauen.
Politisch treibt mich momentan am meisten das Thema Digitalisierung um. Da bin ich der Überzeugung, dass die Digitalisierung den Frauen neue Chancen eröffnet. Bei Themen wie Homeoffice – Frauen nutzen diese Möglichkeit aus Angst, stigmatisiert zu werden, deutlich weniger – und in technischen Berufen sind Frauen wahnsinnig unterrepräsentiert. Mir ist es ein besonderes Anliegen, die Situation für Frauen in diesen Bereichen zu verbessern und ihnen dadurch das Thema Digitalisierung durch praktische Erfahrungen näher zu bringen. Wichtig ist es auch, ein Auge darauf zu haben, was mangelnde Frauenrepräsentanz in digitalen Themen für Auswirkungen haben kann. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Wenn selbstlernende Algorithmen nur mit diskriminierendem Lernmaterial gefüttert werden, setzt sich die Diskriminierung fort. Somit können selbstlernende Algorithmen Geschlechterungerechtigkeiten reproduzieren. Es ist – nicht nur deshalb – notwendig, dass vermehrt Frauen in Tech-Berufe gehen.“
Kann Digitalisierung Gleichstellung fördern? „Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus dem Bereich digitale Bildung: Kinder vor und im Grundschulalter lernen unabhängig von geschlechterspezifischen Präferenzen. Daher plädiere ich dafür, bereits in der Grundschule das Programmieren als Unterrichtsfach einzuführen, sodass insbesondere auch Mädchen Zugang zu diesen digitalen Themen bekommen und damit Begeisterung finden für technische Studiengänge und technische Berufe. Der Grundstein, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu etablieren, muss bereits in der Grundschule gelegt werden.“
Sind Sie Feministin? „Erfahrungsfeministin.“
„In manchen Branchen müssen Frauen noch immer kämpfen“
Luka Clayburn (27), Hotelfachfrau und Management Trainee im Hotel Waldorf Astoria, machte den Handstand für unser Titelbild – eine Fotoaktion zum Frauentag des Hotels.
„Der Frauentag wurde vor dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen, er sollte Aufmerksamkeit für die Gleichberechtigung für Frauen wecken, es ging um das Wahlrecht. Auch wenn wir seitdem viele Schritte in die richtige Richtung gegangen sind, gibt es leider noch immer Länder und Branchen, in denen Frauen für ihre Egalität kämpfen müssen. Deshalb ist es wichtig und symbolisch richtig, den 8. März als Feiertag anzusehen und weiter Aufmerksamkeit zu schaffen. In der Company Hilton ist es Ziel, die Frauenquote in der Führungsebene zu stärken. Das Unternehmen hat dafür Maßnahmen und Möglichkeiten geschaffen, auch, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Im Waldorf Astoria ist der Anteil an Frauen und Männern in Managementpositionen ausgeglichen. Das sollte als Vorbild für andere Global Player angesehen werden.“
„Für mich ist das ganze Jahr der 8. März“
Maja Bogojević (24) ist Sozialwissenschaftlerin, politische Aktivistin und Feministin. Auf Instagram spricht sie unter anderem über intersektionalen Feminismus, ihr folgen rund 10.000 Abonnenten.
„Der Frauentag ist wichtig, um Kämpfe zu vereinen. Feminismus muss intersektional gedacht werden: Neben Geschlecht spielen noch andere Diskriminierungsformen eine Rolle. Dazu gehören zum Beispiel die soziale Herkunft oder Sexualität. Diese verschiedenen Diskriminierungen können gleichzeitig passieren und sich gegenseitig verstärken. Das zeigt: Wir müssen genauer hinschauen.
Social Media ist dafür eine wichtige Plattform. Hier können sich Menschen miteinander vernetzten und ihre Erfahrungen teilen. Im öffentlichen Diskurs ist das aber leider oft nicht sichtbar. Wir müssen mehr Debatten führen und uns auch an die unangenehmen Themen trauen. Dafür reicht ein Tag nicht aus. Für mich ist das ganze Jahr der 8. März.“
„Alles, was wir erreicht haben, ist nicht vom Himmel gefallen“
Gollaleh Ahmadi (37) ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung und setzt sich seit Langem für Frauen, auch in ihrer Partei, ein.
„Ich komme aus einem feministischen Elternhaus, meine Mutter war Frauenrechtlerin, mein Vater Gewerkschafter. Bis zu meinem 14. Lebensjahr habe ich im Iran gelebt, da war es sehr wichtig, für Chancengleichheit zu kämpfen. Das ging hier weiter. Früher haben wir den Frauentag immer gefeiert, inzwischen bin ich meistens auf Demonstrationen. Der Frauentag ist heute noch wichtig, weil wir wenigstens einen Tag brauchen, um daran zu erinnern, dass alles, was wir erreicht haben, nicht vom Himmel gefallen ist. Es war ein harter Kampf, und es gibt immer noch viel zu tun. Im Alltag oder im politischen Leben, überall sehe ich noch Nachholbedarf. Wichtig ist für mich die Selbstbestimmung für Frauen. Die Paragrafen 218 und 219a zu Schwangerschaftsabbrüchen müssen ersatzlos gestrichen werden.“
„Die Klimakrise ist auch ein feministischer Kampf“
Clara Mayer ist Klimaaktivistin und seit 2019 bei „Fridays for Future“. Ihre Rede bei der VW-Aktionärsvollversammlung schlug im vergangenen Jahr große Wellen. Dieses Jahr ist sie Mitorganisatorin des „Frauen*kampftages“ in Berlin.
„Das erste Mal habe ich den ‘Frauen*kampftag’ mit sechs Jahren bemerkt, als ich mit meiner Mutter unterwegs war und ganz viele Menschen in lila T-Shirts sah. Dieses Jahr bin ich Mitorganisatorin. Wir planen gemeinsam mit ‘Fridays for Future’ einen Klimablock, denn: Die Klimakrise ist die größte Sozialkrise, die es gibt. Deshalb ist sie auch ein feministischer Kampf. Am meisten betroffen sind die Menschen, die am stärksten diskriminiert werden und am wenigsten Bewegungsfreiheit haben. Global gedacht sind das vor allem Frauen, sie werden zum Teil immens ausgebeutet. Aber auch in Deutschland werden Frauen strukturell benachteiligt: Sie leisten die meiste Fürsorgearbeit, sind in weniger Führungspositionen und in schlechter bezahlten Jobs. Wir müssen uns mit allen Frauen dieser Welt solidarisieren und ihnen aktiv das Recht geben, mitzugestalten. Am 8. März müssen wir zeigen: Wir sind hier, und wir kämpfen.“
„Es geht um strukturellen Hass auf Frauen“
Annemie Vanackere, seit 2012 Intendantin und Geschäftsführerin des Theaters HAU Hebbel am Ufer:
„Den Weltfrauentag brauchen wir heute mehr als je zuvor. Allein in Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das sind keine Beziehungsdramen oder Verbrechen aus Leidenschaft – es ist ein struktureller Hass auf Frauen. Solange noch immer Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, müssen wir dagegen angehen.
Auch in meinem persönlichen Umfeld ist noch nicht alles erreicht. Wir stehen hier im Theater HAU Hebbel am Ufer, ich leite das Haus. Allerdings bin ich eine von ganz wenigen Intendantinnen gegenüber einer großen Mehrheit männlicher Theaterleiter. Um daran etwas zu ändern, sollten wir bewusst mehr Künstlerinnen und Autorinnen auf die Bühnen bringen. Und wenn wir uns für Frauenrechte einsetzen, müssen wir auch intersektional denken: Es geht immer auch um die Ausgrenzung anderer Gruppen, etwa von Menschen mit Migrationshintergrund oder People of Color. Leider wird das Thema Frauenrechte oft benutzt und vorgeschoben, um beispielsweise gegen Migranten oder Geflüchtete Politik zu machen. Dabei wird ignoriert, wie groß Probleme wie häusliche Gewalt gegen Frauen in Deutschland sind. Ich finde es wichtig, dass wir am Frauentag auf diese strukturellen Probleme aufmerksam machen.“
„Sicherheit ist ein Grundstein für Teilhabe“
June Tomiak wurde 2016 als jüngste Abgeordnete für die Grünen ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Dort ist die heute 23-jährige Sprecherin für Jugend, Verfassungsschutz und Strategien gegen Rechtsextremismus.
„Mir liegt die Repräsentation von Frauen am Herzen: Im Berliner Abgeordnetenhaus machen Frauen nur einen Anteil von etwa 33 Prozent aus, von gleichberechtigter Teilhabe sind wir also auch politisch weit entfernt. Oft sind Personen, mit denen ich zu tun habe, erstaunt über mein Alter. Junge Frauen werden in der Innenpolitik nicht erwartet. Das Bild möchte ich zum Wanken bringen. Deswegen bestärke ich junge Menschen und gerade junge Frauen darin, sich politisch zu engagieren. Um gleichberechtigte Teilhabe zu erreichen, liegt aber noch eine Menge Arbeit vor uns.
In der Innenpolitik beschäftigt uns unter anderem die geschlechtsspezifische Gewalt. Sicherheit ist ein Grundstein für die Teilhabe am öffentlichen Leben. Das fängt mit der Beleuchtung im öffentlichen Raum an, umfasst aber zum Beispiel auch die konsequente strafrechtliche Verfolgung von digitaler Gewalt wie Hatespeech, also Hassrede, oder Stalking.
Viele Frauen und insbesondere Politikerinnen die sich im Netz äußern, werden häufig Zielscheibe von digitaler Gewalt. Das macht etwas mit unserer Gesellschaft und auch damit, wer sich in der Politik aktiv einbringen kann.
Für mich ist der 8. März vor allem auch ein wichtiges Symbol: Damit erkennen wir die vielen bereits ausgetragenen Kämpfe an und rücken bestehende strukturelle Probleme in den Fokus.“
„Hure sollte kein Schimpfwort mehr sein“
Kann man Feministin und Prostituierte zugleich sein? Selbstverständlich, sagt Salomé Balthus (34). Sie schreibt und bloggt über ihre selbstbestimmte Arbeit als „Hetäre“ in Berlin.
„Die weibliche Sexualität darf nicht mehr von anderen kontrolliert werden als von jeder Frau selbst – nicht von Staat, Religion, oder gar dem Menschen, den wir lieben. Frauen, die das Monopol auf ihre eigene Sexualität beanspruchen – ob nun gegen Geld oder nur zu ihrem Vergnügen – werden seit Jahrtausenden unterdrückt durch das Stigma, eine Hure zu sein. Bis zu dem Tag, an dem das Wort ,Hure’ kein Schimpfwort mehr ist, gibt es keine Gleichberechtigung der Geschlechter.“
„Als Frau werde ich im Beruf oft nicht wahrgenommen“
Theresa Brückner (33) ist Pfarrerin für Kirche im digitalen Raum im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg. Auf ihrem YouTube-Kanal spricht sie auch über den Sexismus, der ihr alltäglich begegnet. Auf Instagram hat sie mit „theresaliebt“ rund 13.000 Abonnenten.
„Als Frau werde ich oft nicht wahrgenommen in meinem Beruf als Pfarrerin. In der Regel wird er von älteren Männern ausgeübt, und in das Bild passe ich überhaupt nicht rein. Aus fundamentalistischen Kreisen habe ich auch schon gehört, dass ich im Pfarreramt als Frau nichts zu suchen hätte. In der Ausbildung wurde uns Frauen erzählt, wie wir uns zu kleiden und zu schminken hätten: möglichst dezent, kein Nagellack, kein Lippenstift. Das ist schlicht übergriffig und hat da nichts zu suchen. Auf der anderen Seite werde ich immer wieder auf mein Äußeres reduziert. Gleichstellung ist noch nicht erreicht, deshalb ist es so wichtig, am Weltfrauentag darauf aufmerksam zu machen.
Die Kirche braucht wie fast alle Institutionen und Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen. Dabei können auch die sozialen Medien helfen: Jeder und jede kann immer was sagen, das baut Hierarchien ab. Vor allem jüngere Frauen werden so gehört. Wichtig ist außerdem geschlechtergerechte Sprache – denn sie schafft Wirklichkeit. Meine Sprache im Gottesdienst hat sich entsprechend verändert. Ich verwende zum Beispiel nur noch ‘Gott’ und nicht mehr ‘Herr’, um kein Geschlecht vorzugeben. Gott ist nicht männlich, sondern geschlechtsneutral.“
„Glaube und Emanzipation sind keine Widersprüche“
Cordula Heckmann ist seit 2006 Schulleiterin des Campus Rütli in Neukölln. Die Lehrer der Schule hatten 2006 in einem Brandbrief Gewalt und gescheiterte Integration beklagt. Heute gilt der Campus Rütli als Vorzeigeschule: Er integriert Kitas, Schule, Jugendfreizeitheim, Gesundheitsdienst, eine Berufswerkstatt und Stadtteilzentrum.
„Ich habe ein sehr herausforderndes Projekt übernommen, als ich 2006 die Leitung des Campus Rütli in Neukölln übernahm. Da kamen auch Kommentare, ob es nicht besser sei, wenn ein Mann das macht. Das zeigt: Frauen müssen sich immer mehr beweisen als ihre männlichen Kollegen. Die haben erstmal einen Vertrauensbonus. Ein Blick auf die Zahlen verrät, dass die Bildungserfolge bei Mädchen in der Schule und im Studium größer sind. Erst mit dem Berufseinstieg kippt es. Das ist das Problem der gläsernen Decke: Qualifizierte Frauen kommen nur selten in Führungspositionen. Deshalb brauchen wir den Frauentag – um genauer hinzuschauen.
Mädchen müssen energischer und selbstbewusster werden. An meiner Schule haben wir zum Beispiel Mädchengruppen, die einen Raum haben, um ihre Themen zu besprechen und sie zu stärken. Ein Großteil der Schülerinnen am Rütli Campus ist muslimisch. Klar ist, dass Glaube und Emanzipation, Tradition und Karriere keine Widersprüche sind. Wichtig ist nur, Mädchen immer wieder zu ermutigen.“