Nachgefragt

Neue Bon-Pflicht sorgt bei den Berlinern für Irritationen

| Lesedauer: 5 Minuten
Bonpflicht in Berlin: Im „Café Sagers“  in Charlottenburg müssen nun täglich rund 200 Bons ausgestellt werden.

Bonpflicht in Berlin: Im „Café Sagers“ in Charlottenburg müssen nun täglich rund 200 Bons ausgestellt werden.

Foto: Foto: Maurizio Gambarini

Neue Bon-Pflicht: Wer muss was? Und was soll das? Unverständnis und Unsicherheit bei Kunden und Verkäufern in Berlin.

Charlottenburg, ein Supermarkt, 2. Januar, kurz nach zwölf Uhr: Die Kassiererin hält der Kundin den Bon hin, lächelt – und schweigt. Es dauert einen Moment, bis die Kundin realisiert, was anders ist als sonst. Es fehlt die Frage: „Brauchen Sie einen Bon?“ Immer mehr Käufer entschieden sich in den vergangene Jahren dagegen. Aus Gesundheits- und Klimagründen – die meisten Kassenzettel sind auf Thermopapier gedruckt. Die Kundin an der Supermarktkasse fragt etwas unsicher zurück: „Muss ich?“ – „Nein, aber ich muss Ihnen den Bon anbieten“, antwortet die Verkäuferin bedauern und entsorgt das Dokument in einem Papierkorb unter der Kasse.

Der Kassenzettel – in Zeiten der Digitalisierung und Scannerkassen erschien er eigentlich als Anachronismus, doch seit Jahresbeginn erlebt das ungeliebte Papier eine Renaissance. Jeder, der gewerblich Waren oder Dienstleistungen anbietet, muss seit 1. Januar seinen Kunden dafür einen Beleg ausstellen, vom Supermarkt bis zum Späti, vom Handwerker bis zum Barmann. Nimmt der Kunde den Zettel nicht mit, landet der im Hausmüll. Denn auch, wenn im Thermopapier die Chemikalie Bisphenol A seit 2020 nicht mehr enthalten sein darf – ins Altpapier darf es dennoch nicht.

„Bonpflicht ist typisch deutsche Bürokratie“

Im „Café Sagers“ in Charlottenburg steht Bedienung Tina ratlos vor der Registrierkasse und zählt die Rollen Thermopapier, die sie noch vorrätig hat. „Wer will denn ernsthaft einen Kassenzettel für einen Cappuccino haben? Unsere Kunden nehmen die Zettel nur sehr selten mit.“ Jetzt rechnet Tina mit etwa 200 Bons, die sie pro Tag ausdrucken muss. „Alle reden übers Klima“, empört sie sich, „und unsere Regierung beschließt so eine Zettelwirtschaft. Das ist typisch deutsche Bürokratie.“

Auch am Imbiss um die Ecke herrscht wenig Verständnis. Zwar legt die Bedienung zu jeder Currywurst gewissenhaft ein Bon mit auf den Tresen, allerdings tut sie es kopfschüttelnd – und die Kunden ignorieren das Papierchen geflissentlich. Umständlich, klimafeindlich und teuer, lautet das Urteil auch hier. „Und was das gegen Steuerbetrug helfen soll, erschließt sich mir nicht“, sagt ein Kunde.

In anderen Geschäften hat sich die neue „Belegausgabepflicht“ noch gar nicht herumgesprochen. „Ach, das gilt schon?“, heißt es in einem Andenkenladen, die Bons hängen als ausgedruckte Papierschlange aus der Registrierkasse. Haben wir da etwas falsch gemacht?“

Auch ein elektronischer Kassenzettel muss zugestellt werden

Tatsächlich ist die Informationslage verwirrend. Zwar hat die Bundesregierung schon 2016 ein Gesetz zur Einführung manipulationssicherer Kassen eingeführt. Doch erst kurz vor Weihnachten 2019 hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die ersten „technischen Sicherheitseinrichtungen für elektronische Aufzeichnungssysteme“ für Registrierkassen zertifiziert. Diese Zusatztechnik soll Manipulationen an elektronischen Kassen erschweren. Weil sie aber noch nicht flächendeckend erhältlich ist, gilt aber eine Übergangsfrist bis September 2020, um Kassen aufzurüsten oder zu ersetzen.

Betroffen sind alle Registrierkassen. Ausnahme bilden nur offene Kassen, in denen die Bar-Einnahmen ohne Technik verwaltet werden – etwa in einer Kassette oder Schublade. Doch auch für sie muss täglich ein Kassenbericht angelegt werden. Und auch offene Kassen können kontrolliert werden. Von der Bonpflicht befreit werden kann nur, wer eine sachliche oder persönliche Härte nachweisen kann. Alternative zum gedruckten Bon ist allenfalls ein digitaler Kassenzettel, der dem Kunden allerdings nicht nur gezeigt, sondern zugestellt werden muss – etwa per SMS oder E-Mail.

So umständlich die Pflichten für viele Händler sind – bisher droht für Verstöße gegen die Belegausgabepflicht bei Kassen-Nachschauen kein Bußgeld. Werde bei einer Kassen-Nachschau aber ein Verstoß festgestellt, mache sich der Verkäufer sich unter Umständen verdächtig, so die Berliner Senatsfinanzverwaltung.

Schaden durch manipulierte Kassen in Berlin nicht bekannt

Steuerfahnder weisen seit Jahren auf betrügerische Kassen-Software hin. Dadurch gingen dem Fiskus zehn Milliarden Euro im Jahr verloren, warnte der Bundesrechnungshof 2015, bevor die Bon-Pflicht 2016 beschlossen wurde. Das Oldenburger Landgericht verurteilte diesen November zwei Brüder zu mehrjährigen Haftstrafen, die eine Manipulationssoftware für Restaurants entwickelt und vertrieben hatten. Allein in Niedersachsen seien damit allein in acht Fällen insgesamt sechs Millionen Euro hinterzogen worden, so das Gericht. Deutschlandweit hätten die Brüder 1.200 Restaurants als Kunden gehabt, europaweit sogar 2.600.

Wie groß der Steuerschaden durch manipulierte Kassen in Berlin ist, weiß man bisher nicht, so der Sprecher der Senatsfinanzverwaltung: „Es liegen keine belastbaren Zahlen vor.“