Verkehr in Berlin

Berlin weitet Leihfahrradsystem auf die Außenbezirke aus

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Christian Latz
Mit dem Unternehmen Nextbike stieg der Senat vor vier Jahren in den Markt der Leihräder ein.

Mit dem Unternehmen Nextbike stieg der Senat vor vier Jahren in den Markt der Leihräder ein.

Foto: JÖRG KRAUTHÖFER

Der Senat will das Bike-Sharing-Angebot auf die Außenbezirke ausweiten. Dafür wird das System neu konzipiert.

Berlin. Ob Berliner oder Tourist: Wer zu Fuß in der Stadt unterwegs ist, kann bei Bedarf schnell auf ein Leihfahrrad zurückgreifen. Kurz mit dem Smartphone entsperren, schon sitzt man auf dem Rad – zumindest im Zentrum. Alle Berliner in den Außenbezirken hingegen gucken meist in die Röhre. Shared Mobility, also Leihangebote, um von A nach B zu kommen? Am Stadtrand Fehlanzeige. Dieses Problem will der Senat jetzt angehen. Das Leihfahrradsystem wird auf Druck der rot-rot-grünen Koalition gerade neu konzipiert und künftig auf die Außenbezirke ausgeweitet.

Die Entscheidung ist das Ergebnis der Haushaltsverhandlungen im vergangenen Dezember. Die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen forderten auf Vorschlag der Linken, das vom Land mit Millionen geförderte Leihradsystem von Nextbike bis an den Stadtrand zu erweitern. Da dies nicht einfach möglich ist, wie die von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) geführte Senatsverkehrsverwaltung urteilte, erteilten die Parlamentarier an Günthers Haus den Auftrag zur Neukonzeptionierung und Ausdehnung. Damit soll das ganze Leihfahrradsystem für die Zeit ab 2022 neu ausgeschrieben werden.

Leihfahrradsystem soll neu ausgeschrieben werden

Berlin hat 2016 einen Vertrag mit dem Anbieter Nextbike geschlossen. Bis 2021 erhält das Unternehmen vom Land 7,5 Millionen Euro. Nextbike errichtet dafür überall im Stadtzentrum Stationen und bestückt sie mit eigenen Leihrädern. Wer aus der Bahn kommt, so die Idee des Senats, soll sich darauf verlassen können, ab der Haltestelle mit dem Rad weiterfahren zu können.

Doch der Aufbau des mit Landesmitteln geförderten Leihradnetzes stockt massiv. Vorgesehen waren laut Vertrag 700 Stationen und 5500 Mieträder. Erst ein Bruchteil davon steht dreieinhalb Jahre später auf den Straßen. Derzeit seien rund 2200 Räder an 278 Stationen im Einsatz, teilte Nextbike-Sprecherin Mareike Rauchhaus auf Anfrage mit. Das Unternehmen ist gefangen in der Berliner Verwaltung. „Wir warten immer noch auf Genehmigungen aus vielen Bezirken“, so Rauchhaus.

2200 Räder an 278 Stationen in Berlin – zu wenig

Als Ausgleich darf auch Nextbike seine Räder nach dem Freefloating-Prinzip frei in der Stadt verteilen. Das größere Ärgernis ist aus Sicht Vieler deshalb ein anderes: Der Vertrag mit dem Senat fokussiert sich auf den S-Bahnring. Die Räder stehen deshalb vor allem im Zentrum und schließen die Außenbezirke aus. Zwar gebe es schon heute einzelne Stationen in Steglitz und Lichtenberg, teilte eine Sprecherin der Verkehrsverwaltung mit. „Mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln war eine flächendeckende Bereitstellung von Stationen aber nicht realisierbar.“

Abgeordnete verschiedener Parteien, gerade aus den Außenbezirken, kritisieren diesen Zustand schon lange. Wird also mit der Neuausschreibung alles besser? Das neue Leihradsystem werde gegenwärtig erarbeitet, heißt es aus der Verkehrsverwaltung. Welches Konzept künftig genau verfolgt werde, könne deshalb noch nicht mitgeteilt werden.

Abgeordnete aus Außenbezirken mit Situation unzufrieden

Konkrete Vorstellungen haben schon die Fraktionen. „Wir werden mit der Verkehrswende nicht weiterkommen, wenn wir solche Angebote nicht an den Stadtrand bringen“, sagte der Abgeordnete Kristian Ronneburg (Linke). Das gesamte Leihradgeschäft solle künftig konzessioniert werden. Das Stadtgebiet könnte man dafür in Zonen aufteilen.

Würden Anbieter einen wirtschaftlich attraktiven Kiez übernehmen, müssten sie zugleich Räder in einem weniger lukrativen Gebiet anbieten. Ronneburg: „Das wäre eine Alternative, die uns nicht verpflichten würde, weiterhin Geld in das System zu stecken.“ Das Modell der vielen Stationen sei in der Praxis gescheitert, befindet der Politiker. Neue Stationen sollten künftig nur an Bahnhöfen entstehen. Ansonsten könnten die Räder frei platziert werden.

Leihräder könnten für ÖPNV-Nutzer kostenlos sein

Mehr Steuerung fordert auch Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Anbieter stellten die Fahrzeuge nur da ab, wo mehr Gewinn zu erwarten sei. „Wenn wir dagegen nichts machen können, dann müssen wir die Gesetze ändern.“ Neue Stationen sollten sich am ÖPNV-Netz orientieren. Wer am Stadtrand mit der Bahn ankomme, solle nicht eine halbe Stunde auf den Bus warten. Dort, so Schopf, sollten gleich Leihräder, E-Scooter oder Carsharing-Fahrzeuge bereitstehen.

Er plädiert für einen Ausbau der „Jelbi“ genannten Mobilitäts-Hubs der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in den Außenbezirken. Zumindest die Nutzung der Leihräder sollte dabei in den Zeitkarten des Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) enthalten sein. „Wenn wir die Menschen überzeugen wollen, das Auto stehen zu lassen, dann macht es Sinn, dass sie das kostenlos nutzen können.“

Ähnlich denkt die FDP. Die Liberalen sprechen sich jedoch gegen eine Bezuschussung vieler neuer Stationen aus. Mit Mobilitätshubs an S- und U-Bahnstationen, so FDP-Verkehrsexperte Henner Schmidt, könnten Anbietern für die Ausweitung des Betriebs „angemessene Anreize“ gesetzt werden.