Berlin. Es war ein politischer Auftrag: Berlins landeseigene Wohnungsgesellschaften kauften im vergangenen Jahr Zehntausende Wohnungen für Hunderte Millionen Euro, um den Berliner Mietenmarkt zu entspannen. Doch jetzt kommt heraus: Mehr als 7000 Wohnungen, die im Jahr 2019 in Landesbesitz gingen, sind mit Asbest belastet. Und offenbar wurden die Wohnungsbestände kaum auf Altlasten geprüft. Nun drohen zusätzlich Sanierungskosten in zweistelliger Millionenhöhe.
Von den mindestens 42.893 Wohnungen mit Asbestbelastung oder Asbestverdacht in Verwaltung oder Bestand der landeseigenen Wohnungsgesellschaften wurden allein 7094 im Jahr 2019 gekauft – die meisten davon in Spandau (3350), Reinickendorf (2350) und Tempelhof-Schöneberg (789). Das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf eine parlamentarische Anfrage des baupolitischen Sprechers der Grünen, Andreas Otto, hervor.
Kommentar: Berlin kauft Asbestwohnungen - Was für ein Fiasko!
Der baupolitische Sprecher der CDU, Christian Gräff zeigte sich empört. Die aktuellen Zahlen belegten, dass das Land Berlin auf die Käufe weder gut vorbereitet gewesen sei noch richtig durchgerechnet habe. Gräff: „Blind und schlecht kalkuliert“. Gerade in Bezug auf das neue Gewobag-Quartier in Spandau habe es im Vorfeld warnende Stimmen aus der Baubranche gegeben, die den Deal als „toxisch“ bezeichnet hätten. Die Mieter dort lebten in Wohnungen, die sich auch über die Asbestbauteile hinaus in schlechtem Grundzustand befänden, zahlten aber relativ hohe Mieten. „Wenn jetzt noch die Kosten für Asbestsanierungen hinzukommen, stellt sich die Frage: Wie sollen diese Kosten umgelegt werden?“, so Gräff.
Die Angaben der Senatsverwaltung betreffen die Gesellschaften Berlinovo, Degewo, Gewobag, WBM, Howoge, Stadt & Land sowie Gesobau, die allerdings keine Bestandszahlen vorlegte. In Neukölln liegen die meisten Asbestwohnungen (8168), berlinweit sind die größten Bestände daran bei der Gewobag (20.000) und der Degewo (16.045 mit Verdacht). In Spandau hat die Gewobag 7330, in Reinickendorf 4390 Asbestwohnungen. Das Unternehmen hatte im vergangenen Jahr in beiden Bezirken im großen Stil Unterkünfte gekauft. Für 5894 Wohn- und 70 Gewerbeeinheiten in Spandau und Reinickendorf zahlte man an einen privaten Verkäufer mit Sitz in Luxemburg 920 Millionen Euro.
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Geschäft sollte die Mieten in Berlin stabil halten
Die zwei Quartiere waren zwischen 1960 und 1990 im sozialen Wohnungsbau errichtet worden. Der Senat feierte 2019 seinen Kauf. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) sprach vom „größten Re-Kommunalisierungsankauf in der Geschichte Berlins“, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, der Kauf diene dem Ziel, die Mieten in Berlin stabil zu halten und Mietern Sicherheit zu geben.
Neben der Gewobag kauften 2019 auch Degewo (289) und WBM (255) Wohnungen mit Asbestbestand oder -verdacht. Ob beim Kauf bereits Kenntnis darüber bestand, dass die Objekte asbestbelastet sind, beantwortete eine Gewobag-Sprecherin am Donnerstag gegenüber der Berliner Morgenpost nicht eindeutig. Die Gebäude seien begangen und der technische Zustand beurteilt worden. „Wohnungsbesichtigungen waren in diesem Rahmen nicht möglich“, so die Sprecherin. Der finanzielle Aufwand für Sanierungen sei aufgrund der Baualtersklassen erfasst und berücksichtigt worden, als es um den Kaufpreis ging. Ein Degewo-Sprecher teilte mit: „Unsere Kollegen nehmen Ankaufobjekte immer sehr genau unter die Lupe und erhalten in aller Regel auch vom Veräußerer ausführliche Informationen zum baulichen Zustand.“
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In einer Reaktion auf die Senatsantworten kritisierte Grünen-Bauexperte Andreas Otto, dass die Verwaltung keine Zahlen zu jenen Wohnungen vorgelegt habe, die nicht landeseigenen Gesellschaften gehören. „Es ist ganz schlecht, dass der Senat nicht die Sicht auf die Lage in der gesamten Stadt hat.“ Ein „Lichtblick“, den die Antworten auf seine Anfrage liefern, seien die 3707 Objekte, die 2019 saniert wurden, so Otto.
Asbest ist eine Mineralfaser und kann Krebs auslösen. Die Gefahr besteht darin, dass Fasern in die Raumluft gelangen können. Vor allem in den 1950er- bis 1970er-Jahren wurde der Stoff vielfach verbaut – unter anderem als Dämmstoff. Das Herstellungs- und Verwendungsverbot gilt seit 1993.