Einkaufen in Berlin

Warum Berlins Einzelhändler keine Laborratten sind

| Lesedauer: 11 Minuten
Jens Anker
Nils Busch-Petersen leitet die Geschicke des Einzelhandelsverbandes seit 1990.

Nils Busch-Petersen leitet die Geschicke des Einzelhandelsverbandes seit 1990.

Foto: Sergej Glanze

Der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nils Busch-Petersen über das Weihnachtsgeschäft und den Streit um Öffnungszeiten.

Berlin entwickelt sich immer mehr zur internationalen Shopping-Metropole. Der Einzelhandel verbucht seit Jahren steigende Umsätze, die auch deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen. 36.300 Unternehmen mit 72.000 sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern setzen pro Jahr 15,3 Milliarden Euro um, ein Großteil davon im Weihnachtsgeschäft. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost zieht der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, eine Bilanz zum Jahresende, gibt Auskunft über aktuelle Trends und die Perspektiven in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung.

Herr Busch-Petersen, wie zufrieden ist der Einzelhandel in der Region mit dem diesjährigen Weihnachtsgeschäft?

Nils Busch-Petersen: Nach unserer vorläufigen Einschätzung können wir zufrieden sein. Unser Ziel, das Ergebnis des Vorjahres zu erreichen oder leicht darüber zu liegen, dürften wir mit einem Plus von drei Prozent erreicht haben. Das heißt, der Umsatz wird nach 3,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr bei mehr als vier Milliarden Euro liegen. Wobei uns noch eine entscheidende Phase fehlt. Das letzte Wochenende des Jahres und die ersten Tage im neuen Jahr zählen mittlerweile zum Weihnachtsgeschäft, insbesondere weil die Hits bei den Geschenken meist schnell eingelöst werden, nämlich die Gutscheine.

Gibt es neue Trends, die sich abzeichnen?

Es gibt nicht den einzelnen Artikel wie vor ein paar Jahren die Handyhülle. Wir sehen, dass natürlich die Klassiker gefragt sind. Neben dem Gutschein, der auch in meinen Augen ein optimales Geschenk ist, weil man nichts falsch machen kann, sind es Parfüm, Schmuck und Uhren, die ihre Hoch-Zeit haben. Damit machen viele Betriebe bis zu einem Drittel ihres Jahresumsatzes. Das hat sich bis heute nicht verändert. Aber auch Spielwaren sind gefragt und Textilien. Natürlich auch Technik, da legt sich der Vater das Geschenk meist selbst unter den Baum. Insgesamt herrscht gute Stimmung in den Häusern.

Apropos Spielsachen. Ist da der Trend ungebrochen: weg vom Gesellschaftsspiel, hin zur Spielekonsole?

Das können wir so nicht bestätigen. Natürlich spielt elektronisches Spielzeug eine große Rolle. Aber wir sehen nach wie vor, dass das klassische Brettspiel auch läuft. In meiner Familie ist es so, dass gerade die Generation der Kinder, das heißt die 20- bis 30-Jährigen, wieder verstärkt Gesellschaftsspiele spielt. Mit unseren Kindern lernen wir Spiele kennen, die wir bislang gar nicht kannten. Das finde ich ganz interessant.

25 bis 50 Prozent des Umsatzes geht in manchen Branchen auf das Konto von Touristen. Gibt es da Unterschiede im Kaufverhalten?

Der Tourist kauft natürlich ganz stark einerseits Sachen mit einem regionalen Bezug, also immer auch das Erinnerungsstück. Außerdem ist er sehr preisbewusst und nutzt das im Schnitt sehr niedrige Preisniveau in Deutschland aus. Er sieht weniger auf die großen technischen Geräte, das ist ja logisch. Obwohl ein Warenhaus mal versucht hat, Waschmaschinen als Souvenir aus Berlin zu deklarieren. Aber das hat sich dann doch nicht durchgesetzt. Insgesamt sind die Touristen für uns unverzichtbar.

Berlin hat insgesamt einen enormen Aufschwung erlebt. Gilt das auch für den Einzelhandel?

Ja, mit Sicherheit. In den vergangenen Jahren lag Berlin in der positiven Entwicklung mit ein paar Prozentpunkten über dem Bundesdurchschnitt. Das war lange nicht so. Ich glaube, dass wir das auch in diesem Jahr schaffen und ein Prozent über dem Bundesdurchschnitt erreichen. Unsere eigene Kaufkraft ist ja im Schnitt nicht so hoch, aber wir haben Zuwächse durch den immer noch hohen fünfstelligen Zuzug, allerdings nicht mehr so massiv wie in den letzten Jahren. Da kommt natürlich jedes Jahr neue Kaufkraft herein. Auch die guten Tourismuszahlen helfen. Das zahlt sich aus.

Es gibt Warnungen davor, dass das gute konjunkturelle Klima sich eintrübt. Spüren Sie im Handel etwas von einer drohenden Rezession?

Von irgendwelchen Eintrübungen, wie da und dort festgestellt wird, sind wir im Handel noch weit entfernt. Selbst wenn es konjunkturelle Dämpfer geben sollte, rollt die Konsumbereitschaft meist noch etwas länger, manchmal kann sie auch eine Lücke komplett überdecken. Hier gibt es im Moment für die Konsumenten gar keinen Grund, die Konsumschraube nach unten zu drehen, weil es in dieser Stadt und in Brandenburg eine hervorragende Beschäftigungssituation gibt. Außerdem machen gute Nachrichten die Runde, wie die Ansiedlung von Tesla. Das sind ja gute Nachrichten für die ganze Region, nicht nur für den Ort Grünheide in Brandenburg.

Heißt das, dass der stationäre und der Online-Handel doch eine friedliche Koexistenz führen können? Bislang hieß es doch, der Online-Handel macht den Einzelhandel kaputt.

Friedliche Koexistenz im Einzelhandel ist so, wie der Teufel und das Weihwasser. Wie soll das gehen? Wir haben einen heftigen, teilweise gnadenlosen Wettbewerb – und zwar untereinander, online wie stationär. Dieser Markt ist extrem wettbewerbsgetrieben. Davon hat vor allem der Kunde etwas, weil das häufig auch ein Preiswettbewerb ist. Wer hier noch am Markt ist, zeigt schon eine gewisse Stärke, aber auch eine gewisse Kampfbereitschaft. Der Online-Handel hat das teilweise noch verschärft, teilweise zu Konditionen, die wir gern fairer hätten.

Was meinen Sie damit?

Da kommen wir immer wieder auf die Öffnungszeiten zurück, aber auch auf Lieferungen aus dem Ausland und der Frage, wo die Mehrwertsteuer hingeht. Wir wünschen uns faire und transparente Marktbedingungen für alle. Es wäre aber eine künstliche Kluft zwischen Online und stationärem Handel, wenn man alle Probleme des stationären Handels mit der Entwicklung des Online-Handels erklären wollte. Das ist Kokolores. Der Handel hat sich immer durch technologischen Fortschritt vorangetrieben. Und übrigens: Der Online-Handel heute hat nur einen unwesentlich höheren Anteil als er in den 50er-Jahren schon einmal mit dem Versandhandel hatte – und nichts anderes ist Online-Handel. Nur mit anderen Mitteln und Methoden.

Gibt es da neue Entwicklungen, wie sich stationärer und digitaler Handel ergänzen können?

Ja. Unser Verband hatte gerade ein Treffen mit Zalando und unseren Fachhändlern, um über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Handelsplattform zu reden. Wenn ein exzellenter Fachhändler, der jetzt zusätzlich online handeln möchte, zu guten Konditionen natürlich, sich einer vernünftigen und etablierten Plattform anschließt, erspart er sich einen Haufen Geld für Entwicklungskosten und Risiken. Da liegt ein enormes Potenzial.

Wie könnte das funktionieren?

Die Grundidee ist, dass die Plattformbetreiber verstehen, dass das größte Warenlager Berlins für Textilien und Schuhe nicht ein Versandzentrum am Rande der Stadt ist, sondern die Millionen Quadratmeter Lager- und Verkaufsfläche in den Tausenden Geschäften. Wenn eine Plattform feststellt, dass der gewünschte Schuh oder die Bluse in der gewünschten Form in einem Geschäft vorhanden ist, dann muss der Artikel nicht extra aus Sindelfingen angefahren kommen. Da gibt es große Potenziale in der Zusammenarbeit.

Ließe sich so auch die zunehmende Not auf dem Gewerbeflächenmarkt beheben?

Das glaube ich nicht. Ich sehe auch gar keine Not. Wir können die immer wieder prognostizierten starken Sprünge nicht sehen.

Auch nicht in einzelnen Lagen?

Es gibt immer Ausreißer. Aber insgesamt gibt es für uns keine Not. Es gibt aber einen ganz neuen Effekt …

Der wäre?

Es gibt Einzelhändler, die sagen, sie konnten ihren stationären Handel verbessern, weil sie auch im Online-Handel aktiv sind.

Wie geht das?

Weil sie dadurch andere Warenbestände haben, von denen sie wissen, dass sie online gut gehen. Ein Händler sagte zum Beispiel, bislang konnte er nur drei oder vier unterschiedliche Damenstiefel für Gartenarbeit in seinem Geschäft anbieten. Dadurch, dass er jetzt auch online damit handelt und dort viel mehr unterschiedliche Stiefel verkauft, hat er jetzt auch mehr davon in seinem Geschäft. Und die Kunden kommen aus der ganzen Region, weil er dieses Riesenangebot hat. Da gibt es Rückkopplungen, an die wir bislang gar nicht gedacht haben.

Die Einkaufsstraßen in Berlin stehen vor einem großen Wandel. Am Kudamm wird über eine Neugestaltung nachgedacht, die Friedrichstraße soll im kommenden Sommer für drei Monate zur Fußgängerzone werden. Was halten Sie davon?

Ich bin kein Feind von Fußgängerzonen, aber ich bin ein Feind von konzeptionslos vorangetriebenen Projekten. Dazu können auch konzeptionslos vorangetriebene Fußgängerzonen zählen. Jetzt haben sie in der Friedrichstraße zwei Tage lang etwas ausprobiert, und nun kommt man auf die Idee, das mehrere Monate lang noch einmal auszuprobieren. Aber es gibt immer noch kein Konzept für die Umgehungsstraßen. Was ist denn, wenn ein Geschäft nach diesen drei Monaten nicht mehr weitermachen kann? Wir Einzelhändler sind doch keine Laborratten, mit denen man Experimente machen kann. Nach dem Motto: Nach drei Monaten sehen wir mal, ob sie noch da sind. Das ist für mich nicht seriös.

Ein anderes ständiges Streitthema ist die Sonntagsöffnung. Wann gibt es da einen neuen Stand?

Wir warten täglich darauf, dass das Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung vorlegt. Die wird für alle Seiten sehr wichtig sein. Sollte es so ausgehen, dass wir und der Senat Recht bekommen, dann ist das eine Bestätigung für die Berliner Regelung mit zehn verkaufsoffenen Sonntagen. Wir gehen aber davon aus, dass auch dann Verdi keine Ruhe geben wird und vor das Bundesverwaltungsgericht zieht. Sollte das Oberverwaltungsgericht seine Meinung im Vergleich zu früheren Entscheidungen ändern, dann müssen wir in der Stadt ganz schnell in einen Dialog darüber treten, wie wir in Berlin die weltstädtische Teilatmosphäre und die weltstädtischen Teilfreiheiten künftig sicherer machen. Da sind wir nicht unvorbereitet.

Zur Person

Nils Busch-Petersen wurde vor 55 Jahren in Rostock geboren. 1975 zog die Familie nach Berlin, da sein Vater zum Chefarzt einer Berliner Kinderklinik berufen wurde. Nach dem Abitur studierte Busch-Petersen Rechtswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. In Folge der Wendewirren des Jahres 1989 war er von Februar bis Mai 1990 Bürgermeister des Bezirks Pankow. Danach wechselte er zunächst als ehrenamtlicher, später als hauptamtlicher Geschäftsführer zum Handelsverband Berlin-Brandenburg, dessen Hauptgeschäftsführer er seitdem ist. Busch-Petersen ist verheiratet und hat zwei Kinder. Neben seinem Beruf ist er unter anderem als Veranstalter des Louis-Lewandowski-Festivals für Synagogalmusik aktiv.